30 Jahre Gladbeck Was Medien und Polizei aus dem Geiseldrama gelernt haben

Gladbeck · 54 Stunden dauerte die Geiselnahme - am Ende waren zwei Geiseln tot, ein Polizist starb während des Einsatzes bei einem Verkehrsunfall. Polizei und Presserat zogen damals Konsequenzen aus dem Desaster.

 Der Wagen mit den Geiselnehmern wird am 18.08.1988 in Köln von Journalisten umringt.

Der Wagen mit den Geiselnehmern wird am 18.08.1988 in Köln von Journalisten umringt.

Foto: dpa/Hartmut Reeh

Die Brutalität der Gangster, folgenschwere Polizeifehler und Grenzüberschreitungen durch Journalisten haben das Gladbecker Geiseldrama vor 30 Jahren zu einem unrühmlichen Kapitel Kriminalgeschichte gemacht. Am Ende waren zwei Geiseln tot, ein Polizist starb während des Einsatzes bei einem Verkehrsunfall. 54 Stunden dauerte der Krimi. Polizei und Presserat zogen damals Konsequenzen aus den Fehlern, um zu verhindern, dass sich ein Fall wie Gladbeck wiederholt.

  • Polizeidesaster beim Zugriff

Während der Flucht der Geiselnehmer Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski, die zwischen dem 16. und 18. August 1988 durch den Nordwesten Deutschlands und die Niederlande führte, hatte die Polizei Zugriffsmöglichkeiten ungenutzt gelassen. Als sie schließlich auf der Autobahn unweit von Köln das Geiseldrama beendete, lief der finale Zugriff aus dem Ruder: Erst nach einer wilden Schießerei wurden die Täter festgenommen.[Link auf https://rp-online.de/panorama/deutschland/dieter-degowski-chronologie-des-geiseldramas-von-gladbeck-1988_aid-11489645]

  • Interviews mit Geiselnehmern

Erschwert wurde der gesamte Gladbeck-Einsatz der Polizei durch einige Journalisten. Sie beschränkten sich nicht auf ihre Rolle als Beobachter, sondern führten Interviews mit den Schwerverbrechern und traten teils sogar als Vermittler zwischen Gangstern und der überforderten Polizei auf. Vor allem Rösner nutzte die Möglichkeit der Selbstinszenierung, die ihm Medienvertreter während der Tat boten.

Die Geiselnahme von Gladbeck
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Das Geiseldrama von Gladbeck

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  • "Mein Kumpel ist brandgefährlich"

Ein Beispiel: Nachdem die beiden Kriminellen am zweiten Tag des Geiseldramas in Bremen-Huckelriede einen vollbesetzten Linienbus gekapert hatten, ließ sich Rösner vor dem Bus mit der Waffe in der Hand interviewen. Er und sein Komplize hätten mit dem Leben abgeschlossen, sagte der Gangster in die laufende Fernsehkamera. „Vor allem mein Kumpel ist brandgefährlich."

Wie die Medien mit dem Geiseldrama umgegangen sind, haben Rainer Leurs und Henning Bulka bereits im März im Podcast diskutiert:

  • Strukturelle Defizite beim Einsatz

Fernsehbilder von einem brutalem Verbrechen mit dem Gangster in der Hauptrolle - damit hatte die Polizei nicht gerechnet. Wiederholt sah sie sich während der knapp dreitägigen Geiselnahme zwar von Pressevertretern behindert, doch allein damit ließen sich die Fehler der Polizei nicht erklären. Vielmehr deckte Gladbeck auch strukturelle Defizite in der Polizeiarbeit auf.

  • Einsatzleitung in einer Hand

So wechselten während der Verfolgung der Geiselgangster durch drei Bundesländer ständig die Leitungsstäbe der Polizei - mit der Folge, dass zwischen Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen Informationen verloren gingen. Eine Lehre aus Gladbeck für die Polizei lautete daher: Die Leitung bei Großeinsätzen soll in einer Hand bleiben.

„Es ist eine völlig neuen Organisation für solche Großlagen entstanden", sagt der damalige Einsatzleiter der Kölner Polizei, Winrich Granitzka, nun der "Heilbronner Stimme". Heute gebe es sogenannte ständige Stäbe, denen auch speziell ausgebildete Fachleute angehören. Dort würden schnell Strategien entwickelt.Hier lesen Sie ein Interview mit Winrich Granitzka

  • Polizeisprecher vor Ort

Mit den desaströsen Polizeierfahrungen damals hängt auch zusammen, dass die Einsatzkräfte heute standardmäßig den Tatort weiträumig absperren. Zudem stellte die Polizei ihren Umgang mit den Medien während des laufenden Einsatzes auf den Prüfstand. Im Gegensatz zum Gladbeck-Einsatz ist es heute üblich, dass Polizeipressesprecher die Berichterstatter vor Ort informieren.

  • Grenzen für journalistische Berichterstattung

Die Medien zogen ebenfalls Konsequenzen aus den Grenzüberschreitungen durch Journalisten. Nach Gladbeck ergänzte der Deutsche Presserat seinen Pressekodex. In dessen Richtlinie 11.2 (“Berichterstattung über Gewalttaten") heißt es seither: Die Presse „berichtet über diese Vorgänge unabhängig und authentisch, lässt sich aber dabei nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen“.

  • Keine Interviews während der Tat

Auch unternehme die Presse „keine eigenmächtigen Vermittlungsversuche zwischen Verbrechern und Polizei", formulierte der Presserat unmissverständlich. „Interviews mit Tätern während des Tatgeschehens darf es nicht geben."

Auch der Reporter Udo Röbel, der sogar zu den Geiselnehmern ins Auto stieg, gibt sich im Rückblick betont selbstkritisch. „Uns Journalisten wurde später zu Recht vorgeworfen, dass wir die Gangster regelrecht hofiert hätten. Für die Geiseln muss es furchtbar gewesen sein, das mit anzuhören. Das war ja alles bizarr", sagt er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

(AFP/heif)
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