Die Gewinner Grüne übernehmen drei Großstädte

Bei den Stichwahlen gab es in den Metropolen viele Überraschungen. In Mönchengladbach gewinnt der erst 31-jährige SPD-Kandidat. In Gelsenkirchen übernimmt zum ersten Mal eine Frau die Verwaltungsspitze.

 Die Grüne Sibylle Keupen feiert im Krönungssaal der Stadt Aachen ihre Wahl zur Oberbürgermeisterin.

Die Grüne Sibylle Keupen feiert im Krönungssaal der Stadt Aachen ihre Wahl zur Oberbürgermeisterin.

Foto: dpa/Marius Becker

Aachen Sibylle Keupen (67,4 Prozent) hat für die Aachener Grünen das Amt der Oberbürgermeisterin gewonnen. Auch wenn sie selbst kein Parteibuch hat, merkt man schnell: Aachens Grüne und Keupen – das passt. Man merkt aber genauso schnell: Diese Frau hat ihren eigenen Kopf. Dass die Leiterin der Bleiberger Fabrik, eines wichtigen Bildungs- und Kulturzentrums in der Stadt, sich als Oberbürgermeisterin für Bildung einsetzen will, ist grundsätzlich erstmal nicht erstaunlich. „Bildung ist absolut elementar, wenn wir das Thema Kinderarmut bekämpfen wollen“, sagt Sibylle Keupen. Und: „Wir dürfen keinen Menschen verlieren.“ Das sieht die 57-Jährige keineswegs allein als Aufgabe der Schulen. Sie will Parallelgesellschaften aufbrechen, Kinder häufiger mit Senioren zusammenbringen. Chancen sieht sie in verstärkter Kooperation zwischen Stadt und Hochschule, in mehr Kommunikation zwischen Verwaltung und Bürgerschaft und vor allem im Ausprobieren, im Machen. Auch ein Wunsch: Aachen zur ersten klimaneutralen Stadt Deutschlands zu machen.

Bonn Katja Dörner (56,3 Prozent), seit 2009 Bonner Bundestagsabgeordnete der Grünen, hat bei der Oberbürgermeister-Stichwahl den Amtsinhaber Ashok Sridharan von der CDU ausgestochen. Die politische Karriere der gebürtigen 44-jährigen Siegenerin verlief eher im Stillen. Dörner wuchs im Westerwald auf und besuchte dort das katholische Gymnasium Marienstatt. 1998 trat sie den Grünen bei, nach dem Studium der Politik und des Öffentlichen Rechts in Bonn, York und Edinburgh arbeitete sie 2001 bis 2003 als persönliche Referentin der damaligen Fraktionsvorsitzenden Sylvia Löhrmann, 2003 bis 2009 als wissenschaftliche Referentin bei der NRW-Landtagsfraktion für die Bereiche Schule und Weiterbildung sowie Familie. Seit sieben Jahren ist sie in Berlin stellvertretende Fraktionsvorsitzende und gehört dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend an. Bei den ihr wichtigen Themen wie den Kinderrechten und Gleichstellung hat sie sich breite Anerkennung erworben.

Dortmund Thomas Westphal (SPD, 51,9 Prozent) war als ehemaliger Bundesvorsitzender der Jusos Vorgänger von Andrea Nahles. Nun wird er Nachfolger von Ullrich Sierau als Oberbürgermeister der Stadt Dortmund. Seit 1996 lebt der 53-Jährige dort, hat 2011 in Körne gebaut. Dort wohnt er mit seinen beiden Töchtern (11 und 13) und seiner Frau, die in Bochum arbeitet. Seine drei wichtigsten Themen, die er anpacken will, sind: die Verkehrsinfrastruktur auszubauen, das Wohnangebot auszuweiten und die Kinderbetreuung zu verbessern. Von der Kita bis zum offenen Ganztag seien die Angebote weder in der Menge noch in der Qualität zufriedenstellend. Daran müsse man arbeiten. Westphals Lieblingslied lautet „Bring den Vorschlaghammer mit“ von Element of Crime. Dortmund hat also einiges zu erwarten.

Düsseldorf Stephan Keller (CDU, 56,0 Prozent) stand bislang wenig im großen Scheinwerferlicht der Politik – nun ist der 50-Jährige Oberbürgermeister von Düsseldorf und löst Thomas Geisel ab. Von 2011 bis 2016 war er in Düsseldorf als Dezernent für die Bereiche Verkehr und Ordnung zuständig, aus seiner Amtszeit blieb vor allem die erfolgreiche Fertigstellung des U-Bahn-Projekts Wehrhahn-Linie in Erinnerung. Anschließend wechselte er als Stadtdirektor nach Köln. Dort leitete er im Frühjahr den Krisenstab zur Bewältigung der Corona-Pandemie. Der gebürtige Aachener wohnt seit vielen Jahren mit seiner Frau und drei Kindern in Düsseldorf. Im Wahlkampf warb er auch mit dem Versprechen, dass er beim Düsseldorfer Reizthema Verkehr einen Mittelweg finden will. Die umstrittenen „Umweltspuren“ will er abschaffen. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet gratulierte seinem Parteikollegen: „Es hätte eigentlich jedem schon bei der Aufstellung klar sein müssen, dass er gewinnt, weil er in einem bedeutenden Krankenhaus geboren wurde. In Aachen-Burtscheid, wo ich auch geboren wurde.“

