Düsseldorf Hebammen streiken heute für mehr Lohn

Düsseldorf · Sie verdienen 7,50 Euro pro Stunde, müssen pro Jahr allein 16 Kindern auf die Welt helfen, um ihre Haftpflichtversicherung zu finanzieren. Die Finanznot der Geburtshelferinnen, die heute im Rheinland streiken, hat schon jetzt spürbare Konsequenzen für werdende Mütter.

 Hebamme Reinhild Hornstein (hinten) mit Sarah Kriegler (r.) - zur Vorsorge im Düsseldorfer Geburtshaus - und Vera Vorneweg mit Lasse (v.l.) sowie Anika Baumbach mit Noa, die regelmäßig zur Nachsorge vorbeischauen.

Hebamme Reinhild Hornstein (hinten) mit Sarah Kriegler (r.) - zur Vorsorge im Düsseldorfer Geburtshaus - und Vera Vorneweg mit Lasse (v.l.) sowie Anika Baumbach mit Noa, die regelmäßig zur Nachsorge vorbeischauen.

Foto: RP, Andreas Endermann

Wäre heute ein normaler Montag, wäre Reinhild Hornstein ab Punkt 6 Uhr auf den Beinen. Um spätestens 8 Uhr wäre die Düsseldorfer Hebamme bei der ersten der 32 Familien, die sie betreut. Danach würde die 52-Jährige im Düsseldorfer Geburtshaus Yoga-Kurse und Info-Nachmittage leiten. Gegen 22 Uhr hätte die vierfache Mutter 14 Stunden und 120 gefahrene Kilometer hinter sich, gegen 23 Uhr würde sie ins Bett fallen. Vorausgesetzt, sie wird nicht zu einem Notfall gerufen. Dass heute kein normaler Montag ist, dass Reinhild Hornstein heute pausiert, hat nichts mit Erschöpfung zu tun. Die Hebamme will heute für eine Bezahlung kämpfen, die ihre Existenz und die ihrer rund 4500 Kolleginnen in NRW sichert.

Nach Streiks in Berlin, Baden-Württemberg, Thüringen und Westfalen legen die Hebammen heute im Rheinland die Arbeit nieder. Mit einer zentralen Kundgebung in Düsseldorf wollen sie für "eine Bezahlung über dem Niedriglohnlevel" mobil machen, sagt Angelika Josten, Vorsitzende des Landesverbandes der Hebammen NRW. Der Verband ist Initiator der Aktion, gemeinsam mit dem Bund der freiberuflichen Hebammen Deutschlands. Freiberufliche Hebammen und solche mit Belegbetten in Kliniken — das sind die meisten der rund 4500 Geburtshelferinnen in NRW — verdienen im Schnitt 7,50 Euro pro Stunde. Für einen Hausbesuch etwa bekommen sie laut Gebührenkatalog der Krankenkassen 27 Euro. Realistisch wären 70 Euro, sagt Josten. "Unseren Job kann sich nur leisten, wer regelmäßig 70 Stunden die Woche arbeitet." Zumal Nebenkosten die Hebammen belasten. 2010 waren die Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung um teilweise 100 Prozent gestiegen. Rund 3700 Euro zahlt eine Hebamme pro Jahr, um sich gegen Haftungsansprüche abzusichern. Allein um die gestiegene Prämie zu finanzieren, müssen Hebammen im Jahr 16 Kindern auf die Welt helfen. Gerade im ländlichen Raum sind es aber oft nur zwölf.

Schon jetzt haben deshalb viele Hebammen aufgegeben. Um die 120 hätten in NRW allein seit Erhöhung der Haftpflichtprämien hingeschmissen, sagt Verbands-Chefin Josten. Dabei würden im Land eigentlich bis zu 1500 Hebammen mehr gebraucht, um den Bedarf zu decken. Hebammen-Zentralen, über die die Geburtshelferinnen vermittelt werden, müssen in Köln bereits jetzt jede dritte Frau abweisen. In Solingen fragen Frauen mitunter schon um Betreuung an, wenn sie vorhaben, schwanger zu werden, berichtet Sarah Kriegler, die dort als Hebamme arbeitet. In anderthalb Wochen bekommt sie selbst ihr erstes Kind. Sie möchte es zu Hause zur Welt bringen oder im Geburtshaus von Reinhild Hornstein, sagt die 28-Jährige. Diese freie Wahl des Geburtsortes könnte langfristig nicht mehr garantiert werden. Denn viele Hebammen verzichten, wenn sie in Existenznot geraten, zuerst darauf, die eigentliche Geburtshilfe anzubieten. Sie reduzieren ihr Angebot auf Vor- und Nachsorge, um die teure Haftpflichtprämie für das Geburtsrisiko zu sparen. Schwangere müssten dann im Krankenhaus entbinden.

Hilfe von der Politik kommt nur langsam: Das Gutachten zur Situation der Hebammen, das Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) versprochen hatte und das den Hebammen bei den nächsten Verhandlungen mit den Krankenkassen im Herbst als Argumentationshilfe dienen könnte, ist einer Ministeriumssprecherin zufolge erst "in der Vorbereitungsphase". Und die in NRW angekündigte Aktualisierung der Gebührenordnung für Privatpatienten, über die die Hebammen höhere Sätze abrechnen könnten, sind laut Gesundheits- und Finanzministerium noch nicht über die "Abstimmungsphase" hinaus.

Sarah Kriegler würde nach ihrer sechsmonatigen Babypause gern wieder in den Beruf einsteigen. "Es ist immerhin mein Traumjob", sagt sie. Ein Traumjob, der ihr nach Abzug aller Kosten zuletzt 400 Euro zur Verfügung ließ. "Ich werde mir also überlegen müssen, auch nur noch Vor- und Nachsorge anzubieten, um über die Runden zu kommen", sagt sie. Dann gäbe es in Solingen nur noch zwei Hebammen, die Hausgeburten ermöglichen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort