Schutz durch Hunderte Polizisten RWE räumt Barrikaden von Aktivisten im Hambacher Forst

Kerpen · Der Streit im Braunkohlerevier Hambacher Forst spitzt sich zu: Die Polizei rückt mit einem Großaufgebot in Teile des Waldes vor, wo Rodungsgegner in Baumhäusern wohnen. Sprengstoff-Experten untersuchen einen verdächtigen Gegenstand.

Die Polizei ist am Mittwochmorgen mit einem großen Aufgebot in Teile des Hambacher Forstes vorgerückt. Der Wald am Rheinischen Braunkohletagebau ist teilweise von Tagebau-Gegnern und Waldschützern besetzt. Mitarbeiter des Energieunternehmens RWE begannen mit schwerem Gerät, Hindernisse wie Baumstämme am Waldboden wegzuräumen. Die Polizei schütze die Arbeiter dabei, sagte Polizeisprecher Paul Kemen. „Die Leute machen unser Zuhause kaputt“, sagt dagegen ein Bewohner des Protestcamps.

Am Morgen entdeckten die Einsatzkräfte einen verdächtigen Gegenstand im Hambacher Forst. Da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass es sich um Sprengstoff handelt, wurde der Gegenstand von Experten untersucht, sagte ein Sprecherin. Später seien die Beamten auf weitere Sprengvorrichtungen gestoßen, berichtete die Polizei auf Twitter. „Hierbei handelte es sich um mit Drähten versehene verdächtige Gegenstände.“ Diese würden durch Mitarbeiter des Landeskriminalamtes (LKA) untersucht. Eine Sprengvorrichtung habe sich als Attrappe herausgestellt.

Hambacher Forst: Bilder der Räumung der Barrikaden vom September 2018
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Polizei rückt in besetzten Hambacher Forst vor

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Foto: dpa/Oliver Berg

Außerdem wurden Polizisten mit Steinen beworfen, berichtete unser Reporter vor Ort. Zu Beginn des Einsatzes sei Pyrotechnik geworfen worden, berichten die Beamten Auch hätten einige Rodungsgegner von den Bäumen herunter auf Einsatzkräfte uriniert, sagte ein Sprecher. Ernsthaft verletzt wurde aber niemand. Der Polizeieinsatz blieb am Mittwoch zunächst friedlich. Die Polizei berichtete von zwei Festnahmen, nachdem bei zwei Frauen Teile zum Bau von Zwillen und Schussmaterial gefunden worden seien.

„Es herrscht eine angespannte Ruhe. Gefahr lauert überall“, sagte Michael Mertens, Vorsitzender der Polizeigewerkschaft NRW. Die Polizei stellte einen Autoreifen sicher, der mit Nägeln gespickt war. „Das ist für ALLE eine Gefahr“, twitterte die Polizei.

Das Energieunternehmen RWE Power will für den Braunkohleabbau mehr als 100 der verbliebenen 200 Hektar Wald abholzen, kann damit aber frühestens mit Beginn der Rodungssaison ab 1. Oktober anfangen. Die Rodung ist seit Jahren genehmigt und laut RWE nötig, um den Tagebau fortzusetzen. Gegen die Abholzung gibt es aber seit langem heftige Proteste von Waldbesetzern vor Ort. Darüber hinaus fordert ein breites Bündnis von Natur- und Klimaschützern einen Rodungsstopp, solange die bundesweite Kohlekommission in Berlin miteinander im Gespräch ist. „Noch ist Zeit für ein Rodungsmoratorium“, schrieb Monika Düker, Fraktionsvorsitzende der Grünen im NRW-Landtag, auf Twitter. „Reden statt Roden wäre das Gebot der Stunde.“

Aktuell sind 300 Polizisten im Einsatz im Hambacher Forst. Mertens rechnet damit, dass es noch deutlich mehr sein werden, wenn die Rodungen beginnen. „Das wird der größte Polizeieinsatz Nordrhein-Westfalens in der Geschichte der Nachkriegszeit“, sagte er unserer Redaktion. Die Zahl der Rodungsgegner am Mittwoch wurde auf 60 bis 100 geschätzt. Die Aktivisten sitzen in ihren Baumhäusern und gucken sich das Geschehen von oben an.

Etwa 200 RWE-Mitarbeiter räumten bei dem Einsatz unter Polizeischutz Holzbarrikaden von Rodungsgegnern weg. Teils seien Äste am Boden zersägt worden, um sie leichter abtransportieren zu können, berichtete ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur. Dies seien aber keine Rodungen. „Außerdem müssen mögliche Gräben und Erdlöcher zugeschüttet werden“, sagte ein RWE-Sprecher. Die rund 60, teils seit Jahren bewohnten Baumhäuser von Rodungsgegnern sollten dagegen nicht geräumt werden, betonte die Polizei. Das sagte die Polizei auch im Wald per Lautsprecher durch.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte am Montag in Düsseldorf gewarnt, dass man es im Hambacher Forst mit „extrem gewaltbereiten Linksextremen“ zu tun habe, die aus dem ganzen Bundesgebiet und dem benachbarten europäischen Ausland anreisten. „Diese selbst ernannten Umweltschützer wollen nicht Bäume retten, sondern den Staat abschaffen“, sagte Reul. RWE sei Eigentümer des Hambacher Forstes, habe das Recht, den Wald zu roden und wolle davon demnächst Gebrauch machen. „Wir wissen's nicht genau, aber wenn der Tag dann kommt, dann muss die Polizei eben dafür sorgen, dass dieses Recht durchgesetzt werden kann.“

Die Aktivisten vor Ort wiesen Reuls Vorwürfe zurück. „Die Polizei versucht, die komplette Bewegung zu kriminalisieren und zu diffamieren“, sagte Emil Freytag von der „Aktion Unterholz“. Er verwies darauf, dass die Polizei den Hambacher Forst als „gefährlichen Ort“ definiert habe und seitdem Personen ohne konkreten Anlass kontrollieren könne. Die Polizei hatte diese Maßnahme damit begründet, dass aus dem Wald heraus Straftaten verübt würden.

Die Kohlekommission soll bis Ende des Jahres einen Ausstieg aus der Kohleverstromung ausarbeiten und Vorschläge für die Finanzierung und Gestaltung des Strukturwandels in Tagebau-Regionen wie dem Rheinischen Revier vorlegen.

(ubg/csh/siev/hebu/wer/dpa)
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