Interview "Es kann sein, dass den Ärzten die Demenz gar nicht auffällt"

Düsseldorf · Immer wieder kommt es vor, dass Senioren mit Demenz Krankenhäuser unbemerkt verlassen. Wir haben mit Britta Keil, der Demenz-Beauftragten der Diakonie in Düsseldorf, darüber gesprochen, wie es zu solchen Situationen kommen kann.

 Weil das Klinikpersonal in Krankenhäusern oft nur wenig Zeit hat, kann es sein, dass demenzkranke Senioren unbemerkt aus dem Krankenhaus verschwinden (Symbolbild).

Weil das Klinikpersonal in Krankenhäusern oft nur wenig Zeit hat, kann es sein, dass demenzkranke Senioren unbemerkt aus dem Krankenhaus verschwinden (Symbolbild).

Foto: Shutterstock/Creativa Images

Frau Keil, in der Uniklinik Köln ist ein 74-jähriger Senior tot in einem unbenutzten Raum der Klinik gefunden worden, nachdem er auf eigene Faust die Klinik verlassen hatte. Kommt es häufig zu solchen Situationen?

 Britta Keil ist Koordinatorin im Kompetenzzentrum Demenz der Diakonie Düsseldorf.

Britta Keil ist Koordinatorin im Kompetenzzentrum Demenz der Diakonie Düsseldorf.

Foto: Britta Keil

Britta Keil: Leider schon. Das Problem ist, dass sich Menschen mit Demenz in Krankenhäusern besonders verloren fühlen. Sie verstehen nicht, was dort vor sich geht und die Situation macht ihnen Angst. Wenn dann kein Angehöriger oder Ehrenamtler da ist, um ihnen zu helfen, kann es zu solchen Situationen kommen. Es kann auch sein, dass sie einfach aufhören zu essen oder sich die Schläuche aus dem Arm reißen.

Aber sie sind ja in einem Krankenhaus. Merkt das Personal nicht, wenn sich so etwas anbahnt?

Keil: Das ist sehr unterschiedlich. Ich weiß zum Beispiel, dass in der Klinik in Essen bei der Einweisung ein Demenz-Screening gemacht wird. Dadurch weiß das Personal genau, ob der Patient von der Krankheit betroffen ist und wie stark. In vielen Krankenhäusern wird das aber nicht gemacht und dann kann es sein, dass ein Patient einfach so aufgenommen wird.

Ohne, dass eine Demenz überhaupt bemerkt wird?

Keil: Genau. Denn es ist nicht selten, dass sich ein dementer Senior erst mal ganz normal unterhält. Erst auf längere Sicht fällt dann auf, dass er Zusammenhänge nicht versteht oder nicht weiß, welcher Tag heute ist. Es kann sein, dass den Ärzten die Demenz gar nicht auffällt.

Aber es handelt sich doch um medizinisches Personal?

Keil: Ja, aber nur, weil jemand versteht, was eine Demenz ist und welche unterschiedlichen Formen es gibt, bedeutet das nicht, dass er zugleich weiß, wie man mit einem Demenzpatienten umgehen muss. Deshalb schulen wir ja auch junge Ärzte in Kliniken, damit sie lernen, wie sich Demenz ausdrücken kann und was die Patienten brauchen.

Das heißt, das viele Krankenhäuser nicht wirklich seniorengerecht sind?

Keil: Bei vielen ist das so, ja. Vor allem, wenn keine Angehörigen da sind, ist es oft schwierig. Wer mit Demenzpatienten umgehen will, der muss Zeit mitbringen und ein hohes Maß an Empathie. Man muss viel Raum für Gefühle lassen und das kann das Klinikpersonal im Alltagsbetrieb natürlich nicht leisten. Die Konsequenz ist, dass Demenzpatienten manchmal keinen Bissen essen, weil sie nicht verstehen, dass unter der Glocke auf dem Teller Essen liegt oder Medikamente nicht selbständig eingenommen werden.

Es geht also eigentlich nur mit dem Einsatz von Angehörigen.

Keil: Im Grunde ja. Und manchmal ist es auch so, dass sie 24 Stunden am Bett sitzen und auf den Senior aufpassen. Aber manchmal haben die Senioren auch keine Angehörigen oder sie sind beruflich sehr eingebunden. Dann kann es sogar sein, dass die Senioren fixiert werden.

Das machen Kliniken?

Keil: Ich kann jetzt hier keine Namen nennen, aber ja, das passiert. Und das ist für niemanden schön. Aber noch schlimmer ist natürlich für jemanden, der nicht versteht, was passiert. Was ich sehr oft von Angehörigen höre, dass der Partner vor dem Krankenhausaufenthalt gut gelaunt war und man normal mit ihm reden konnte, und er danach völlig verwirrt ist.

Wie kommt das?

Keil: Weil sie eben oft im Krankenhaus nicht die richtige Ansprache bekommen. Die Situation ist zu viel für sie. Sie verstehen nicht, was passiert und dann verschlimmert das ihre Situation. Es traumatisiert sie regelrecht.

Kennen Sie denn auch positive Beispiele?

Keil: Auf jeden Fall. In Witten-Herdecke gibt es eine Demenzstation in der Patienten den ganzen Tag Programm haben und von dort in die medizinischen Behandlungen und wieder zurück gehen. Das ist wirklich toll, weil sie dann beschäftigt sind und sich nicht so verloren fühlen. Und auch in Düsseldorf setzen sich die Krankenhäuser inzwischen sehr für dieses Thema ein.

In welcher Form?

Keil: Es gibt inzwischen eine Krankenhaus-Charta. Da haben sich alle Krankenhäuser geeinigt ein Demenz-Screening einzuführen und die Mitarbeiter speziell für diese Patienten zu schulen. Das ist wirklich ein großer Fortschritt.

(ham)
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