Mordprozess in Düsseldorf Fall Lucan: Mutter hofft auf die Wahrheit

Düsseldorf · Am Dienstag beginnt der Mordprozess gegen Thomas S., den Inge Meuter liebte wie einen Sohn. Er soll ihre Tochter erschlagen haben.

Mordprozess in Düsseldorf: Fall Lucan: Mutter hofft auf die Wahrheit
Foto: Bretz, Andreas

Es ist lange her, dass sie ihn zuletzt gesehen hat. An Susannes Grab war das, zwei Monate nach ihrem gewaltsamen Tod. Da hat Thomas S. Inge Meuter gestanden, dass er ihre Tochter mit einer Anderen betrogen hatte. Dass er zu dieser Anderen gefahren war, in der Nacht, in der Susanne starb. Er hat ihr das nicht weiter erklärt, sondern den Kontakt zu ihr abgebrochen.

Wenn sie sich nun wiedersehen, geht es nicht um Untreue. Es geht um Mord. Staatsanwalt Christoph Kumpa wird am Dienstagmorgen die Anklage gegen Thomas S. verlesen. Mindestens sechs Mal soll er mit einem stumpfen Gegenstand auf das Gesicht der arg- und wehrlosen Susanne eingeschlagen haben. Zuvor habe Thomas S. am Bett seiner früheren Lebensgefährtin gewartet, bis sie eingeschlafen war.

Acht Jahre und 43 Wochen wird jene Nacht zurückliegen, wenn Inge Meuter als Nebenklägerin an Kumpas Seite sitzt. 3213 Tage und Nächte, an denen sie sich mit der Frage quälte, wie und warum ihre Tochter sterben musste. Sie fürchtet die Begegnung mit Thomas. Und sie fürchtet die Antworten.

Am 20. November 2004 standen fröhliche junge Leute mit Blumen und Päckchen vor der Erdgeschosswohnung an der Benzenbergstraße. Doch Susanne Lucan, die zwei Tage zuvor 27 Jahre geworden war und zur Party eingeladen hatte, öffnete nicht. Besorgt riefen sie die Feuerwehr, die die blutüberströmte Leiche im Bett entdeckte.

Susannes Mutter genoss zu dieser Zeit die Sonne am Strand auf Djerba. Nachmittags hatte sie ihrer Tochter eine SMS geschickt, um sich nach den Partyvorbereitungen zu erkunden. "Meld dich mal, deine neugierige Mutter", hatte sie geschrieben und sich nichts dabei gedacht, als keine Antwort kam. Erst am nächsten Tag erfuhr sie am Telefon, das Susanne ihre Nachricht nicht mehr hatte lesen können.

Seitdem kreisen Inge Meuters Gedanken um die Nacht, in der Susanne starb; Verzweiflung und die Ungewissheit haben sie gezeichnet. Ihren Job hat die Büromanagerin nach Susannes Tod aufgeben müssen. Sie ist nicht mehr arbeitsfähig, findet keine Ruhe, keinen Frieden, kaum Schlaf. Immer wieder malt sie sich aus, wie Susanne zu Tode kam.

Sie hat die Spuren der mörderischen Gewalt in Susannes Wohnung damals selbst beseitigt. Sie hat die Obduktionsberichte gelesen: Zahlreiche Brüche. Zertrümmerungen des Gesichts und Schädelknochen. Blutverlust. Hirnprellungen. Eingeatmetes Blut. Die Kripo riet ihr dringend davon ab, ihre tote Tochter noch einmal zu sehen.

Auch das quält sie bis heute, dass sie Susanne nicht mehr gesehen hat, bevor sich der blaue Sarg schloss. Vielleicht, sagt sie, könnte sie dann akzeptieren, dass ihr Kind nicht mehr da ist. Anfangs hat sie geträumt, Susanne käme plötzlich zur Tür herein. Oder schickte eine Postkarte vom anderen Ende der Welt. Inzwischen flüchtet sie sich immer öfter nach Djerba. Ausgerechnet dort ist der einzige Ort, an dem sie ein bisschen zur Ruhe kommt. Dort kann sie die Augen schließen und sich vorstellen, gleich aus einem Albtraum aufzuwachen und heimzufliegen, wo Susanne noch immer der fröhliche Mittelpunkt ihres Lebens wäre.

Einsam ist die 65-Jährige geworden, seit Susanne nicht mehr da ist. Susannes Freunde, die einst in ihrer Bilker Wohnung ein- und ausgingen, sind längst nicht mehr da. So gerne würde Inge Meuter noch immer Anteil nehmen an ihrem Leben. Sie haben geheiratet, Kinder bekommen, Karriere gemacht — all das, wovon auch Susanne träumte. Während Inge Meuter in ihrer Trauer erstarrte, ist das Leben von Susannes Freunden weitergegangen. Auch das von Thomas. Er hat die Frau geheiratet, von der er Inge Meuter an jenem Januartag an Susannes Grab erzählt hatte. Er ist Vater geworden. Und er fährt noch immer das Auto, das er wenige Wochen vor dem Mord mit Susanne zusammen im Werk abgeholt hat. Immer wieder hat Inge Meuter versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Aber er reagierte nie. Nicht einmal, als im Frühjahr 2008 die Mordkommission Benzenberg ihre Ermittlungen abschloss und erklärte, nur Thomas S. könne der Täter sein.

Inge Meuter war keineswegs davon überzeugt. Im Gegenteil. Neun Jahre lang waren Thomas und Susanne ein Paar gewesen, war der junge Mann ständiger Gast auch in ihrer Wohnung. "Er war wie mein eigenes Kind, ich habe ihn geliebt wie einen Sohn", sagt Susannes Mutter. Auch heute, wo sie all die Widersprüche kennt, in die sich Thomas bei seinen Vernehmungen verwickelte, und die Indizien sieht, die in seine Richtung weisen, will sie immer noch nicht glauben, dass er es gewesen sein könnte, der ihr einziges Kind so brutal zu Tode brachte. Sie will die Wahrheit wissen, aber sie weiß nicht, ob sie sie ertragen kann.

Die Beweislage gegen S. ist schwierig. Dass er regelmäßig in Susannes Wohnung — und in ihrem Bett — war, kann jede Spur von ihm erklären. Das Mordwerkzeug wurde nie gefunden. Eine großangelegte Suchaktion an der A 52, über die Thomas S. in jener Nacht von der einen zur anderen Frau gefahren war, blieb im vorigen Jahr ergebnislos.

Thomas S. hat weder auf diese umfangreiche Spurensuche noch auf die jahrelangen Ermittlungen reagiert. Weil er nie "Fluchttendenzen" gezeigt habe, verzichtete Staatsanwalt Christoph Kumpa auf einen Antrag auf Haftbefehl, als er im Herbst die Mordanklage erhob. Die gründet sich im Wesentlichen auf wissenschaftliche Beweise. Gutachter haben den Zeitpunkt von Susannes Tod so weit wie möglich eingegrenzt. Er sei, sagt Kumpa, "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eingetreten", als Thomas S. nach seiner eigenen Aussage bei ihr war.

Bis Dezember hat die 17. Strafkammer Verhandlungstermine reserviert für den außergewöhnlichen Indizienprozess reserviert. Einer davon ist der 20. November. Susanne Lucans neunter Todestag.

(RP)
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