Prozess gegen Schalke-Ultras in Essen „Ein Haufen von Freunden, die Stimmung im Stadion machen wollten“

Essen · Im Prozess gegen vier Schalke-Anhänger in Essen hat der Hauptangeklagte eine umfassende Einlassung abgegeben. Er hatte im Februar 2019 einen Manchester-City-Fan im Schalker Stadion lebensgefährlich verletzt. Nun äußerte der 33-jährige Angeklagte sein Bedauern.

 Zwei der vier Angeklagten mit ihren Verteidigern Burkhard Benecken (hinten links), Dirk Giesen (hinten rechts) und Dirk Wolterstädt (vorne links).

Zwei der vier Angeklagten mit ihren Verteidigern Burkhard Benecken (hinten links), Dirk Giesen (hinten rechts) und Dirk Wolterstädt (vorne links).

Foto: RPO/Hauser

Fünf Mitarbeiter des Ordnungsdienstes stehen in unmittelbarer Nähe, als der Engländer Paul W. am Abend des 20. Februar 2019 im Schalker Stadion durch einen harten Schlag gegen das Kinn getroffen wird und nach hinten umkippt. Mit ausgestreckten Armen und Beinen bleibt der damals 32-Jährige regungslos auf dem Betonboden liegen. Die Ordner reagieren nicht, der Schläger kann sich umdrehen, gelassenen Schrittes weggehen und in der Menge verschwinden.

Eine Kamera der Arena-Videoanlage hat die Tat während des Champions-League-Spiel des FC Schalke gegen Manchester City aufgezeichnet. Und so ist es später für die Ermittler nicht schwer, Jens H. als Täter zu identifizieren. Sie kannten ihn. Der 33-Jährige war damals als „Gewalttäter Sport“ eingestuft und der Schalker Ultra-Gruppierung „Hugos“ zuzurechnen. Wer zu den Hugos gehörte, ging keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. So beschreibt es ein szenekundiger Beamter, der am Freitag im Essener Landgericht als Zeuge gehört wird.

Es ist der zweite Tag im Prozess gegen Jens H., der mit drei weiteren Schalke-Fans, 30, 45 und 48 Jahre alt, wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt ist. Drei der vier Angeklagten gehörten nach Angaben des Polizeibeamten zum Tatzeitpunkt zu den Hugos. Ihr Angriff dauerte nur Sekunden. Paul W., dessen Schwester und der Vater wurden dabei durch Schläge verletzt.

Jens H. legt am Freitag ein Geständnis ab, stellenweise stockt seine Stimme, und er versucht, nicht zu weinen. „Ich hätte nie gedacht, dass dieser Schlag zu solchen Folgen führen würde“, sagt er. Er habe erst am nächsten Tag im Radio gehört, dass die Polizei eine Mordkommission eingerichtet habe. Paul W. lag zu dem Zeitpunkt im Koma, seine Kopfverletzungen waren lebensgefährlich. „Mir wurde schlecht“, sagt H. Er habe einen Anwalt angerufen und sich am Abend der Polizei gestellt. Wochen später in Untersuchungshaft habe er erfahren, dass Paul W. aus dem Koma erwacht sei. „Ich war unglaublich erleichtert“, sagt er. Die Staatsanwaltschaft hatte Jens H. eigentlich wegen versuchten Mordes angeklagt. Das Schwurgericht sah aber keinen hinreichenden Tatverdacht dafür, dass der Schlag mit Tötungsvorsatz geführt worden ist.

Für Jens H. waren die Hugos und andere Schalke-Fans wie eine Ersatzfamilie, wie er sagt. Seine Mutter starb an Krebs, als er 14 war, später musste er den Selbstmord seines besten Freundes verkraften. „Das hat mich fertiggemacht“, sagt er. Er beschreibt seinen ausschweifenden Alkohol- und Drogenkonsum mit Anfang 20. „An 50 Wochenenden im Jahr habe ich Drogen genommen“, sagt er. Verletzungen nach verabredeten Schlägereien mit gegnerischen Fußballfans seien wie Trophäen für ihn gewesen. „Es ging aber nie darum, jemanden schwer zu verletzten“, sagt er. „Wir waren ein Haufen von Freunden, die Stimmung im Stadion machen wollten“, sagt er. Bier und Schnaps bis zum Umfallen hätten dazugehört.

Inzwischen aber Geschäftsführer einer Firma und verliebt in seine Freundin, habe es schon im Jahr 2019 keine Schlägereien mehr für ihn gegeben, wie er sagt. „Ich bin an dem Abend in alte Verhaltensmuster verfallen“, sagt er. Dass er sich mit den anderen drei Fans im Stadion nach einer Provokation der England-Fans zu dem Angriff verabredet hat, wovon die Staatsanwaltschaft ausgeht, streitet er ab.

Paul W. geht es heute wieder relativ gut, wie sein Anwalt Jan Czopka sagt. „Die Familie wünscht sich jetzt einen Abschluss.“

Ein Urteil könnte Mitte Mai fallen.

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