Unterricht ohne Smartphones in Hemer Lehrer sammeln Handys an Realschule morgens ein – „Hauptsache, das Ding ist weg“

Hemer · Während des Unterrichts herrscht an einer Realschule im Sauerland Funkstille. Alle Schüler sollen ihre Smartphones morgens abgeben, nachdem sich einige für eine TikTok-Challenge auf dem Schulhof geprügelt haben. Der Schulleiter muss allerdings auf Freiwilligkeit setzen.

Schüler und ihre Smartphones. In Hemer müssen Handys an einer Realschule nun morgens abgegeben werden. (Symbolbild)

Schüler und ihre Smartphones. In Hemer müssen Handys an einer Realschule nun morgens abgegeben werden. (Symbolbild)

Foto: Shutterstock.com/Rido

In einer Realschule im Sauerland gibt es seit einigen Wochen eine neue, morgendliche Routine: Vor Unterrichtsbeginn sammeln die Lehrer die Mobiltelefone ihrer Schüler ein und schließen sie in Kisten weg. Es ist der Versuch, mehr Ruhe in den Unterricht zu bringen – aber auch die Konsequenz einiger unschöner Szenen, die sich im Februar auf dem Schulhof abspielten, wie Udo Sonnenberg erzählt. „Es gab immer wieder Prügeleien vor allem in den Jahrgängen 6 und 7“, sagt der stellvertretende Leiter der Hans-Prinzhorn-Realschule in Hemer. „Da bildeten sich Trauben von Schülern auf dem Hof, die das Ganze mit den Handys filmten, die Videos gingen dann auf TikTok viral.“

Auf der Social-Media-Plattform gibt es immer wieder fragwürdige, mitunter auch lebensgefährliche Challenges, für die Kinder und Jugendliche sich begeistern. Auch die Prügeleien auf dem Schulhof waren Teil einer solchen Challenge. „Die Schüler haben aber auch immer wieder Lehrer im Unterricht gefilmt und die Videos verbreitet“, sagt Sonnenberg. Nach vielen Beschwerden, auch von Eltern und Mitschülern, habe man sich im Kollegium überlegen müssen, wie man damit umgehe.

In der Lehrerkonferenz fiel dann die Entscheidung: Die Handys müssen im Unterricht weg. Im März wurden alle Eltern per Brief über die Entscheidung informiert, dass sämtliche Schüler der Schule ihr Handy vor dem Unterricht abgeben sollen. „Wir haben die Unterstützung der Eltern“, sagt Sonnenberg. Über die neue handyfreie Zone in der Schule in Hemer hatte zuerst der WDR berichtet. „Wir können natürlich nicht sicherstellen, dass wirklich jeder Schüler sein Mobiltelefon abgibt“, sagt Sonnenberg. Rechtlich ist es nicht möglich, ein Handy gegen den Willen eines Schülers einzukassieren. Ein Gesetz, das das Benutzen von Smartphones an Schulen verbietet, gibt es nicht, da ein Verbot in die freie Persönlichkeitsentfaltung und das Eigentumsrecht eingreifen würde. Es gibt aber Möglichkeiten, Handys einzuziehen. So heißt es auf Anfrage aus dem NRW-Schulministerium: „Verletzt eine Schülerin oder ein Schüler seine bzw. ihre Pflichten aus dem Schulverhältnis, zum Beispiel durch störendes Verhalten im Unterricht, so ist die Wegnahme von Gegenständen, auch von Mobiltelefonen, als erzieherische Einwirkung ausdrücklich zulässig. Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.“ Die Schulordnung könne die Nutzung von Handys auf dem Schulgelände auch einschränken und etwa „Handyzonen“ einrichten.

Schulleiter Sonnenberg sagt: „Das Ganze läuft bei uns auf freiwilliger Basis erstaunlich gut.“ Fast alle Schülerinnen und Schüler würden ihre Telefone abgeben, „manche kommen auch später am Tag noch und sagen, sie hätten es vergessen – das freut uns natürlich“, sagt Sonnenberg. Und wenn noch einige Handys lautlos in Schul- oder Jackentaschen blieben, sei das auch gut. „Hauptsache, das Ding ist weg.“

Nach Wochen einer Testphase kann Sonnenberg sagen: „Es ist viel ruhiger geworden.“ Die Kinder und Jugendliche könnten sich viel besser auf den Unterricht konzentrieren, „weil sie nicht ewig aufs Handy gucken und uns sagen: Wir wollten nur schauen, wie spät es ist“. Da alle von der Regelung betroffen seien, gäbe es auch keine großen Widerstände oder Diskussionen. „Aber“, sagt Sonnenberg. „Von jetzt auf gleich geht sowas nicht, das braucht eine bestimmte Vorlaufzeit.“ So hatte sich eine erste Regel der Hemer Schule, Handynutzung nur zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten zu erlauben, nicht durchsetzen lassen. Nun sind die Handys eben ganz weg – und nach der letzten Unterrichtsstunde bekommen die Schüler sie wieder.

Andrea Heck ist Vorsitzende beim Elternverein NRW. „Die meisten Eltern finden ein solches Handyverbot gut – und sind natürlich auch dankbar, wenn das in der Schule geschieht und sie das nicht morgens schon zu Hause durchsetzen müssen“, sagt sie. Sie könnte sich vorstellen, dass ein Verbot wie in Hemer auch an anderen Schulen funktionieren könnte, wenn die Regel für die gesamte Schülerschaft gilt und alle Eltern sich einverstanden zeigen. „Ich würde mir wünschen, mehr Schulleiter würden den Mut zeigen, ein solches Verbot durchzusetzen“, sagt Heck.

Die rund 5500 Schulen in NRW gestalten den Unterricht, die Erziehung und das Schulleben in eigener Verantwortung, wie es aus dem Ministerium heißt. „Im Rahmen ihrer pädagogischen Freiheit entscheiden die Lehrkräfte auch, welche Medien und Hilfsmittel im Unterricht und in einzelnen Unterrichtssituationen eingesetzt werden können.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort