TV-Zweiteiler in der ARD Gladbecker Geiseldrama - 54 Stunden Nervenkrieg

Gladbeck · Das Geiseldrama von Gladbeck hatte im August 1988 drei Tage lang für bundesweite Bestürzung und ungläubiges Entsetzen gesorgt. In einem TV-Zweiteiler zeigt die ARD die tödliche Geiselnahme. Die Opfer fühlen sich bis heute vom Staat allein gelassen.

Die Geiselnahme von Gladbeck
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Das Geiseldrama von Gladbeck

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Das bis dahin für undenkbar gehaltene Gewaltverbrechen mit unfassbaren Polizeipannen, journalistischer Sensationsgier und zu allem entschlossenen Tätern beginnt am 16. August 1988 um 7.45 Uhr in einer Filiale der Deutschen Bank in Gladbeck-Rentfort. Hans-Jürgen Rösner (31) und Dieter Degowski (32) betreten bewaffnet die Bank und nehmen zwei Angestellte als Geiseln. "Wir wollen 300.000 Mark in bar. Kleine Scheine, von zehn bis 100", fordert Rösner von der Polizei am Telefon. Und einen Fluchtwagen und Handschellen will er haben.

Das Geiseldrama von Gladbeck hatte im August 1988 drei Tage lang für bundesweite Bestürzung und ungläubiges Entsetzen gesorgt. Zwei junge Menschen wurden von den Tätern kaltblütig erschossen, die 18-jährige Silke Bischoff und der 15-jährige Emanuele De Giorgi. Zudem kam ein Polizist ums Leben. Erstmals übertrugen Fernsehsender ein Verbrechen teilweise live. Zum Zeichen ihrer Entschlossenheit hielten die Gangster den Geiseln vor laufenden Kameras immer wieder die Pistole an den Kopf. Die Bilder gingen unter die Haut.

"Trauma von Gladbeck braucht unsere kollektive Empathie"

Im TV-Zweiteiler "Gladbeck" zeigt das Erste ab diesem Mittwoch die tödliche Geiselnahme als Spielfilm. Regisseur Kilian Riedhof will die "Erschütterung und Ohnmacht", die er selber damals empfunden habe, auf das Publikum übertragen. "Filme dürfen nicht im Kopf stecken bleiben, sie müssen uns bewegen. Das Trauma von Gladbeck braucht unsere kollektive Empathie, um verarbeitet zu werden", sagt der 46-Jährige. Im Zentrum dieses 54-stündigen, nicht enden wollenden Alptraums stehe für ihn die Begegnung mit dem Animalischen, dem Asozialen, dem Monströsen.

"Gladbeck" sei kein Dokudrama, sondern ein verdichtender Spielfilm mit fiktiven Elementen, sagt er. Erzählt wird aus verschiedenen Blickwinkeln - aus Sicht der Geiselgangster, der Opfer, der Polizei und der Journalisten. Wert wird auf größtmögliche Faktentreue gelegt, bis hin zu Bewegungsabläufen und Körpersprache von Tätern und Opfern. Gedreht wurde zum Teil an den Originalschauplätzen.

Die Schauspieler wurden bewusst so ausgewählt, dass sie den damaligen Opfern und Tätern zum Verwechseln ähnlich sehen. Sie sehen sogar so echt aus, dass selbst die Mutter der damals erschossenen Silke Bischoff ihre Tochter im Film wiedererkannt hat. "Die war so was von echt. Ich dachte: Da ist meine Silke wieder. Mein Kind", sagte Karin R. in einem Interview mit dem "Stern".

Darin gibt sie dem damaligen Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Schnoor (SPD), eine Mitschuld am Tod ihrer Tochter. "Die Polizei hat ja nur zugeguckt, als die Gangster aus der Bank raus sind und aus Gladbeck weggefahren sind. Und später wurde auf der Autobahn ohne Rücksicht auf das Leben der Geiseln zugeschlagen. Die haben Krieg gespielt."

Bizarres Spektakel in Köln

Nachdem die Polizei auf die Forderungen der Geiselnehmer in der Bank eingegangen war, fuhren Rösner und Degowski unter den Augen der Polizisten und im Blitzlichtgewitter der Presse mit den beiden Geiseln und dem Lösegeld davon. Noch in Gladbeck stieg ihre Komplizin Marion Löblich (34) zu, Rösners Freundin. Sie fuhren weiter Richtung Bremen. Dort brachten sie einen Nahverkehrsbus mit etwa 30 Fahrgästen, darunter Kinder, in ihre Gewalt. Wieder gaben sie Journalisten Interviews. Und erneut griff die Polizei nicht ein.

Dann ließen die Gangster die beiden Bankangestellten an der Raststätte Grundbergsee frei. Als die Polizei die Komplizin Löblich überwältigte und auf die Forderung der Gangster, sie wieder freizulassen, nicht sofort einging, erschoss Degowski Emanuele De Giorgi. Die Polizei gab Löblich wieder frei. Der Bus fuhr Richtung Niederlande. Bei der Verfolgung verunglückte ein Polizeiwagen. Ein Beamter starb.

