Justizvollzugsbeamte am Anschlag Mehr als eine halbe Million Überstunden in NRW-Gefängnissen
Kleve · Seit einem Jahr liegen 71 Fingerabdruck-Scanner in den JVAs nutzlos herum – aus rechtlichen Gründen. Aber nicht nur bei der Technik hapert es.
Simon Maier (Name geändert) arbeitet am Limit. Der 47-jährige Justizvollzugsbeamte, der in einem mittelgroßen Gefängnis in NRW tätig ist, sehnt sich nach einem längeren Urlaub. Wegen Personalknappheit könne er aber immer nur ein paar Tage am Stück frei machen – wenn überhaupt. „Meine Kollegen und ich brauchen aber eine längere Distanz, um runterzukommen und abschalten zu können“, sagt er.
Maier ist vermutlich nicht der einzige Justizvollzugsbedienstete in NRW, der erschöpft ist. In allen 41 NRW-Gefängnissen zusammen haben die Bediensteten mehr als eine halbe Million Überstunden (507.147, Stand Ende Oktober) angehäuft, wie aus einem internen Justizbericht hervorgeht, der unserer Redaktion vorliegt. Im Durchschnitt hatte zum Beispiel in der JVA Kleve jeder Beamte bis Oktober 135 Mehrarbeitsstunden auf dem Konto. Nur in den JVAs in Heinsberg und Detmold (je 149) sowie Wuppertal-Vohwinkel (138) und Bochum (137) waren es mehr. Am wenigsten Überstunden (28) haben die Kräfte in der Jugendarrestanstalt Düsseldorf gesammelt.
Neben den personellen Problemen hapert es in den Haftanstalten auch an der Technik. So liegen die dringend benötigten Fingerabdruck-Scanner seit fast einem Jahr ungenutzt herum. Nach Informationen unserer Redaktion sollen sie wegen fehlender Rechtsgrundlage nicht eingesetzt werden können, weil die für den Abgleich benötigten Schnittstellen zu Polizei- und Ausländerbehörden fehlen. Das Justizministerium bestätigte, dass sich der zunächst vorgesehene Weg einer direkten Schnittstelle mit dem Bundeskriminalamt (BKA) zum Abgleich von Fingerabdruckdaten im Nachhinein als rechtlich nicht umsetzbar herausgestellt habe. Demnach wurden bereits Ende des vergangenen Jahres 71 Fingerabdruckscanner an die Justizvollzugsanstalten ausgeliefert. Anfang kommenden Jahres soll es in einer JVA einen Testbetrieb geben, nachdem man gemeinsam mit dem Ministerium des Innern und dem Landeskriminalamt (LKA) ein neues System für den Austausch von Fingerabdruckdaten zwischen Justizvollzug und Polizei entwickelt hat.
Der frühere Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) hatte die Geräte unter anderem mit der Begründung anschaffen lassen, sicherstellen zu wollen, dass auch die richtigen Gefangenen hinter Gittern säßen. Nach Angaben des Justizministeriums hätte man aber auch mit einem einsatzbereiten Scanner nicht die richtige Identität des in der JVA Kleve unschuldig inhaftierten Syrers Amed A. herausfinden können, der sich bei einem Brand in seiner Zelle tödliche Verbrennungen zuzog. Der 26-Jährige war mit einem Mann aus dem afrikanischen Mali verwechselt worden. „Die Polizeibehörden haben die in der JVA Kleve einsitzende Person mittels Fingerabdruck eindeutig als Amed A. identifiziert. Jede Wiederholung der Abfrage, auch durch die JVA Kleve, hätte dasselbe Ergebnis erbracht“, erklärte Marcus Strunk, Referatsleiter Justizvollzugskommunikation. Der eigentliche Fehler sei der Polizei unterlaufen, als diese der eindeutig durch Fingerabdruckdaten als Amed A. identifizierten Person durch den Abgleich weiterer Daten in den polizeilichen Fahndungsdateien zwei Vollstreckungshaftbefehle einer anderen, in Hamburg verurteilten Person fehlerhaft zugeordnet habe, so Strunk.
Zu allem Überfluss soll es außerdem nach wie vor Probleme mit der Bausubstanz vieler Anstalten geben. „Es gibt eigentlich keine JVA bis auf die wenigen ganz neuen, die nicht irgendwo marode ist“, sagt Brock. Eine Reihe von Anstalten seien baufällig. Immer wieder stehen Haftplätze deshalb nicht zur Verfügung. Bekanntestes Beispiel ist die JVA Münster, wo ganze Gebäudeteile aus Sicherheitsgründen (Einsturzgefahr) geräumt werden mussten. Der Justizvollzug gilt als völlig überlastet, wenn mehr als 16.000 Haftplätze belegt sind. Derzeit liegt die Zahl knapp darunter. „Aber auch nur, weil durch die Weihnachtsamnestie 500 bis 600 Leute früher entlassen worden sind.“
Die vielen Überstunden der Bediensteten sollen vor allem auf personelle Probleme zurückzuführen sein. So sollen laut BSBD in den NRW-Gefängnissen insgesamt bis zu 500 Bedienstete fehlen. Dem vertraulichen Justizbericht zufolge sind zum Beispiel in der JVA Aachen von 269 Stellen derzeit 20 nicht besetzt, in Düsseldorf fehlen sogar fast 30 Kräfte, in Geldern sind es 23, in Heinsberg 27, in Köln 29, und in Wuppertal-Ronsdorf 36. In der JVA Kleve sind hingegen nur drei Planstellen (98 von 101) unbesetzt. Ein Grund für die Personalprobleme sind fehlende Bewerber – trotz verhältnismäßig guter Bezahlung. „Natürlich ist der Job anstrengend und erfordert Menschenkenntnis, aber man arbeitet zusammen in einem Team und man steht täglich vor neuen Herausforderungen“, so Brock.