Prozess in Siegen „Wir waren überfordert“ - Wachmann über Gewalt im Flüchtlingsheim

Siegen/Burbach · Wenn es Ärger gab, wurden Flüchtlinge tagelang eingesperrt: Im Prozess wegen Misshandlungen in einem Flüchtlingsheim in Burbach haben Angeklagte Geständnisse abgelegt.

Misshandlungs-Vorwürfe: das Flüchtlingsheim in Burbach
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Foto: dpa, fg jhe

Eigentlich sei er Koch. Doch im Oktober 2013 wurde er Sozialbetreuer in einem Flüchtlingsheim in Burbach im Siegerland - nach einem Tag Probearbeit. Des Arabischen und Kurdischen mächtig übersetzte er, kümmerte sich um Flüchtlinge - und er musste Probleme lösen, die es gab.

Dabei soll es in der Notunterkunft des Landes, betrieben vom privaten Unternehmen European Homecare, ein ausgeklügeltes Bestrafungssystem gegeben haben. Verstießen Bewohner gegen die Hausordnung - etwa durch Rauchen auf ihren Zimmern - oder waren sie in Schlägereien verwickelt, wurden sie in ein sogenanntes „Problemzimmer“ gesperrt, manchmal tagelang. Den langwierigen Ermittlungen zufolge sollen Wachleute und Betreuer auch immer wieder Flüchtlinge geschlagen, gedemütigt und schikaniert haben. Es sei ein menschenverachtendes System der eigenmächtigen Bestrafung gewesen, so die Staatsanwaltschaft.

Beim zweiten Verhandlungstag vor dem Landgericht Siegen sitzen am Mittwoch 29 Angeklagte. Für den Mammutprozess um den Misshandlungsskandal von Burbach, der vor vier Jahren ans Licht kam, wurde eigens ein großer Raum einer Veranstaltungshalle in Siegen angemietet. Zwei Angeklagte hatten zum Auftakt Geständnisse angekündigt.

Einiges räumen sie dann tatsächlich ein, anderes schieben sie Dritten in die Schuhe. An viele wichtige Details können sie sich laut eigenen Angaben nicht mehr erinnern. Der erste, der befragt wird, ist der gelernte Koch. Er habe nicht gedacht, etwas Verbotenes zu tun, in dem er betrunkene Flüchtlinge in das Zimmer schickte. Die Tür zum „Problemzimmer“ konnte nur von außen geöffnet werden. „Ich bin nur ein kleiner Sozialbetreuer. Was soll ich machen?“, sagt er.

Was sich in dem Raum abspielte, zeigen drastische Bilder und ein Handy-Video von gedemütigten Flüchtlingen. Die Aufnahmen gingen um die Welt und erinnerten nicht nur Polizisten an „Bilder aus Guantanamo“, wie es auf der Ermittlerseite geheißen hatte.

Der gelernte Koch gibt an, er habe stets auf Anweisung seines Vorgesetzten gehandelt, ihn immer angerufen, wenn es Probleme gab. Das Verfahren gegen diesen Leiter des Sozialbetreuerteams ist wie etwa auch das gegen den Heimleiter von dem nun laufenden Prozess abgetrennt worden.

Auch der zweite aussagewillige Angeklagte an diesem Tag ist bemüht, das eigene Verhalten durch die widrigen Umstände zu begründen. Er, der sonst als Sicherheitsmann bei Schützenfesten jobbte, arbeitete nun bis zu 48 Stunden am Stück in der vollen Flüchtlingsunterkunft. 1000 Menschen unterschiedlicher Nationalitäten seien hier untergebracht gewesen - vier Wachleute pro Schicht sollten die Sicherheit garantieren, das Alkoholverbot durchsetzen und bei Schlägereien einschreiten, schildert er. „Wir waren wirklich überfordert.“war räumt er Ohrfeigen, Schläge und Tritte ein, auch dass er Bewohner einsperrte. Doch wer ins Problemzimmer kam und wie lange, entschieden demnach die Sozialbetreuer - das letzte Wort habe immer ihr Chef gehabt.

Und noch jemanden nimmt er mit in die Verantwortung: Die Polizei habe genau gewusst, was sich abgespielt habe. Allein während seiner Dienstzeit hätte sie Bewohner aus dem Zimmer abgeholt, nachdem diese wegen Gewalttätigkeiten dort eingesperrt worden seien. „Als ich die Polizei gerufen hab, haben die mir gesagt, wir sollten erstmal unsere Arbeit machen“, sagt der Wachmann.

Von Reue über die eigenen Gewalttätigkeiten und die Einbindung in das System der Selbstjustiz von Burbach ist von ihm an diesem Tag vor Gericht nichts zu hören. Für die kommende Woche hat ein dritter Angeklagter ein Geständnis angekündigt.

(skr/dpa)
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