Flutkatastrophe an der Ahr und in Rheinbach „Wir haben gar nichts mehr“

Bad Neuenahr-Ahrweiler/Rheinbach · Menschen an der Ahr und in Rheinbach finden Sicherheit und Hilfe in Notunterkünften. Der Schock sitzt tief. Das Erlebte werden die Betroffenen wohl niemals vergessen. Hoffnung macht einzig die Unterstützung, die ihnen nun zuteil wird.

Ahrweiler kämpft nach Katastrophe mit Trümmern und Schlamm
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Ahrweiler kämpft nach Katastrophe mit Trümmern und Schlamm

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Foto: dpa/Boris Roessler

Eine Frau in gestreiften Leggins läuft am Freitagmittag langsam den kleinen Schotterweg von der Festhalle zum Parkplatz in Heimersheim, einem Stadtteil von Bad Neuenahr-Ahrweiler – in der Hand eine blaue Ikea-Tüte. Darin sind die einzigen, wenigen Sachen, die ihr geblieben sind. Sie versucht die Fassung zu bewahren. Es gelingt ihr nicht. Sie sagt nur: „Wir haben gar nichts mehr.“ Die Frau und ihr Mann, auch noch in Pyjama-Hosen, wollen Ihren Namen nicht nennen. Sie kommen aus Bad Neuenahr-Ahrweiler – da wohnten sie zumindest mal. In der Nähe des Casinos steht, oder stand mal, ihr Haus. Seit Freitagnacht drei Uhr befanden sie sich in der Notunterkunft Landskrone. Jetzt fahren sie mit ihrem Neffen an einen anderen sicheren Ort.

Die Schrecken der Nacht zu Donnerstag werden sie niemals vergessen: „Das Wasser kam in Minuten.“ Am Donnerstagmorgen brachten sie sich bei Freunden, in einer höher gelegenen Wohnung, in Sicherheit und wurden in der Nacht gegen 22 Uhr von dort evakuiert. Fünf Stunden später kamen sie in der Notunterbringung, der Festhalle Landskrone, an.

„Die ganze Evakuierung ist unglaublich schrecklich abgelaufen. Der Transport war eine Zumutung.“ Unverständnis haben sie auch für die Ereignisse in der Katastrophennacht. Die Feuerwehr habe zwar abends Warnung gegeben, aber nur für die andere Straßenseite. Doch in Sicherheit waren sie in ihrer Wohnung nicht. Die Erleichterung, dass sie noch leben, ist groß. „Unsere Nachbarn sind tot.“ Das Schlimmste aber war für sie, dass sie noch in der Katastrophennacht Leute beobachtet haben, die zum Plündern kamen. Die Polizei habe sie aber gestellt.

Oben auf der Anhöhe vor der Festhalle stehen etwa 30 weitere Gerettete in der Schlange für die Essensausgabe. Darunter auch die Großfamilie Cottier aus der Mittelstraße in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Urgroßmutter, Großeltern, eine sechsjährige Enkelin und der Hund Teddy.  Die Familie geht davon aus, dass sie noch einige Tage in der Notunterkunft verbringen wird. Frische Kleidung für die Enkelin haben die Hilfskräfte vor Ort gestellt: rosa Turnschuhe und ein Hello-Kitty Shirt. Die Kleine wollte nicht von der Seite ihrer „allerbesten Oma“ weichen.

In der Halle sitzen etliche Menschen auf Stühlen oder liegen auf Isomatten. Ihre Haltung, die fahlen Gesichter – sie sprechen Bände. Ein Polizist kann nur schätzen, dass hier aktuell zwischen 200 und 300 Menschen untergebracht sind. Er schätzt, dass die Notunterkunft mindestens noch für weitere drei bis vier Tage bestehen bleibt. Hier gibt es immerhin Essen, frische Kleidung und Strom für die Geretteten, unter denen auffällig viele ältere Menschen sind. Viele von Ihnen sind sprachlos.

Große Dankbarkeit für Hilfe in der Anlaufstelle Stadthalle Rheinbach

Etwa 800 Menschen strömten während des Unwetters und am Tag danach in die Rheinbacher Stadthalle. Die meisten stammen aus Oberdrees, Niederdrees und Odendorf, schätzte Familie Schulz, die ihren vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen wollte. Zusammen mit ihren beiden 19-jährigen Kindern waren sie in der Nacht zuvor von Feuerwehr und Bundeswehr evakuiert worden. „Unsere Feuerwehr kam an die Häuser, sie haben gerufen“, beschrieb die Mutter. „Das ging dann ganz schnell. Zwei Soldaten haben mich links und rechts gepackt und rausgetragen“, sagt die nach langer Krankheit noch auf einen Rollstuhl angewiesene Frau. Auch in der Stadthalle sei alles sehr gut organisiert. „Wir bekommen hier jede Hilfe, die wir brauchen“, so Mutter und Tochter Schulz unisono. Trotzdem hofften sie, nach dem Wochenende wieder nach Hause zurückkehren zu können.

Auf etwa 500 zu versorgende Menschen ist die Einsatzeinheit aus ASB und Johanniter ausgelegt, sagte der Zugführer und Verantwortliche vor Ort, Sven Grebe. Zusammen mit der Bundeswehr und weiteren Helfern habe man den Ansturm trotzdem bewältigen können. Am Freitagmittag versorgten sie noch 250 Flutopfer, darunter auch Pflegebedürftige, in der Stadthalle, der benachbarten Gesamtschule und dem ebenfalls nahen Jugendwohnheim. „Viele sind bei Verwandten und Bekannten untergekommen, abgeholt oder verlegt worden“, so Grebe.

Die noch Verbliebenen versorgen die Helfer in der Schulmensa mit Essen. Übernachtet wird auf Feldbetten zu zehnt in den Klassen. Die JVA hatte Wolldecken beigesteuert, und viele Menschen bringen Spenden, die im Eingangsbereich sortiert werden. Der zentrale Einsatzwagen mit dem einzigen funktionierenden Telefon steht vor der Halle. Von hier aus koordinieren zwei Helfer die Versorgung mit Essen, Betten, Medikamenten und im Falle der Fälle auch den Einsatz von Rettungswagen vor Ort.

Dieser Artikel ist zuerst im Bonner Generalanzeiger erschienen.

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