Reul zur Flutkatastrophe in NRW „Natürlich hat es Fehler gegeben“

Düsseldorf · 49 Tote, rund 13 Milliarden Euro Schaden: Wäre das Ausmaß der Flutkatastrophe vom vergangenen Juli in NRW mindestens teilweise abwendbar gewesen?

 Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, steht im Verhandlungssaal. Reul ist als Zeuge im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe geladen.

Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, steht im Verhandlungssaal. Reul ist als Zeuge im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe geladen.

Foto: dpa/Oliver Berg

 Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hat erneut Fehler bei der Flutkatastrophe im vergangenen Juli eingeräumt. Er habe diese bereits analysieren lassen und, wo es um systemische Fehler gehe, einen 15-Punkte-Plan für Verbesserungen unterbreitet. Der CDU-Politiker musste am Freitag als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Landtags zur Flutkatastrophe aussagen.

Er persönlich frage sich, ob er seinen Urlaub nicht einen Tag früher hätte abbrechen sollen. Nicht zuletzt durch überflutete Autobahnabschnitte habe er für die Strecke von Lübeck nach Leichlingen mit seinem Privatwagen am 15. Juli elf Stunden gebraucht. Sich von einem Polizei-Hubschrauber abholen zu lassen, habe er abgelehnt, weil diese für die Menschenrettung gebraucht worden seien.

Er sei dann noch am Abend des 15. Juli unmittelbar nach seiner Rückkehr an seinem Privathaus von den Privat- in den Dienstwagen umgestiegen und habe in seinem Büro im Ministerium übernachtet, weil er befürchten muste, am nächsten Tag wegen überfluteter Straßen nicht mehr nach Düsseldorf zu kommen. Schon während seiner Rückfahrt aus Norddeutschland habe er permanent wegen der Katastrophe telefoniert und etwa den Chef der Bundespolizei um Unterstützung gebeten.

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Foto: Christoph Reichwein (crei)

Unwetter mit ungewöhnlich starken Regenfällen hatten Mitte Juli 2021 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen eine Hochwasserkatastrophe ausgelöst. In NRW starben 49 Menschen, die Schäden wurden bei ersten Schätzungen auf etwa 13 Milliarden Euro beziffert. Der vom Landtag eingesetzte Untersuchungsausschuss prüft, ob es zu Versäumnissen und Fehlern im Zuge der Katastrophe gekommen ist. Ein vom Ausschuss bestellter Gutachter hat bereits zahlreiche Mängel und Versäumnisse aufgezeigt. So habe es vor allem an einer unmissverständlichen Warnung der Bevölkerung gefehlt.

Zur umstrittenen Frage, den „großen“ Krisenstab nicht einberufen zu haben, sagte Reul, er habe den Eindruck gehabt, dass die Koordinierungsgruppe sehr gut funktionierte. Sein Staatssekretär habe ihm davon abgeraten, während der laufenden Lage die Strukturen zu wechseln. Er habe diese Ansicht geteilt. Dies hätte Zeitverzögerungen verursachen und Grundsatzdiskussionen auslösen können. Als Signal an die Bevölkerung wäre das Einberufen des großen Krisenstabes aber besser gewesen.

Er halte das 2016 verabschiedete Katastrophenschutzgesetz, das die Krisenbewältigung den Kreisen und kreisfreien Städten zuweise, inzwischen für nicht ausreichend. Dieses sei für punktuelle Lagen „super“. Bei Flächenlagen, wenn ganze Landstriche betroffen seien, komme das System aber an seine Grenzen.

Reul widersprach der Ansicht, das Ausmaß der Katastrophe sei vorhergesehen worden und vorhersehbar gewesen. Der hydrologische Bericht vom 12. Juli morgens habe Regenfälle mit mehr als 100 Litern Niederschlag pro Quadratmeter binnen 48 Stunden mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 bis 30 Prozent versehen. Dies klinge eher wie eine Entwarnung, sagte Reul. Tatsächlich seien dann in Hagen 170 Liter innerhalb von drei Stunden vom Himmel gekommen.

Grünen-Obmann Johannes Remmel hielt Reul vor, der private Wetterdienst von Jörg Kachelmann habe vergleichsweise präzise gewarnt, während sein Haus die Lage noch als unklar und nicht vorhersehbar eingestuft habe. Die Verträge sähen eine Kooperation mit dem Deutschen Wetterdienst vor, entgegnete Reul. Wäre man Kachelmanns Hinweisen gefolgt, hätte man 153 Orte evakuieren müssen, darunter viele, in denen nichts passiert sei.

Unwirsch reagierte Reul auf den Vorwurf der SPD, sein Haus habe dem Ausschuss möglicherweise immer noch nicht alle Unterlagen übersandt. Er verwahre sich gegen diese Unterstellung, sagte der Minister.

Sein Haus habe Akten im Umfang von 1,25 Millionen Blatt Papier übersandt. Dies sei die hundertfache Menge im Vergleich zum Untersuchungsausschuss zum Attentäter Anis Amri. 29 000 Arbeitsstunden habe die Zusammenstellung der Unterlagen beansprucht.

Die Grünen verwiesen auf SMS von Reuls Handy am 14. Juli: Demnach habe er viermal vergeblich versucht, den damaligen Ministerpräsidenten Armin Laschet zu erreichen, etwa mit Nachrichten wie „Bist du in NRW?“. Reul entgegnete, der Eindruck täusche, es habe an diesem Tag mehrfach Telefonate zwischen ihm und Laschet gegeben, die aber nicht protokolliert seien.

Die Grünen kritisierten im Nachgang der Befragung, dass der Minister in seinem Urlaub nicht rechtzeitig und umfassend von seinem Ministerium über die sich zuspitzende Lage informiert worden sei.

CDU-Ausschusssprecher Thomas Schnelle sagte, die Befragung habe bestätigt, dass das Katastrophenschutzgesetz der rot-grünen Vorgängerregierung versagt habe. Wenn die SPD nun kritisiere, dass die Koordinierungsgruppe im Innenministerium in der Flutnacht nur reagiert habe, wenn Kommunen sich mit Hilfsanfragen an sie wandten: Dies habe sie selbst im Gesetz so festgelegt.

SPD-Obfrau Nadja Lüders teilte im Nachgang mit, Reul hätten in seinem Urlaub schon am 13. Juli zentrale Informationen vorgelegen. Er habe darauf aber erst am 14. Juli reagiert. Er habe auch nicht davon Gebrauch gemacht, die Bevölkerung über den WDR umfangreich zu warnen.

Das Krisenmanagement der Landesregierung hätte schon weitaus früher einsetzen können. Stattdessen habe der Innenminister die Verantwortung „völlig den unter Wasser stehenden Kommunen überlassen“.

(ldi/dpa)
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