Hoher Zuzug, hohe Kosten Städte und Gemeinden in NRW haben nur noch wenige Plätze für Geflüchtete

Düsseldorf · In Gladbach, Duisburg und Bonn gibt es noch geringe Kapazitäten, in Viersen und Kleve nicht mehr. Städte kritisieren das Land für die Zuweisung von Geflüchteten ohne Bleibeperspektive. Turnhallen sollen möglichst nicht belegt werden.

Geflüchtete Menschen aus der Ukraine auf dem Weg zu einer Unterkunft. (Symbolbild)

Geflüchtete Menschen aus der Ukraine auf dem Weg zu einer Unterkunft. (Symbolbild)

Foto: dpa/Soeren Stache

Die steigende Zahl von Geflüchteten droht viele Kommunen in NRW zu überfordern. „Hinsichtlich der Unterbringung weiterer Flüchtlinge sind die Kapazitäten der Stadt Kleve erreicht“, teilte ein Sprecher mit. In Viersen hieß es: „Die Stadt Viersen hat eine Erfüllungsquote von 110 Prozent und muss derzeit keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen.“ Anderswo gibt es noch wenige Plätze: „Aktuell sind die Unterkünfte zur Unterbringung von Geflüchteten zu 82 Prozent ausgelastet“, erklärte die Stadt Bonn. Jedoch würden im neuen Jahr durch auslaufende Mietverträge rund 900 Plätze weniger zu Verfügung stehen. Münster sieht die Belastungsgrenze zwar noch nicht erreicht, betonte aber: Angesichts der aktuellen Entwicklungen sei nicht absehbar, „ob und für welchen Zeitraum die Ressourcen reichen werden“.

Die Kommunen kritisieren die schwarz-grüne Landesregierung scharf, weil diese selbst zu wenig tue. „Besonders bedenklich ist, dass das Land mangels Landesaufnahmeplätzen den Kommunen Geflüchtete ohne jegliche Bleibeperspektive zuweist“, erklärte die Sprecherin von Krefeld. Das kritisierte auch Mönchengladbach, wo man sich ebenfalls auf ausgeschöpfte Kapazitäten vorbereitet: „Das Vorgehen des Landes erschwert den Kommunen den Umgang mit der Situation. Eine Zuweisung sollte erst nach Klärung der Bleibeperspektive und Gesundheits-Check erfolgen“, so der Sprecher.

Die Kommunen warnen, dass sich die Krise von 2015 wiederholen könnte, als sie von Schulen genutzte Sporthallen zu Flüchtlingsunterkünften umfunktionieren mussten. Bonn etwa hält ein Notquartier  in einer ehemaligen Gewerbehalle vor, damit es nicht dazu kommen muss. „Eine Nutzung von Sporthallen wird versucht zu vermeiden, da dies erhebliche Einschnitte in den Schul- und Vereinssport bedeuten würde“, hieß es auch in Krefeld.

Zudem kritisieren Städte wie Kleve und Köln, dass das Land den Kommunen mit den Vorhaltekosten alleine lässt. Das sind etwa Mietkosten für das Bereithalten von Plätzen. Allein Köln hat aktuell knapp 12.000 Flüchtlinge untergebracht, unter anderem in Notunterkünften, Leichtbauhallen, Hotels und Wohnungen. In Düsseldorf leben über 5000 Flüchtlinge (inklusive Ukrainer) allein in städtischen Unterkünften.

Der Städte- und Gemeindebund kommt zu dem Schluss, dass die Lage heute eigentlich noch dramatischer sei als 2015 und 2016. „Die Kluft zwischen humanitären Verpflichtungen und den realen Handlungsmöglichkeiten vor Ort wächst. Es mangelt an Wohnraum, an Kapazitäten in Kindergärten, Schulen und Integrationsangeboten“, sagte ein Sprecher.  „Immer mehr Kommunen sind am Anschlag und sehen sich gezwungen, Turnhallen, Wohncontainer oder andere Noteinrichtungen zu aktivieren.“ Die Entwicklung sei absehbar gewesen, „und das sorgt in den Städten und Gemeinden für Frust und Ärger“.

