Straßenbahnfahrer in Bonn bewusstlos „Man ist mit mir umgesprungen wie mit einem Schwerverbrecher“

Bonn · Erstmals nach der dramatischen Geisterfahrt auf der Linie 66 zwischen Siegburg und Bonn meldet sich der Fahrer zu Wort. Er weist den Verdacht zurück, vor seinem Zusammenbruch Drogen genommen zu haben - und erhebt Vorwürfe gegen Polizei und Stadtwerke.

 Die Bahn der Linie 66 kam in der Nacht zum 22.Dezember erst in der Nähe der Haltestelle Adelheidisstraße zum Stehen. (Archivbild)

Die Bahn der Linie 66 kam in der Nacht zum 22.Dezember erst in der Nähe der Haltestelle Adelheidisstraße zum Stehen. (Archivbild)

Foto: Benjamin Westhoff

Nach der Geisterfahrt der Linie 66 im Dezember weist der Straßenbahnfahrer den Verdacht zurück, dass er unter Drogeneinfluss gestanden haben könnte. Das stimme definitiv nicht, erklärte der 47-jährige Familienvater dem GA am Dienstag – und brach damit erstmals sein bisheriges Schweigen in der Öffentlichkeit. Er habe auch keinen epileptischen Anfall erlitten, sondern sei stark unterzuckert gewesen, sagte der Bonner, der anonym bleiben will. Das habe dazu geführt, dass er in der Nacht auf den 22. Dezember das Bewusstsein verloren habe.

Die Straßenbahn war gegen 0.33 Uhr mit zwei Waggons aus Siegburg in Richtung Bonn gestartet. In Höhe Sankt Augustin Zentrum fiel der 47-Jährige im Fahrersitz in Ohnmacht; die Bahn raste minutenlang mit Tempo 80 führerlos durch die Nacht, wobei sie mehrere Bahnübergänge passierte, deren Schranken noch oben waren. Beherzte Fahrgäste traten nach telefonischer Anweisung aus der Leitstelle der Stadtwerke Bonn (SWB) das Türfenster der Fahrerkabine ein und brachten die Bahn gegen 0.42 Uhr an der Haltestelle Adelheidisstraße in Beuel zum Stehen. Die Sicherheitsfahrschaltung, die derartige Geisterfahrten verhindern soll, funktionierte aus unklaren Gründen nicht.

„Wie mit einem Schwerverbrecher“

„Ich bin absolut froh, dass niemandem etwas passiert ist“, betonte der inzwischen entlassene Fahrer am Dienstag. „Aber wie die Polizei und die Stadtwerke mich behandelt haben, das war nicht in Ordnung.“ Schon vor Ort an der Adelheidisstraße sei man mit ihm umgesprungen „wie mit einem Schwerverbrecher“, nachdem er gerade wieder zu Bewusstsein gekommen war.

Als er versucht habe, den lauten Klingelton der Bahn abzustellen, habe ihn eine Polizistin angeblafft und auf den Sitz zurück gestoßen. Er habe seinen Haustürschlüssel und sein Handy abgeben müssen: Denn noch in derselben Nacht habe die Polizei eine Hausdurchsuchung bei ihm durchgeführt, nachdem er in einer Klinik ambulant versorgt worden sei. Seine Frau und die Kinder, neun und sechs Jahre alt, seien in der Wohnung gewesen, als zwei Kripo-Beamte in Zivil gegen 3 Uhr mit ihm das Wohnzimmer betreten und Schränke überprüft hätten. „Sie haben sich meine Medikamente zeigen lassen und sie fotografiert“, sagte der Bonner. Er leide seit seiner Jugend unter Epilepsie, habe aber seit etwa zehn Jahren keine Anfälle mehr erlitten.

15 Stunden vor Dienstantritt zuletzt gegessen

Seinen Zusammenbruch in der Bahn könne er sich nur damit erklären, dass er rund 15 Stunden nichts gegessen habe. „Wir waren am Nachmittag noch zu Besuch bei Verwandten, und ich hatte vor Dienstantritt meine Brotdose vergessen.“ Er könne sich daran erinnern, dass er in der Bahn das Gefühl gehabt habe, einen allmählichen Kreislaufkollaps zu erleiden. Er habe vorher eine Dose Redbull getrunken, aber auf gar keinen Fall Drogen konsumiert. Allerdings heißt es in Behördenkreisen, dass ein erster Bluttest positiv gewesen sein soll. Demnach könnte der 47-Jährige eine Ecstasy-ähnliche Substanz genommen haben. Offiziell äußern sich weder Polizei noch Staatsanwaltschaft. Das rechtsmedizinische Gutachten zu der Blutuntersuchung steht noch aus. Gegen den Bonner laufen Ermittlungen wegen des Verdachts auf gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr.

Der 47-Jährige, ein ehemaliger Handwerker, war noch nicht lange bei den Stadtwerken. Bei der Einstellungsuntersuchung hatte er nach eigenen Angaben nicht auf seine Epilepsie hingewiesen. „Das hätte ich auch nur dann tun müssen, wenn der Arzt mich konkret gefragt hätte“, unterstrich der Bonner. Die Stadtwerke kündigten ihm nach der Geisterfahrt. Die psychologische Betreuung im Auftrag der SWB sei sofort nach der Entlassung beendet worden, berichtete der Mann. „Jetzt suche ich nach einem Therapeuten. Ich brauche Hilfe, weil mir das alles so nah geht.“ Die SWB äußerte sich am Dienstag „aus datenschutzrechtlichen Gründen“ nicht zu den Aussagen des Ex-Fahrers.

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