Bonn Freispruch im Prozess um "Mord ohne Leiche"

Bonn · Ein ungewöhnlicher Justizfall: 2014 lautete das Urteil elf Jahre wegen Totschlags. Jetzt ist der Mann in Bonn freigesprochen worden. Die Leiche seiner Frau bleibt verschwunden. Es bleiben viele Zweifel und Fragezeichen.

 Das Landgericht in Bonn (Archiv).

Das Landgericht in Bonn (Archiv).

Foto: dpa, mg tmk

Freispruch statt elfjähriger Freiheitsstrafe: Für Dirk D. dürfte das neue Urteil des Bonner Landgerichts eine Erlösung sein - nach langem Nervenkrieg, Untersuchungshaft und sozialer Isolation. Genau dort, wo der Vorsitzende Richter Hinrich de Vries am Mittwoch klarstellt, es gebe "keinen durchgreifenden Beweis" für seine Täterschaft, war der Koch im Sommer 2014 wegen Totschlags an seiner Frau Sandra verurteilt worden. Obwohl ihre Leiche nie gefunden wurde und obwohl die Hauptbelastungszeugin höchst zweifelhaft war.

Der heute 43-Jährige ging in Revision, der Bundesgerichtshof kassierte das Urteil. Kurz vor Weihnachten ist es dennoch kein makelloses Happy End in dem ungewöhnlichen Justizfall um einen "Mord ohne Leiche". Fragezeichen sind geblieben. Dirk D. lauscht der mehr als einstündigen Urteilsbegründung regungslos, ohne sichtbare Zeichen der Erleichterung - und will sich danach auch nicht vor den wartenden Medien äußern.

Unschöne Details sind in dem Verfahren über den Mann bekannt geworden, der bis Frühjahr 2016 gut zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft war. Anspruch auf eine Entschädigung habe er aber nicht, erläutert der Vorsitzende Richter Hinrich de Vries. Denn mit einem Geständnis gegenüber seiner früheren Geliebten habe er die Grundlage für die U-Haft selbst gelegt.

Diese Geliebte spielt eine zentrale Rolle - im ersten Prozess war sie Hauptbelastungszeugin. Dirk D. hatte der Frau gebeichtet, er habe Sandra am 9. September 2012 im gemeinsamen Haus bei Bonn erwürgt, ihre Leiche zerstückelt und im Abfall an seinem Arbeitsplatz in einer Klinikküche entsorgt. Das Geständnis trug maßgeblich dazu bei, dass Dirk D. im Sommer 2014 vom Bonner Landgericht wegen Totschlags zu elf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

Ein Richterspruch, den es nicht hätte geben dürfen. Vom BGH kam 2015 deutliche Schelte: Die Zeugin sei "problematisch", von "Jagdeifer" getrieben, ihre Angaben habe man "nicht der gebotenen umfassenden und kritischen Würdigung unterzogen". Der Fall wird im August 2016 also neu aufgerollt. Der Angeklagte beteuerte immer wieder, er habe die Beichte frei erfunden, weil seine Geliebte ihre Zuneigung davon abhängig gemacht habe. Richter de Vries hatte die umstrittenen Zeugin in dem neuen Strafverfahren dann regelrecht auseinandergenommen.

Beweislage laut Richter "ziemlich mau"

Dirk D. sei von ihr emotional und sexuell abhängig gewesen, zudem intellektuell unterlegen, betont er nun in seinem Urteil. Das Geständnis sei "nicht verwertbar". Es liege nahe, dass die Diplomatentochter gezielt Kontakt zu dem damals Mordverdächtigen aufgenommen habe, "um ihn zu überführen", sagt de Vries. Sogar die Staatsanwaltschaft hatte auf Freispruch plädiert.

Der Richter macht keinen Hehl daraus, dass die Beweislage "ziemlich mau" sei. Man habe damals Spürhunde in Haus und Garten eingesetzt, Polizei-Hundertschaften. Es sei kriminaltechnisch aufwendig untersucht worden. Trotzdem Fehlanzeige. Keine Spuren. Eine erneute Suche nach Indizien habe "nichts Substanzielles mehr erbracht". Das Gericht hatte die Umgebung des Wohnortes in Eitorf jüngst noch einmal nach Sandra S. durchkämmen lassen - selbst Taucher wurden in einem Fischteich nicht fündig.

"Wir gehen davon aus, dass sie tot ist", sagt der Richter. Fakt sei: Die Verkäuferin wollte sich von ihrem Mann trennen. Und Dirk D. rede "voller Hass von ihr und weint ihr keine Träne nach". Kritisch merkt de Vries an: Vier Jahre nach dem Verschwinden der Mutter zweier Kinder sei vieles nicht mehr aufzuklären - man habe den Blick damals womöglich zu sehr auf Dirk D. verengt.

(lsa/lnw)
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