Flüchtlinge Spurlos verschwunden

Düsseldorf · Immer öfter tauchen Flüchtlinge in NRW unter. Sie verlassen die zugewiesenen Unterkünfte oder kommen dort gar nicht erst an.

Flüchtlinge in Turnhallen – so sieht es in der Region aus
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Flüchtlinge in Turnhallen – so sieht es in der Region aus

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Foto: Dieter Weber

Der Anruf kommt unerwartet. Es ist schon spät am Abend, als bei Allgemeinmediziner Garlof Langenbeck das Telefon klingelt. Die Mitarbeiterin der Stadt Mönchengladbach, die am Apparat ist, will wissen, ob er am nächsten Morgen zur Flüchtlingsunterkunft im alten Theater am Nordpark kommen könnte. Gerade sei ein Bus mit Asylsuchenden eingetroffen, die schnellstmöglich ärztlich untersucht werden müssten. Kein Problem, er könne kommen, sagt Langenbeck. Als er am Morgen losfahren will, klingelt erneut das Telefon. Wieder ist es die städtische Mitarbeiterin. "Sie sagte mir, dass ich doch nicht kommen bräuchte, weil die Flüchtlinge verschwunden sind", erinnert sich der Arzt.

Garlof Langenbeck ist einer der Ärzte, die im Kreis Viersen und im Raum Mönchengladbach die sogenannten Eingangsuntersuchungen bei Flüchtlingen durchführen, ehe diese von den Polizisten der Einsatzhundertschaft registriert werden. "Aber immer öfter sind sie weg, wenn ich komme", sagt er.

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Foto: Endermann, Andreas

Landesweit verschwinden wie in Mönchengladbach täglich über Nacht Flüchtlinge spurlos. In Leichlingen sollten vor einer Woche 150 Flüchtlinge in zwei Bussen aus Bayern ankommen und in einer Notunterkunft auf einem ehemaligen Discounter-Gelände untergebracht werden. Doch es kam nur gut die Hälfte von ihnen an. Verwandte, die schon in Deutschland wohnen, hatten sie unterwegs bei einem Raststopp einfach mitgenommen.

Der Sozialdezernent einer NRW-Großstadt, der anonym bleiben möchte, berichtet von ähnlichen Fällen. Mitarbeiter in den Unterkünften hätten ihm geschildert, dass viele Flüchtlinge keine Lust hätten, in seiner Stadt zu bleiben. "Das finde ich schade, weil wir wirklich alles unternehmen, dass sie sich bei uns wohlfühlen", so der Dezernent. "Aber wer sich bei uns zu schlecht fühlt, den wollen und können wir auch nicht aufhalten."

Beim Innenministerium ist der Sachverhalt bekannt. "Es gibt Flüchtlinge, die nicht in den Einrichtungen bleiben oder dort nicht ankommen", bestätigt ein Sprecher von Innenminister Ralf Jäger (SPD) unserer Redaktion. "Sie machen sich auf den Weg in andere Staaten wie Schweden oder gehen in andere Bundesländer zu ihren Verwandten oder Freunden. Sie wissen genau, wo sie hinwollen und wie sie dorthin kommen", so der Sprecher.

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Foto: dpa, rwe jai

Auch die in NRW für die Zuweisung der Flüchtlinge zuständige Bezirksregierung Arnsberg bestätigt das Problem. Man habe zwar Verständnis dafür, dass einige nicht im Land bleiben oder lieber zu Verwandten möchten. "Aber damit sie überhaupt eine Chance haben, dauerhaft hierzubleiben, müssen sie im System erfasst werden", betont ein Sprecher. Andernfalls drohe ihnen ein Leben in der Illegalität. In NRW sind offiziellen Angaben zufolge in diesem Jahr bislang rund 90.000 Flüchtlinge angekommen.

Doch Experten halten diese Zahl für nicht korrekt, meinen, dass sie deutlich höher liege. "Viele leben hier mittlerweile bei Verwandten und sind nicht gemeldet", heißt es aus Polizeikreisen. "Diese Personen tauchen dann gar nicht in den Statistiken auf." Das Problem bestehe bundesweit, vor allem aber in Großstädten wie Köln, der Metropolregion Ruhrgebiet sowie Hamburg und Berlin. "Dort können sie unbemerkt untertauchen." Die Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln, Franziska Giffey (37, SPD, ) sagte der "B. Z.", dass diese Flüchtlinge in arabischen Großfamilien unterkämen. Innerhalb von fünf Jahren hätte sich die Zahl der arabischen Gemeinschaft von 13.000 auf 30.000 erhöht, sagte sie.

Ein Bundespolizist erzählt von Flüchtlingszügen, die in Bayern mit 400 bis 600 Flüchtlingen losfahren und in NRW mit weniger als der Hälfte Menschen ankommen. "Sie ziehen während der Fahrt die Notbremse, springen aus den Zügen und sind dann weg", so der Beamte. Die Flüchtlinge werden, nachdem sie die deutsch-österreichische Grenze passiert haben, von Bayern aus auf die Bundesländer verteilt. "Oft ist es so, dass sie aber nicht in das Bundesland wollen, in das sie zugeteilt worden sind", erklärt der Bundespolizist. "Darum springen sie aus den Zügen, wenn diese anhalten."

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Foto: dpa, fg jai

Ein Sprecher der Stadt Mönchengladbach berichtet von einer zehnköpfigen Personengruppe, die nach ihrer Zuweisung die Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Neuwerk verlassen hat. Spätestens bei der Geldausgabe falle ihr Verschwinden auf, so der Stadtsprecher. "Da die Menschen die Unterkünfte verlassendürfen, können wir einen Wegzug nicht verhindern", erklärt er. Meistens seien es wohl persönliche Gründe, wieso die Schutzsuchenden verschwinden würden. "Wenn etwa Familien während der Flucht getrennt wurden und schnell wieder zusammenleben wollen", sagt er.

Die ehrenamtlichen Betreuer der Unterkünfte sind für solche Fälle geschult und stehen den Flüchtlingen bei Schwierigkeiten beratend als Ansprechpartner zur Verfügung. Wenn die Menschen vor der offiziellen Registrierung weg sind, sind sie jedoch meistens auf Listen erfasst. "Daher kann vom Grundsatz her auch jeder ermittelt werden, falls er sich an einem andern Ort registrieren will oder aufgegriffen wird."

Garlof Langenbeck hat sich freiwillig gemeldet, um die Flüchtlinge zu untersuchen. "Die meisten sind gesund und haben nichts", sagt der Mönchengladbacher Mediziner. Aber es gebe auch welche, die schwer krank und ansteckende Krankheiten haben. "Auch deshalb ist es so wichtig, dass darauf geachtet wird, dass sie nicht einfach abhauen", sagt er.

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(csh)
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