Psychologin "Grabschändung ist Angriff auf Persönlichkeit"

Düsseldorf · In Unterrath sollen zwei 15 und zwölf Jahre alte Jungen mehr als 30 Gräber verwüstet haben. Für die Angehörigen der Toten ist das eine Katastrophe, sagt die Psychologin Susanne Altweger.

 Auf mindestens 18 Gräbern zerschlugen die Jugendlichen Grabschmuck und zerstörten die Bepflanzungen.

Auf mindestens 18 Gräbern zerschlugen die Jugendlichen Grabschmuck und zerstörten die Bepflanzungen.

Foto: Andreas Endermann

Was bedeutet die Zerstörung des Grabes eines geliebten Menschen für die Angehörigen?

Altweger Das ist zuerst einmal ein Schock wie nach einem Einbruch. Denn es ist immer ein Angriff auf die Persönlichkeit, den ganz privaten Bereich.

Wobei die Schäden an einem Grab anders wahrgenommen werden als eine andere Sachbeschädigung.

Altweger Ja. Denn ein Grab erfüllt auch das Bedürfnis der Menschen nach Ritualen. Indem wir die Gräber besuchen, lassen wir die Verbindung zu den Verstorbenen nicht abreißen. Auch das Aufstellen von Kerzen oder Blumen stellt eine symbolische Brücke zwischen Diesseits und Jenseits her. Ein Freundin, deren Mutter gerade gestorben war, formulierte es so: "Das Grab ist ein Symbol, dass der Verstorbene eine Spur hinterlässt". Das zu zerstören — das ist wie ein Riss im Universum.

Der oft dauerhafte Folgen hat.

Altweger Auf den Schock folgt nach jedem traumatischen Erlebnis üblicherweise die Phase der Relativierung, in der man sich mit dem Geschehen auseinandersetzt. Danach sind wir in der Lage, die Dinge einzuordnen, uns zu beruhigen. Aber es kann durchaus passieren,

dass der Besuch des Friedhofs, der eigentlich tröstend und meditativ erlebt wird, plötzlich mit Ängsten besetzt ist und bleibt.

Warum häufen sich gerade im November solche Taten?

Altweger Zum einen, wie bei Einbrüchen auch, weil es früher dunkel ist. Aber gerade für Jugendliche spielen auch die Gedenktage wie Totensonntag oder Allerheiligen eine Rolle. Da geht es dann um Mutproben, um den Gruselfaktor, um die Lust an der Angst.

Dafür muss man aber nicht gleich Gräber verwüsten.

Altweger Natürlich nicht. Damit wird eine Grenze überschritten, die sich vielleicht damit erklären lässt, dass diese Jugendlichen nicht wissen, was sie tun, dass es ihnen schwer fällt , sich in das Seelenleben anderer hineinzuversetzen.

Was sagt das über diese Täter aus?

Altweger Oft spielt Alkohol eine Rolle, dann hat das etwas mit Kontrollverlust zu tun. Wo kein Alkohol im Spiel ist, pure Mutwilligkeit dazu führt, da muss man schon von einer seelischen Verwahrlosung ausgehen, einem völligen Mangel an Empathie.

Spielen die Rituale, von denen Sie sprachen, heutzutage vielleicht auch eine viel kleinere Rolle?

Altweger Ganz sicher. Die Friedhofskultur wird heute längst nicht mehr so gepflegt wie früher, wo der Grabbesuch zu Allerheiligen etwa noch in den Familien zelebriert wurde. Und damit verlieren auch die Kinder und Jugendlichen den Bezug dazu — und vielleicht auch den Respekt davor.

Was macht man mit solchen Tätern?

Altweger Ein einigermaßen intaktes Elternhaus kriegt das sicher mit Erziehungsmaßnahmen wieder hin. Wenn es das nicht gibt — dann droht eine Abwärtsspirale, wenn der Rohheit nichts entgegengesetzt wird.

Was halten Sie da von einem Täter-Opfer-Ausgleich?

Altweger Das wäre ein ausgezeichneter Ansatz. In einem direkten Gespräch mit den Betroffenen bekommen die Täter eine Rückmeldung und damit die Chance, zu erkennen was sie angerichtet haben. Und vielleicht auch, etwas wieder gut, wieder heil zu machen — etwa, indem sie bei der Grabpflege helfen. Auch für die Betroffenen kann so eine Begegnung durchaus hilfreich sein.

Grabschändungen, Diebstähle von Gräbern, Überfälle auf Friedhofsbesucher — solche Meldungen gibt es immer wieder. Haben Sie einen praktischen Tipp, wie man dort mehr Sicherheit schafft?

Altweger Ehrlich gesagt halte ich das für eine Illusion. Friedhöfe sind Orte der Stille. Und sie sind so unsicher wie jeder andere, nicht belebte Platz. Man kann auch nicht wie am Bahnhof Sicherheitsdienste herumlaufen lassen — das will ja auch niemand. Ich empfehle deshalb vor allen Dingen, nur im Hellen zum Friedhof zu gehen, und das zu Zeiten, in denen es auch viele andere Menschen tun.

Stefani Geilhausen stellte die Fragen.

(RP/jco/top)
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