Gelsenkirchen Karin Welge (59,4 Prozent) hat es geschafft, den OB-Posten für die SPD erneut zu sichern und ihren CDU-Konkurrenten Malte Stuckmann hinter sich zu lassen. Sie beerbt den langjährigen SPD-OB Frank Baranowski, der nicht wieder antreten wollte. Die studierte Juristin und Verwaltungswissenschaftlerin ist die erste Frau in Gelsenkirchen auf diesem Posten. Seit zehn Jahren erst lebt sie dort und arbeitete zuletzt als Stadtdirektorin und Kämmerin. Die 57-Jährige will mehr Arbeitsplätze nach Gelsenkirchen holen und eine Bildungsoffensive für sozial benachteiligte Kinder starten. Im Stadtrat ist die AfD mit knapp 13 Prozent künftig die drittstärkste Fraktion noch vor den Grünen.

Hamm Marc Herter (SPD, 63,6 Prozent) hat seinen Sieg perfekt gemacht, und in Hamm geht damit eine Ära zu Ende, die 1999 begann. Herter ist in Hamm aufgewachsen, der 46-Jährige war dort schon vor seiner politischen Laufbahn in der Evangelischen Jugend aktiv. Gut vernetzt ist Herter als SPD-Fraktionsvize auch in der Landespolitik: Als einziger Genosse in NRW hat er wichtige Posten im Landesvorstand und der Landtagsfraktion. Jahrelang konnte er sich dabei auf die Unterstützung des langjährigen Strippenziehers Norbert Römer verlassen. Doch infolge der Niederlage bei der Landtagswahl 2017 musste sich Herter in einer Kampfkandidatur um den Fraktionsvorsitz Thomas Kutschaty geschlagen geben. In Hamm wartet auf Herter sofort eine große Bewährungsprobe im Corona-Management.

Köln Henriette Reker (parteilos, 59,5) hat sich als Oberbürgermeisterin durchgesetzt. Die 63-Jährige wurde bundesweit bekannt, als ein rechtsradikaler Attentäter sie mitten im Kommunalwahlkampf 2015 mit dem Messer lebensgefährlich verletzte. Zuvor hatte sich die gelernte Rechtsanwältin als Sozialdezernentin der Stadt Köln vorbehaltlos für die Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen eingesetzt. Das war dem inzwischen zu 14 Jahren Haft verurteilten Angreifer ein Dorn im Auge. Ihren Mut hat Reker auch als Oberbürgermeisterin der als unregierbar geltenden Domstadt nicht verloren. Der Kontakt zu den Kölnern blieb der Kommunalpolitikerin weiter wichtig. Das ist auch ihr größtes Plus als jetzt wiedergewähltes Stadtoberhaupt. In der Auseinandersetzung mit einer in der Regel widerspenstigen Verwaltung hat Reker nun eine zweite Chance. Sie kennt wie kaum eine andere die verschlungenen Wege, die in Köln eingeschlagen werden müssen, um etwas zu erreichen.

Mönchengladbach Mit dem Sozialdemokraten Felix Heinrichs (74,0) wird einer der jüngsten Oberbürgermeister das Rathaus führen. Er ist erst 31 Jahre alt, bringt aber politisch bereits reichlich Erfahrung mit. Heinrichs ist an seinem 14. Geburtstag der SPD beigetreten. Zwei Jahre später war er bereits Beisitzer im Parteivorstand. Der studierte Politologe und Historiker, der mit seiner Mutter ein Altenheim führt, hat in seinem Wahlkampf-Slogan „Mehr Mut“ versprochen. Durch einen frischen und professionellen Wahlkampf mit viel Präsenz auch in den sozialen Medien hat er Aufbruchstimmung vermittelt. Das kam bei den Wählern offenbar an. Denn inhaltlich unterschieden sich Heinrichs und sein Stichwahlgegner von der CDU, der Landtagsabgeordnete Frank Boss (59), als Groko-Partner gar nicht so sehr. Heinrichs setzt sich konsequent gegen Rechts und für die Anliegen der queeren Gemeinschaft ein. Zu seinen Themen zählen Digitalisierung, Verkehrspolitik mit Schwerpunkt Radverkehr und moderne Stadtverwaltung. Wie viel er davon umsetzen wird können, hängt auch davon ab, welche Mehrheit sich im Stadtrat findet. Möglich sind: Groko, Schwarz-Grün, Ampel und Rot-Grün-Rot.

