Kindesmissbrauch in NRW Ermittler beklagen Personalnot wegen Lügde - andere Fälle bleiben auf der Strecke

Lügde/Düsseldorf · Belastet die massive Konzentration von Kräften in Lügde die Aufklärung anderer Sexualdelikte? Ermittler deuten an, dass andere Fälle derzeit brach liegen. 2018 musste die NRW-Polizei 2422 Fälle von Kindesmissbrauch ermitteln.

Missbrauchsfall in Lügde: So sieht der Campingplatz nach dem Abriss aus
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So sieht der Campingplatz in Lügde nach dem Abriss aus

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Foto: dpa/Guido Kirchner

Die polizeilichen Ermittlungen im Fall Lügde haben offenbar die Aufklärung anderer Sexualdelikte in NRW gefährdet. Mit entsprechenden Fällen befasste Ermittler klagten gegenüber unserer Redaktion, dass sie bei ihrer Arbeit nicht voran kämen, weil die Ermittlungskommission „Eichwald“ zu viele Kapazitäten binde.

Die mehrfach und auf inzwischen 76 Mann aufgestockte Ermittlungskommission „Eichwald“ klärte monatelang den wohl schwersten Fall von Kindesmissbrauch in der Landesgeschichte auf. Enorme Kapazitäten erforderten dabei die Auswertung von mehreren Millionen Fotos und Hunderttausenden Videos mit kinderpornografischem Material, die als Beweismaterial sichergestellt wurden. Einem 56-jährigen Dauercamper und seinem Komplizen (33) wird vorgeworfen, mehr als 40 Kinder über Jahre hinweg missbraucht und dabei gefilmt zu haben. Die beiden Männer und ein weiterer 49-Jähriger aus Stade (Niedersachsen) sitzen in Untersuchungshaft. Zudem wird gegen weitere fünf Beschuldigte wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs, des Besitzes von kinderpornografischem Material oder Strafvereitelung ermittelt.

Das NRW-Innenministerium schloss auf Anfrage unserer Redaktion nicht aus, dass die Aufklärung anderer Falle unter der EK „Eichwald“ leidet. Ein Sprecher sagte: „Die Kreispolizeibehörden, die dortigen Führungskräfte und kriminalpolizeilichen Sachbearbeiter und auch das Ministerium werden alles dafür tun, auch in allen anderen Ermittlungsverfahren die notwendigen Ermittlungen innerhalb der zulässigen Fristen zu bearbeiten.“ Auch in den übrigen Kreispolizeibehörden stünden nach wie vor Fachkräfte zur Aufklärung von Sexual- und Kindesmissbrauchsdelikten zur Verfügung. „Es liegt jedoch in der Natur der Sache, dass bei außergewöhnlich komplexen Kriminalfällen Personal gebündelt und temporär aus anderen Aufgabenbereichen oder Behörden zugeordnet wird“, so der Sprecher.

Wie viele Fälle von Sexualdelikten und Kindesmissbrauch die NRW-Polizei derzeit aufklären muss, ist dem NRW-Innenministerium nicht bekannt. Die Zahlen aus dem polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem seien „aufgrund der Vorläufigkeit nicht belastbar“, hieß es. Für das vergangene Jahr weist die Polizeiliche Kriminalstatistik allein in NRW 14.076 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und 2422 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch aus.

Unterdessen fordert der Anwalt des inhaftierten Tatverdächtigen „Heiko V.“ dessen Freilassung. Jann Henrik Popkes sagte unserer Redaktion: „Die Untersuchungshaft für meinen Mandanten ist nicht mehr angemessen.“ Heiko V. sei lediglich an zwei Video-Chats in den Jahren 2010 und 2011 beteiligt gewesen. Dabei sollen für ihn laut Haftbefehl sexuelle Handlungen an Minderjährigen beobachtbar gewesen sein. „Er wurde inzwischen begutachtet“, sagt Anwalt Popkes, „Der Gutachter hat bei meinem Mandanten weder eine psychische Störung, noch eine grundsätzlich pädophile Neigung festgestellt.“ Eine mögliche Wiederholungsgefahr komme deshalb als Haftgrund nicht mehr in Betracht.

Popkes berichtet bizarre Details, mit denen die mutmaßlichen Haupttäter sich offenbar gegenüber ihrem Chatpartner abgesichert haben sollen. „Mein Mandant wurde nach eigenen Angaben zuvor vom Organisator des Chats aufgefordert, den Raum, in dem er sich aufhält, auszuleuchten. Der Organisator wollte wohl sicher gehen, dass es keine weiteren Zeugen gibt“, berichtet Popkes.

Der Hauptverdächtige machte am Freitag erstmals Angaben gegenüber den Ermittlern. Der Verteidiger des Hauptbeschuldigten habe "eine Einlassung eingereicht", die allerdings "nicht die eigene Tatbeteiligung betrifft", teilten die Polizei Bielefeld und die Staatsanwaltschaft Detmold auf dpa-Anfrage mit. Darüber hinaus habe der 56-Jährige "keine Angaben zur Sache gemacht." Mit Blick auf die laufenden Ermittlungen gaben die Behörden keine konkreteren Auskünfte.

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