Großbrand in Essen „Ich dachte nur: Sofort raus hier!“

Essen · Bei einem Feuer in einem Essener Wohnhaus verloren 128 Menschen ihr Zuhause. Drei Bewohner wurden leicht verletzt. Nun müssen Sachverständige klären, warum sich die Flammen in dem relativ neuen Gebäude so schnell ausbreiten konnten.

Feuer Essen: Wohnkomplex brennt, Feuerwehr im Großeinsatz - Fotos
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Wohnkomplex in Essen brennt – Feuer wehr im Großeinsatz

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Foto: dpa/Stephan Witte

Eine heftige Explosion riss Rick M. im vierten Stock eines Essener Wohnhauses kurz nach 2 Uhr morgens aus dem Schlaf. Wahrscheinlich waren irgendwo Fenster geplatzt, mutmaßt der 32-Jährige im Nachhinein. Noch schlaftrunken rannte er raus auf den Balkon. „Da sah ich schon die Flammen an der Fassade hochzüngeln“, erzählt M. „Mein erster Gedanke war: Sofort raus hier!“ Er schnappte sich seinen schon für eine Frankreich-Reise gepackten Rucksack und rannte mit seiner Freundin die vier Stockwerke nach unten. Wenige Minuten später habe der gesamte Wohnblock gebrannt. Rasend schnell habe sich das Feuer ausgebreitet. 

 Wie dem 32-Jährigen erging es fast 130 weiteren Mietern, die mitten in der Nacht durch Rauchgeruch oder die Polizei geweckt wurden. Olivier van Damme wurde wach, als Beamte im dritten Stock an seine Tür hämmerten. Erst dachte der 48-Jährige, es brenne etwas auf dem Dach, weil Funken vor dem Fenster vorbeiflogen, dann entdeckte er erst das Ausmaß des Feuers. Van Damme und seine Frau schnappten sich das Nötigste und flüchteten durchs Treppenhaus. Insgesamt 35 Wohnungen brannten in dem Wohnkomplex nahe des Universitätsgeländes völlig aus, weitere wurden durch Rauch und Löschwasser massiv beschädigt. Drei Menschen mussten mit einer leichten Rauchvergiftung ins Krankenhaus, Tote gab es glücklicherweise keine.

 Am Vormittag zeigen sich etliche der Bewohner, die kurzzeitig im Hörsaal-Zentrum der Universität betreut wurden, überrascht darüber, wie rasant sich der Brand entwickelte. In Minutenschnelle habe der gesamte Komplex in Flammen gestanden. Von mangelhaftem Brandschutz wird unter den Bewohnern gemunkelt, auch von Brandstiftung. Indizien dafür gibt es nicht, Polizei und Sachverständige wollen schnell die Ursache ermitteln. Aber auch ein Feuerwehrsprecher zeigte sich überrascht von der „massiven Brandausbreitung“. Ausgegangen sein soll das Feuer von einem Balkon; der starke Wind habe dafür gesorgt, dass sich das Feuer dann rasend schnell über die Fassade und Balkone ausdehnte. Das Gebäude mit einer Fassadenlänge von etwa 65 Metern mit viereinhalb Geschossen sei mit einer Wärmedämmverbundfassade ausgestattet.

 Der Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbands und Sachverständige für Vorbeugenden Brandschutz, Frank Hachemer, bestätigte diese erste Einschätzung. Eine Ausbreitung des Feuers im Inneren sei aufgrund der heutigen Brandschutz-Vorschriften kaum noch so einfach möglich. „Die Decken sind selbst schon Brandschottungen, die eigentlich gar nicht ohne weiteres durchbrochen werden können, so dass ein Feuer meist in einem Zimmer gefangen bleibt“, erläuterte der Brandschutz-Experte. Von dem Wohnkomplex steht nur noch eine größtenteils ausgebrannte Ruine. Statiker bewerteten das Gebäude als teilweise einsturzgefährdet, deshalb ist noch unklar, wann es wieder betreten werden kann. Auch umliegende Häuser wurden durch die Wärmeabstrahlung des Feuers beschädigt, unter anderem platzten Fensterscheiben und schmolzen Rollläden. 

 Der zerstörte Komplex war ein Neubau von 2015, der gemäß den Bauvorschriften mit Brandschutztüren gegen eine schnelle Verbreitung eines Feuers ausgestattet war. Die Brandschutztüren seien zuletzt im März 2021 gewartet worden, sagte ein Sprecher des Hauseigentümers Vivawest Wohnen GmbH. Die Dämmung des Hauses erfolgte überwiegend mit Mineralfaserplatten, weil diese weniger brandanfällig als Polysterol-Dämmstoffe seien.

 Insgesamt 128 Menschen haben ihre Wohnung und viele von ihnen ihr Hab und Gut verloren. Gabriele Wißmann ist eine von ihnen. Die 62-Jährige lebte im Erdgeschoß des Gebäudes. Ihre Wohnung sei total zerstört, erzählt sie. „Ich besitze nur noch das, was ich angezogen habe. Aber wichtig ist, dass es allen gutgeht. Alles andere ist ersetzbar.“ Die Mehrzahl der Betroffenen hatte sich am Montag selbst eine vorübergehende Bleibe organisiert, 27 Menschen müssten für einen längeren Zeitraum untergebracht werden, hieß es. Vivawest hatte den Bewohnern kurzfristig Zimmer in umliegenden Hotels angeboten. Auch Bürger meldeten sich und stellten Gästezimmer zur Verfügung. Die Stadt half zudem mit  Medikamenten, Hygieneartikeln und Kleidung für den aktuellen Bedarf aus, außerdem wurde für die Betroffenen ein Spendenkonto eingerichtet.

 Von dem Wohnkomplex in Essen blieb nur eine Ruine.

Von dem Wohnkomplex in Essen blieb nur eine Ruine.

Foto: dpa/Fabian Strauch

Rick M. setzt erstmal auf die Hilfe von Freunden, die ihn aufnehmen. Dank seiner geplanten Reise ist ihm mehr geblieben als vielen anderen. „Ich hatte auch noch einen gepackten Koffer, aber den habe ich stehen lassen“, sagt er. „So habe ich immerhin Laptop, Handy und Portemonnaie.“  

(mit dpa)
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