Prozess gegen Schalke-Fans in Essen „Mit den Engländern kurzen Prozess gemacht“

Essen · Ein Manchester-City-Fan wird vor drei Jahren beim Champions-League-Spiel im Schalker Stadion durch einen Faustschlag lebensgefährlich verletzt. Nun wurden in Essen vier Anhänger von Schalke 04 verurteilt.

 Zwei der vier Angeklagten mit ihren Verteidigern Burkhard Benecken (hinten links), Dirk Giesen (hinten rechts) und Dirk Wolterstädt (vorne links).

Zwei der vier Angeklagten mit ihren Verteidigern Burkhard Benecken (hinten links), Dirk Giesen (hinten rechts) und Dirk Wolterstädt (vorne links).

Foto: RPO/Hauser

Das letzte Wort hat der Angeklagte. Jens H. nutzt die Gelegenheit und betont, wie leid ihm alles tue. Es klingt ehrlich. „Ich hätte mich gerne persönlich bei ihm entschuldigt“, sagt der 33-Jährige. Doch der Mann, den H. am 20. Februar 2019 beim Champions-League-Spiel des FC Schalke gegen Manchester City durch einen Faustschlag lebensgefährlich hat, ist nicht angereist aus England, um im Prozess auszusagen. Jens H. hatte sogar vorgeschlagen, nach Manchester zu fliegen, um Paul W. dort zu treffen und ihm vor Prozessbeginn 10.000 Euro als Wiedergutmachung zu überreichen – doch Paul W. lehnte ein Treffen ab. „Er will mit der Sache abschließen“, sagt sein Anwalt Jan Czopka, der W. und dessen Schwester als Nebenkläger im Prozess vertritt.

Am Dienstag wird Jens H. vor dem Landgericht Essen wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Damit entgeht er haarscharf dem Gefängnis. Zwei mitangeklagte Schalke-Fans bekommen ebenfalls Bewährungsstrafen von sechs und acht Monaten, ein Vierter eine Geldstrafe in Höhe von 1800 Euro. Der Vorsitzende Richter Thomas Kliegel hält dem Hauptangeklagten zugute, dass er „alles getan hat, um die Schäden wiedergutzumachen – wir glauben Ihnen Ihre Reue“. Und er sagt: „Sie hatten Glück, dass es gut ausgegangen ist für Paul W.“. Das Gericht erkennt auch die Bemühungen des Angeklagten an, den englischen Fan zu treffen, um sich zu entschuldigen. Letztlich hat Jens H. rund 35.000 Euro Wiedergutmachung angeboten, die Paul W. nun bekommt.

Die Staatsanwaltschaft hatte für Jens H. eine dreijährige Freiheitsstrafe gefordert, für die anderen drei Angeklagten Bewährungsstrafen zwischen acht und zehn Monaten. Eine wichtige Frage im Prozess war, ob die Tat gemeinschaftlich begangen wurde. Die Staatsanwältin war davon überzeugt – die Angeklagten hätten sich vor der Tat besprochen, dann ihre Kapuzen aufgezogen, um eine spätere Identifizierung zu erschweren. Von einer einvernehmlich beschlossenen Prügelei zwischen den deutschen und den englischen Fans will sie nichts wissen. Die Verteidiger hatten aber genau darauf noch einmal abgezielt in ihren Schlussvorträgen. So gebe es typische rituelle Signale, etwa das Hochziehen der Kapuze, fester Blickkontakt, ein In-die-Hände-Klatschen oder auch ein Tänzeln, als wolle man sich aufwärmen für eine Schlägerei – all das tat der Vater des später schwer verletzten Engländers. Sein Verhalten ist festgehalten auf den Videoaufnahmen aus dem Stadion, die im Prozess gezeigt wurden. Auch ein Zeuge, ein sogenannter szenekundiger Beamter, stufte das Verhalten der englischen Fans als durchaus provokant und „nicht förderlich für die Situation“ ein.

Rechtsanwalt Wolfgang Heer, der Jens H. vertritt, sagte: „Mein Mandant ging davon aus, dass die Engländer an einer einvernehmlichen Auseinandersetzung interessiert sind und hat sich spontan zu der Tat hinreißen lassen.“ Auf den Videoaufnahmen ist zu sehen, wie Paul W. sich nach dem 3:2-Siegtreffer von Manchester-City in der 90. Minute breitbeinig vor dem Schalker Block aufbaut und beide Mittelfinger in Richtung der Fans ausstreckt. Auch zu sehen ist, wie die nun Angeklagten daraufhin ihre Köpfe zusammenstecken und den stark angetrunkenen Engländer in den Blick nehmen. Das Gericht erkennt darin schließlich einen gemeinsamen Tatentschluss. Jens H. und der Mitangeklagte Dieter S. hätten dann „kurzen Prozess“ gemacht mit den Engländern, sie schlugen Paul W. und dessen Vater. Maik F. schlug dann der Schwester von Paul W. ins Gesicht. Ihre Lippe musste genäht werden, der Vater blieb unverletzt.

Jens H. hatte in seinem letzten Wort betont, er werde Konfrontationen künftig aus dem Weg gehen. „Meine Fan-Karriere war kein Ruhmesblatt“, sagte er. Der Geschäftsmann aus Gelsenkirchen war jahrelang ein Schalke-Fan der „Kategorie C“. So stuft die Polizei Fans ein, die nicht nur gewaltbereit sind, sondern Gewalt aktiv suchen. H. gehörte der Schalker Ultra-Gruppierung „Hugos“ an, war polizeibekannt, ist zweifach vorbestraft und wurde wegen diverser Vorfälle als „Gewalttäter Sport“ eingestuft. Das Gericht hält ihm zugute, dass die Tat mehr als drei Jahre zurückliegt und er schon vorher seit Jahren nicht mehr straffällig geworden war. Auch wegen der Corona-Pandemie hatte sich der Prozessbeginn immer wieder nach hinten verzögert.

Der Engländer Paul W. hat die Tat ohne Folgeschäden überstanden. „Es stand aber auf Messers Schneide“, sagt Anwalt Czopka. „Er hat um sein Leben gekämpft.“ Zweieinhalb Wochen lag W. im Koma, hatte schwerste Kopfverletzungen. Der damals 32-Jährige war nach dem Schlag umgekippt und mit dem Kopf auf dem Betonboden aufgeschlagen. „Er kann sich nicht daran erinnern“, sagt Czopka. Auch deshalb sei W. dem Prozess ferngeblieben. Paul W. sei mit seiner Familie im Stadion gewesen und habe keine körperliche Auseinandersetzung gesucht. Czopka sagt aber auch: „Mein Mandant war sicher kein Friedensstifter.“

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