Hass-Nachrichten an Abiturienten Es geht nicht um Integration

Meinung | Düsseldorf · Ein ehemaliger Schüler hat unsere Redaktion gebeten, seinen Namen aus einer Abiturienten-Liste im Internet zu löschen – weil er seit zwei Jahren rassistisch beleidigt und bedroht werde. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?

 Abiturienten schreiben eine Klausur. (Symbol)

Abiturienten schreiben eine Klausur. (Symbol)

Foto: dpa/Armin Weigel

Junge Frauen und Männer machen Abitur an einer Schule im Ruhrgebiet. In festlicher Kleidung posieren sie für ein Foto – Absolventenjahrgang 2016. Dieses Foto macht in rechten Portalen die Runde. Weil viele der Abiturienten ausländisch klingende Namen haben und nicht aussehen, wie manche sich Deutsche vorstellen, wird ihr Erfolg als Bedrohung wahrgenommen: orientalische Vor- und Nachnamen, dunkle Augen, schwarzes Haar – sogar Kopftücher. Der bildliche Beweis für die angebliche Islamisierung des Abendlandes.

Der Fall aus Nordrhein-Westfalen hat bundesweit Bestürzung ausgelöst. Tausendfach wurde der Artikel über den jungen Mann, der sich wegen Hasskommentaren und Beschimpfungen bei unserer Redaktion gemeldet hatte, geteilt. 2017 hatte ein Pegida-Verband aus Bayern das oben beschriebene Foto und die dazugehörige Namensliste auf Facebook geteilt. Versehen war der Beitrag mit dem Hashtag „Genug_ist_Genug“ und mit Kommentaren wie „Koranschule“, „Und wo sind da die Deutschen?“. Einige dieser Menschen haben offenbar die Absolventen direkt angeschrieben, um sie einzuschüchtern oder einfach nur zu beschimpfen.

Was sagt das nun über unsere Gesellschaft aus? Zunächst einmal zeigt dieser Fall, dass es Rassisten und Rechtsradikalen offensichtlich nicht reicht, sich einfach nur in geselliger Runde ihr Leid zu klagen, über Politiker zu wüten und sich die guten alten 30er Jahre zurückzuwünschen. Nein, sie knöpfen sich, wenn möglich, auch einzelne Menschen vor, die nicht in ihr Weltbild passen. Dabei geht es nicht darum, dass die Ayse oder der Ali etwas vermeintlich Falsches gesagt oder getan haben. Es geht darum, dass sie existieren. Und das wird in den öffentlichen Debatten immer noch viel zu oft ignoriert.

Immer wieder lassen wir es zu, dass rassistische oder fremdenfeindliche Thesen, Begriffe und vermeintliche Ängste unter den Begriff „Integrationsdebatte“ gepackt und diskutiert werden. Dabei geht es Menschen, die von „Kopftuchmädchen“ und „tausenden Arabern“ sprechen, die Menschen „in Anatolien entsorgen“ und Schwarze nicht zum Nachbarn haben wollen, nicht um Fragen eines friedlichen und guten gesellschaftlichen Zusammenlebens.

Es geht um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Es geht um Menschen, die statt „Alle Ausländer raus!“ zu schreien, bemüht sind, ihrer völkischen Ideologie einen zivilisierten Anstrich zu geben – aber auch dabei meist scheitern. Und insofern ist dieser Vorfall die ehrlichere Form dessen, was die AfD ihre Politik nennt.

Aber natürlich ginge es auch noch ehrlicher. Wer auch immer zu Hause sitzt und deutschen Abiturienten Hassnachrichten schickt, leidet – wenn er ehrlich ist – ja nicht wirklich darunter, dass vermeintlich fremd aussehende Menschen Abitur machen. Vermutlich ist er ein sehr trauriger und frustrierter Mensch. Vielleicht hätte er selbst gern Abitur gemacht, hätte gern Kinder gehabt, zu deren Abiball er hätte gehen können, und vor allem hätte er vermutlich etwas mehr Liebe gebraucht.

Wer sich also ernsthaft um die Zukunft unserer Gesellschaft sorgt, kann vor allem eines tun: Seinen Mitmenschen mit ein bisschen mehr Nächstenliebe begegnen und nicht zulassen, dass statt inhaltlicher Diskussionen einzelne Menschengruppen zur Disposition gestellt werden.

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