Vorwurf des Machtmissbrauchs an NRW-Hochschulen „Ich machte Liegestütze bei ihm zu Hause, dann hat er meine Brust angefasst“

Gelsenkirchen · Studierende werfen einem Professor der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen Machtmissbrauch vor. Auch Studenten einer anderen Hochschule erheben nun Vorwürfe gegen ihn. Was die Betroffenen sagen und wieso sie jetzt erst an die Öffentlichkeit gehen.

 Studierende der Westfälischen Hochschule werfen einem Professor Machtmissbrauch vor.

Studierende der Westfälischen Hochschule werfen einem Professor Machtmissbrauch vor.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Als Malte* am Montag den Bericht der Funke-Mediengruppe über einen Professor an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen liest, kommen ihm sofort Erinnerungen an seine Studienzeit ins Gedächtnis. „Genau das, was darin von Studenten geschildert wird, ist mir ebenfalls widerfahren – und das vom selben Mann“, sagt Malte im Gespräch mit unserer Redaktion. „Ich habe auch bei ihm studiert, aber in einer anderen Stadt.“  Was er mit ihm gemacht habe, meint Malte, sei krasser Machtmissbrauch gewesen.

Einem Dozenten der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen wird von Studenten vorgeworfen, sie bedrängt und seine Macht als Professor missbraucht zu haben. Die „WAZ“ hatte zuerst über den Fall berichtet. Nach Angaben der Lehranstalt wurden der Hochschulleitung Ende vergangenen Jahres sechs Fälle gemeldet. „Zum Schutz der betroffenen Studierenden und aus rechtlichen Gründen dürfen wir zu dem konkreten Fall keine weiteren Aussagen treffen, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt“, sagt Bernd Kriegesmann, Präsident der Westfälischen Hochschule. Der Hochschulleitung sei im November 2022 von Studierenden Vorwürfe eines grenzüberschreitenden Machtmissbrauchs durch eine lehrende Person zur Kenntnis gebracht worden, berichtet er. „Unmittelbar nach Bekanntwerden haben wir Maßnahmen ergriffen, um etwaigen weiteren Machtmissbrauchsfällen vorzubeugen“, betont Kriegesmann.

Die ihn rechtlich vertretende Kanzlei hat unserer Redaktion auf Anfrage mitgeteilt, dass ihr Mandant die Vorwürfe gegen ihn ganz grundsätzlich bestreitet, so wie sie derzeit dargestellt und in welchen Zusammenhang sie gebracht werden.

Der Lehrende hat nicht nur in Gelsenkirchen, sondern auch an einer Hochschule in einer rheinischen Großstadt unterrichtet; dort hat auch Malte studiert. Die ehemaligen Studenten, mit denen unsere Redaktion gesprochen hat, haben anfangs einen guten Eindruck von ihm gehabt. „Er hat sich für mich schnell als Mentor und Vertrauensperson dargestellt. Ich hatte das Gefühl, dass er mich auch ein wenig pusht. Das fand ich ganz cool, weil ich zu Beginn des Studiums keinen richtigen Plan hatte vom Uni-Leben“, sagt Malte. „Gerade in den ersten Wochen war das wichtig für mich. So hatte ich eine Bezugsperson, an die ich mich wenden konnte, wenn irgendetwas sein sollte. Dieses Gefühl hatte ich jedenfalls“, berichtet Malte.

Dann aber habe sich das Verhalten des Dozenten geändert. „Schnell wurde ich alle zwei bis drei Monate zu ihm nach Hause eingeladen. Da hatte ich schon ein komisches Gefühl dabei. Und innerhalb des Studiengangs wurde dann auch getuschelt, dass es schon komisch sei, so oft zu einem Dozenten nach Hause eingeladen zu werden“, so Malte. Auch zwei andere Studenten, mit denen unsere Redaktion gesprochen hat, berichten über Einladungen zu ihm nach Hause.

Die Gespräche bei ihm zu Hause seien dann häufig schnell privat geworden. „Er hat mich dann irgendwie dazu gebracht, ihm zu zeigen, wie viele Liegestütze ich machen kann. Er sagte mir dann, dass er irgendwelche Atemübungen kenne und man dafür den Oberkörper freimachen müsse. Dann hat er meine Brust angefasst. Das war der erste wirkliche Moment, als ich dachte, das geht über das normale Merkwürdigsein hinaus“, so Malte. Er sei relativ häufig beim Professor zu Hause gewesen. „Ich habe jedoch nie bei ihm geschlafen. Aber er hat mir das Angebot gemacht, bei ihm auf der Couch zu übernachten“, so Malte.

Malte lässt das über sich ergehen, nimmt die Gegebenheiten hin. Auch, wie er sagt, weil er in einer Art Abhängigkeitsverhältnis zu dem Professor gestanden habe. „Ich habe bei ihm meine Bachelorarbeit geschrieben. Ich hatte Sorge, dass er mir etwas verbauen kann“, so Malte. „Vielleicht war ich deshalb nicht in der Lage zu sagen, ich will das alles nicht“, sagt Malte. Stattdessen habe er das zunächst für sich behalten. „Das ist ja ein sensibles Thema. Als Mann in so eine Situation zu geraten, darüber spricht man nicht so gerne. Das ist unangenehm“, meint er.