Die finanziellen Folgen für die Gemeinden sind sehr unterschiedlich, je nach den Möglichkeiten und Bedingungen vor Ort. Ein Beispiel lieferte zuletzt die Stadt Detmold. Sie kam auf unausgeglichene Zusatzkosten von 3300 Euro für jeden Geflüchteten, um den sie sich im vergangenen Jahr kümmerte – beispielhaft wären das jährlich 3,3 Millionen kommunale Mehrkosten für die Fürsorge pro 1000 Menschen.

Bis Ende August hat das Land den Städten und Gemeinden in NRW in diesem Jahr über 39.000 Menschen zur Unterbringung zugewiesen. Darunter waren fast 15.600 Asylsuchende, gut 9000 Geflüchtete aus der Ukraine und fast 14.400 anerkannt Schutzberechtigte, also Menschen, die in ihren Heimatländern nachweislich an Leib und Leben bedroht wären.

Auch der Flüchtlingsrat NRW warnt vor immer schwierigeren Situationen in den Städten. „Da geht es dann gar nicht  mehr um angemessene oder gute Unterbringung, sondern nur noch darum, Obdachlosigkeit zu vermeiden“, sagte Geschäftsführerin Birgit Naujoks. Mindeststandards für die Unterkünfte gebe es nicht: „Manche Kommunen haben sich selbst welche gesetzt und rücken jetzt wieder davon ab, andere hatten nie welche. Dann sind die Gebäude eben alt, nicht instandgesetzt, total kaputt, nicht isoliert. Aber auch die, die bessere Bedingungen wollen, schaffen das jetzt nicht mehr.“

Gerade angesichts der schwierigen Lage appellierte sie an die Verantwortlichen, nicht in reinen Problembeschreibungen zu versinken. „Die ganze Debatte geht gerade  in eine fatale Richtung, und das beeinflusst die Stimmung in der Bevölkerung“, so Naujoks. „Es wird nicht mehr konstruktiv darüber nachgedacht, was man tun kann, um die Menschen gut aufzunehmen. Es geht nur noch darum, was der Bund und Europa tun können, um niemanden mehr reinzulassen. Wir müssen die Menschen in den Mittelpunkt stellen, die in Leid und Not zu uns kommen“, forderte sie. Beispielsweise mit Aufrufen, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, und Konzepten für mehr Wohnungsbau.

NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) betonte, vor allem der Bund müsse für eine bessere Steuerung der Migration sorgen – und solle sich „endlich dauerhaft und verlässlich an den Kosten von Unterbringung, Versorgung und Integration beteiligen“, so die Ministerin. „Wir leisten als Land unseren Beitrag, wo wir nur können, am Ende liegen die wirksamsten Hebel aber im Bund und in der EU.“

Zugleich erklärte sie, dass viele Menschen, die derzeit nach NRW kommen, durchaus eine hohe Bleibeperspektive hätten. Gebraucht würden mehr Sprachkurse, für die das Bundesamt für Migration zuständig ist, mehr Beratung und schnellere Zugänge zum Arbeitsmarkt.

Nach Zahlen aus ihrem Ministerium sind in NRW in diesem Jahr schon so viele Asylanträge neu gestellt worden wie im gesamten Vorjahr. Demnach gab es bis Ende August über 42.400 neue Anträge, im kompletten Jahr 2022 waren es rund 42.900. Hinzu kommen die Schutzsuchenden aus der Ukraine. Seit dem russischen Überfall auf das Land wurden in NRW insgesamt rund 224.000 Kriegsflüchtlinge registriert, wobei es eine Dunkelziffer gibt – Personen aus der Ukraine müssen sich zunächst nirgendwo anmelden.

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