Münster Markus Lewe (CDU, 52,6) hat es geschafft. Der Mann mit der Halbglatze und der markanten Brille ist seit 2009 Chef der Verwaltung der Fahrrad-, Studenten-, Bistums- und Einkaufsstadt Münster und geht in eine zweite Amtszeit. Da schmerzt es, dass er nicht auf Anhieb über die 50-Prozent-Marke sprang, sondern noch einmal in der zweiten Runde gegen Peter Todeskino von den Grünen antreten musste. Im Rat stellt Lewes CDU mit insgesamt 22 ein Drittel aller Sitze – hat allerdings nur zwei mehr als die Grünen. Lewe pflegt das Image des waschechten Münsteraners und fährt bei Wind und Wetter täglich zehn Kilometer mit dem Fahrrad zur Arbeit. Die Attraktivität der westfälischen Metropole ist inzwischen zu einem Fluch geworden. Bezahlbarer Wohnraum ist knapp. Das machte Lewe auch zum Thema seiner eineinhalbjährigen Präsidentschaft beim Deutschen Städtetag, deren Vizepräsident er bis heute ist.

Oberhausen Daniel Schranz (CDU, 62,0) kann aufatmen und geht in eine zweite Amtszeit. Sein Herausforderer von der SPD, der Sparkassenfilialleiter Thorsten Berg, schaffte es nicht, die sozialdemokratische Schmach von Oberhausen wiedergutzumachen. Zu zahm erlebten ihn viele im Wahlkampf. Schranz, Jahrgang 1974, ist gebürtiger Oberhausener. Früh engagierte er sich in der Jungen Union, war ab 2001 Fraktionschef im Stadtrat. Lange Zeit war der Politologe und Historiker für die Konrad-Adenauer-Stiftung NRW-Landesbeauftragter und Leiter deren Bildungswerks. An die Spitze der Oberhausener Stadtverwaltung schaffte er es unter anderem mit dem Versprechen, eine industriefreundlichere Politik zu betreiben und mehr für die Sicherheit und Sauberkeit im öffentlichen Raum einzutreten. Künftig will er den Kurs fortsetzen.

Rhein-Kreis Neuss Christdemokrat Hans-Jürgen Petrauschke (59,8 Prozent) bleibt Landrat im Rhein-Kreis Neuss. Der 64-jährige Jurist und Verwaltungswissenschaftler aus Grevenbroich hat sich in der Stichwahl gegen seinen Konkurrenten Andreas Behncke (SPD) durchgesetzt. Petrauschke geht jetzt in seine dritte Amtszeit. Im Wahlkampf setzte er vor allem auf das Thema Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung: „Der Kampf um Arbeitsplätze ist die wichtigste Aufgabe unserer Politik.“ Im Rhein-Kreis, als Energieregion geprägt durch Tagebau und Kraftwerke, bedeutet das angesichts des Ausstiegs aus der Braunkohle: Strukturwandel. Petrauschke wirbt für den Erhalt der energieintensiven Industrie – Chemie, Aluminium, Nahrungsmittel –, aber auch für die Ansiedlung neuer Unternehmen. Dafür setzt er auf schnelle Fortschritte beim Ausbau von Glasfaser-Netzen. Neue Mobilitätsangebote wie eine S-Bahn durchs Revier sollen die Region für Gewerbe und zum Wohnen attraktiver machen. Problem: Petrauschke und die CDU haben – auch mit ihren früheren Partnern FDP und UWG – keine Mehrheit im Kreistag. Schwierige Koalitionsgespräche stehen bevor.

Wuppertal Zuletzt war Uwe Schneidewind (53,5 Prozent) wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, ist aber unter anderem auch Mitglied im Club of Rome. Die „FAZ“ zählte ihn 2017 und 2019 zu den 100 einflussreichsten deutschen Ökonomen – nun ist er auch Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal. Als gemeinsamer Kandidat von CDU und Grünen, bei denen er seit 2005 Parteimitglied ist, stehen bei ihm die Themen Ökonomie und Ökologie ganz oben auf der Agenda, beispielsweise eine Verkehrswende in der Stadt einzuläuten weg vom Individualverkehr. Allerdings, wie der Vater von zwei Kindern stets betont, mit Augenmaß. Die Stadt bleibe hinter ihren Möglichkeiten zurück, lautet sein Credo. Eine Herausforderung wird es sein, die unterschiedlichen Vorstellungen seiner politischen Basis unter einen Hut zu bringen.

Von Kirsten Bialdiga, Ulrich Breulmann, Arne Lieb, Denisa Richters, Maximilian Plück, Sarah-Lena Gombert, Jörg Isringhaus, Martin Kessler, Frank Kirschstein, Albrecht Peltzer und Philipp Königs

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