Erst als ein weiterer Kommilitone ihm von ähnlichen Erfahrungen berichtet, habe er gewusst, dass nicht nur er allein betroffen sei. Die beiden erwogen, sich bei einem Vertrauensdozenten zu melden, entschieden sich letztlich aber doch dagegen. „Wir haben es nicht gemacht, weil er rein rechtlich gesehen ja erst einmal nichts Strafbares gemacht hat. Das Berühren war zwar komisch, aber er hat mich ja nicht im klassischen Sinn missbraucht“, erklärt Malte. „Wir hatten das Gefühl, was sagen zu müssen. Wir waren andererseits aber froh, es nicht gemacht zu haben, weil wir das nur hinter uns lassen wollten.“

Stefan (Name geändert) hat von 2013 bis 2017 unter dem Beschuldigten studiert. „Er hatte ein Faible für die Jungs, die weniger selbstbewusst waren und eine schwierige Gesamtsituation hatten – also etwa finanzielle Probleme. Das Getuschel um ihn gab es nicht nur in unserem Jahrgang, sondern auch in anderen Jahrgängen“, sagt Stefan. Er selbst habe zwar keine entsprechenden Begegnungen mit dem Dozenten gehabt; ihm sei aber das Verhalten des Beschuldigten schnell aufgefallen. „Er hat einem Freund von mir regelmäßig Whatsapp-Nachrichten geschickt und ihn oft angerufen“, so Stefan.

Nicht nur bei Malte und Stefan sind die Erinnerungen an ihr Studium jetzt wieder präsent. Viele Studenten, die unter dem Beschuldigten studiert haben, tauschen sich derzeit über das Verhalten des Dozenten aus – insbesondere in Whatsapp-Gruppen. Marina (Name geändert) hat unter ihm in Gelsenkirchen studiert. „Mir ist wirklich ganz übel, wenn ich an den Professor denke. Auf meinem Abschlussfoto steht er sogar neben mir. Das Bild kann ich mir jetzt nicht mehr ansehen“, sagt sie.

Unabhängig von diesem Fall geht die Westfälische Hochschule nach eigenen Angaben Vorwürfen zur Diskriminierung jedweder Art unmittelbar nach. Der Umgang mit solchen Fällen verlaufe dabei entlang klar geregelter dienstrechtlicher Verfahren. „Dazu gehört auch – wie in diesem Fall – die vorläufige Dienstenthebung und die Einleitung eines Disziplinarverfahrens“, sagt der Leiter der Hochschule.

Die FDP fordert angesichts des Vorfalls nun ein Frühwarnsystem für Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung. „Vorfälle, wie sie von der Westfälischen Hochschule berichtet werden, dürfen sich nicht wiederholen. Besonders irritierend ist es, dass der verdächtigte Professor der Westfälischen Hochschule, dem Bericht der „WAZ“ nach, offenbar über lange Zeit ein Verhaltensmuster des Machtmissbrauchs entwickeln und aufrechterhalten konnte“, sagte Franziska Müller-Rech, Sprecherin für Gleichstellung in der FDP-Landtagsfraktion NRW. „Es muss sichergestellt sein, dass Formen sexualisierter Belästigung und Gewalt an den Universitäten in Nordrhein-Westfalen verhindert, mindestens frühzeitig unterbunden werden können“, so die FDP-Politikerin weiter. Sie sehe hier ein Muster und akuten Handlungsbedarf. Die FDP fordert daher Anlaufstellen in den Fachhochschulen und Universitäten. „Es braucht Informationsangebote und Beratungsstellen, speziell für Studentinnen und Studenten und für das Hochschulpersonal. Fortbildungen zum Themenkomplex Machtmissbrauch, sexualisierte Belästigung und Gewalt sollten für alle Führungskräfte an Hochschulen in NRW verpflichtend sein“, so Müller-Rech.

Deutsche Professoren haben jetzt öffentlich Kritik am deutschen Wissenschaftssystem geübt. In einem offenen Brief, der unter anderem an Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) gerichtet ist, fordern die Professoren Instrumente, die Machtmissbrauch an den Hochschulen verhindern. Demnach zählt unter anderem zu Machtmissbrauch: ungerechtfertigte Übertragung von Aufgaben an Mitarbeitende, die systematische Überlastung mit Arbeit, die willkürliche Ausübung von Entscheidungsgewalt, sexuelle Belästigung und Nötigung.

Malte hofft, dass künftig keine weiteren Studenten ähnliche Erfahrungen machen müssen wie er. „Man unterschätzt in der öffentlichen Wahrnehmung, dass Männer ihre Machtposition nicht nur gegenüber Frauen ausnutzen, sondern auch gegenüber Männern. Ich kann es zwar nicht richtig beurteilen, aber es ist für einen männlichen Studenten wie mich vielleicht noch ein größeres Tabu als bei Frauen. Männer müssen irgendwie stark wirken, trauen sich nicht, darüber zu sprechen.“

*Namen der Studierenden geändert

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