Kurz hinter der niederländischen Grenze wurden nach einem Schusswechsel fast alle Geiseln freigelassen. Nur Silke Bischoff und ihre Freundin Ines V. nicht. Mit ihnen setzten die Geiselgangster ihre Flucht in einem neuen Wagen fort. In Köln kam es dann zu einem bizarren Spektakel. In der Innenstadt umringten Passanten, Fotografen und Fernsehteams den Fluchtwagen. Ein Journalist setzte sich mit ins Auto und lotste die Kriminellen zur Autobahn.

Opfer werden oftmals mit ihrem Schicksal allein gelassen

Aus heutiger Polizeisicht ist ein solches Geiseldrama undenkbar. Die Einsatztaktik wurde grundlegend überarbeitet, der Presserat legte fest, dass es Interviews mit Tätern während des Geschehens nicht geben darf. Die Sicherheitsbehörden würden viel früher eingreifen und es nicht zulassen, dass Geiselnehmer Fernseh-Interviews geben und Reporter sogar die Verhandlungen führen, und das alles, während Polizisten danebenstehen und nichts tun.

Mit den heutigen technischen Möglichkeiten wäre das Drama von damals vermutlich schon in der Bank beendet worden. Die Polizisten lernen heute in ihrer Ausbildung aus den Fehlern, die die damaligen Gesetzeshüter begangen haben - wie, den Geiselnehmern nie die Initiative zu überlassen.

Was sich allerdings seitdem kaum geändert hat, ist der Umgang des Staates mit den Opfern. Nach wie vor werden sie nach Katastrophen wie der Loveparade und Terroranschlägen wie auf dem Berliner Weihnachtsmarkt oftmals allein gelassen mit ihrem Schicksal. Johnny Bastiampillai erlebte das Drama als Siebenjähriger mit seiner Mutter. Sie waren Monate zuvor aus dem Bürgerkrieg in Sri Lanka geflohen. Lange litt die Mutter unter Schuldgefühlen, weil sie nichts ahnend ihre Familie in den Bus gelotst hatte.

"Sie wird das definitiv nie in ihrem Leben vergessen", erzählt er in der Dokumentation "Das Geiseldrama von Gladbeck - Danach war alles anders", die in der ARD im Anschluss an den Zweiteiler ausgestrahlt wird. Sie habe immer noch Angst und werde das wohl nie verarbeiten. Es sei einfach nur traurig, wie danach von staatlicher Seite damit umgegangen worden sei. "Es ist keine Hilfestellung geleistet worden", sagt er. "Mit uns hat nie wieder ein Mensch über die Situation gesprochen."

"30 Jahre später bleibt die Wut in mir"

Trauer um die Opfer und Wut auf die Täter besteht auch in der Familie De Giorgi, die den 15-jährigen Emanuele verlor: "30 Jahre später bleibt die Wut in mir", sagt seine Schwester Tatiana, die damals mit ihm im gekaperten Bus saß, in der TV-Dokumentation. Die Familie De Giorgi ging zurück nach Italien, weil sie es in Bremen nicht mehr aushielt.

Die beiden Täter wurden 1991 unter anderem wegen Geiselnahme mit Todesfolge und Mordes sowie versuchten Mordes zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Degowski ist seit wenigen Wochen wieder auf freiem Fuß. Der 61-Jährige konnte die Justizvollzugsanstalt Werl mit neuer Identität, die ihm nach der Haft ein anonymes Leben erlauben soll, verlassen. Haupttäter Rösner sitzt hingegen weiterhin in Haft. "Ich halte ihn nach wie vor für brandgefährlich. Er ist das Paradebeispiel eines Schwerverbrechers, der sich nicht ändert. Ich kann nur warnen, ihn rauszulassen", sagt Peter Brock, Vorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten.

Silke Bischoff starb durch eine Kugel aus Rösners Waffe. Mit ihrem Tod endete das Geiseldrama nach 54 Stunden bei einem umstrittenen Polizeieinsatz auf der A 3 hinter Siegburg. Rösner hatte den Fluchtwagen, einen grauen 7er BMW, auf der Autobahn gestoppt, um nach den Verfolgern Ausschau zu halten. Der Einsatzleiter der Polizei befahl daraufhin den Zugriff: "Nicht mehr anfahren lassen."

Doch das ging schief. Der ferngesteuerte Zündunterbrecher war nicht rechtzeitig zur Hand. Rösner fuhr wieder los. Der daraufhin erfolgte Rammstoß eines SEK-Mercedes misslang, erwischte den BMW nur an der Hinterachse. Es folgte ein heftiger Schusswechsel, in dessen Verlauf Rösner Bischoff erschoss. Danach ergaben sich die Kriminellen. Dutzende Fotografen und Reporter stürmten umgehend Richtung Fluchtwagen. Der anwesende Staatsanwalt antwortete auf die Frage eines Journalisten: "Wer liegt unter der weißen Plane?" knapp: "Eine Geisel."

(csh)
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