Garzweiler Hinter dem Wall das Ende der Welt - die Not der Dörfer am Tagebaurand

Erkelenz · Wenige hundert Meter vor seinem Haus könnte der Tagebau Garzweiler zum Stoppen kommen. Wie so viele andere Bürger, deren Dorf bald an der Braunkohlegrube liegen wird, möchte Michael Königs das nicht akzeptieren. Daran ändert auch ein neuer Vorschlag von RWE nichts.

 Die Anwohner Christine Wedderwille und Michael Königs stehen auf einer Wiese vor dem Lärmschutzwall des Tagebaus.

Die Anwohner Christine Wedderwille und Michael Königs stehen auf einer Wiese vor dem Lärmschutzwall des Tagebaus.

Foto: dpa/Marcel Kusch

Wenn das, was Michael Königs für das Ende der Welt hält, einmal vor seiner Tür liegen wird, versperrt der Erdwall ihm immerhin die Sicht darauf. Nun versperrt er ihm bloß den Blick auf die niederrheinischen Felder und Wiesen, wenn er das Haus verlässt. Sieben Meter hoch wurde die Erde aufgeschüttet, die ihn und die anderen Kaulhausener bald vor Lärm und Schmutz des Tagebaus Garzweiler schützen soll.

25 Meter sind es bloß vom Wall bis zu seinem Haus, das hat der 54-Jährige nachgemessen. Bis vor kurzem musste er noch befürchten, dass die Grube bis auf 80 Meter an sein Haus heranrücken würde. Zumindest diese Gefahr scheint vorüber. Nach einem neuen Vorschlag, den RWE vor wenigen Tagen an die NRW-Landesregierung übersandt hat, soll Kaulhausen 300 Meter Abstand zur Grube bekommen. Auch der Wall würde dann noch mal umgesetzt werden. „Damit bin ich auf keinen Fall zufrieden“, sagt Königs: „Lärm und Dreck werden der gleiche sein.“

Auch andere Erkelenzer Dörfer wie Venrath, Kückhoven und Holzweiler könnten bald nur noch wenige hundert Meter von den großen Baggern entfernt sein, die für RWE die Braunkohle aus der Erde schaufeln. Wanlo, der südlichste Stadtteil von Mönchengladbach, ist ebenfalls betroffen. Während die Bewohner der Dörfer, die durch den Tagebau komplett verschwinden, für den Verlust der Heimat von RWE entschädigt werden, muss das Unternehmen den Grubenranddörfern für den Verlust der Idylle nichts zahlen.

Michael Königs nennt sich die letzte Hausgeburt von Kaulhausen, ein Dorf, das so klein ist, dass alle Nachbarn sind. 200 Einwohner und eine Straße, die so heißt wie der Ort - das war’s. Königs war nur zwischendurch mal vier Jahre weg. Dann baute er am Elternhaus an und zog 1997 mit seiner Frau ein. Nebenan führt er ein IT-Unternehmen. Seine Mutter und ein Bruder leben noch mit ihm, außerdem sein Sohn.

Königs fürchtet den Lärm und den Schmutz des Tagebaus, schon jetzt beklagt er Berg- und Straßenschäden. Die Grundstückspreise seien im Keller. „Wer will denn jetzt noch nach Kaulhausen ziehen?“ Nur seine niederrheinische Gemütlichkeit dämpft seine Empörung. Weil der Tagebau ihm so nah kommen könnte, hat ihm RWE immerhin den Umsiedlerstatus gewährt. Das heißt, das Unternehmen würde Grundstück und Haus kaufen, er könnte in eines der neuen Dörfer ziehen. Aber er bleibt, auch der Heimat wegen.

Im ganzen Dorf regt sich Widerstand. Seit 2018 feiern sie das Wallweinfest, auch, um an ihre Situation zu erinnern. Auf dem Erdwall haben die Bewohner ein Banner befestigt: „Wir sind keine Menschen 2. Klasse. Wir fordern 1500 Meter Tagebaugrenze.“ Die 1500 Meter spielen auf den Mindestabstand an, den Windräder in NRW vielleicht bald zu Wohnsiedlungen haben sollen. Königs fühlt sich dabei wenig unterstützt durch die Politik. „Müssen wir erst Baumhäuser bauen, damit wir Gehör kriegen?“, fragt er und spielt damit auf die Umweltaktivisten im Hambacher Forst an.

Im Nachbardorf Venrath hat Peter-Josef Gormanns den nahenden Tagebau zu seinem Thema gemacht. Der 52-jährige Agraringenieur engagiert sich im Dorfforum Venrath-Kaulhausen dafür, die Nähe zur Grube für die Bewohner so erträglich wie möglich zu machen. Gormann glaubt, dass er in der Stadt Erkelenz starke Unterstützer hat. Bei Politikern außerhalb der Region habe er es dagegen schwer: „Da zählen dann Argumente wie Arbeitsplätze stärker.“ NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) schaute 2018 persönlich vorbei. Gormanns nahm ihm seine Betroffenheit sogar ab. Doch er glaubt, für Laschet seien Kaulhausen und Venrath weit weg, sobald er wieder in seinem Düsseldorfer Büro sitze. Trotzdem ist Gormanns zuversichtlich, dass der Tagebau auf Abstand bleibt. Er setzt auf die sich drehende Stimmung, die stärker werdende Klimabewegung „Fridays for Future“: „Aber wir werden um jeden Meter ringen müssen.“

Gerade hat RWE der Landesregierung immerhin vorgeschlagen, den Abstand zu Kaulhausen und Kückhoven zu vergrößern. 300 Meter sollen es dann werden. Der Rat der Stadt Erkelenz fordert allerdings schon seit Februar 2019 zu jedem Dorf 500 Meter Abstand. Die Landesregierung arbeitet gerade an einem neuen Leitentscheid. Ein Sprecher der Staatskanzlei kündigte an, dass ein Entwurf bis zum Sommer erarbeitet werden soll. Darin werde sich die Landesregierung auch konkret dazu äußern, wie die Situation der Dörfer am Tagebaurand verbessert werden könne.

Geht es nach RWE, dann tut das Unternehmen bereits jetzt eine Menge für die Dörfer. Ein Sprecher weist auf ein „Paket von Maßnahmen“ hin, damit der Tagebau möglichst wenig Staub und Lärm in der Nachbarschaft produziert. Neben dem Erdwall sind das Sprinkleranlagen und Sprühmasten, die Begrünung länger offenliegender Tagebauflächen. Außerdem würden die Geräte auf den oberen Sohlen in Ortsnähe die Nachtruhe einhalten. Das schließt laut Sprecher die riesigen Schaufelradbagger ein.

Während Königs und Gormanns noch ein paar Kilometer von der Grube trennen, hat es Birgit Cichy nicht mehr weit. Die 56-Jährige wohnt im Mönchengladbacher Stadtteil Wanlo. Wie Venrath und Kaulhausen sollte auch Wanlo mal in der Grube verschwinden, wurde dann aber aus dem Plan genommen und zum Grubenranddorf. Cichy ist in Wanlo aufgewachsen und wohnt mittlerweile wieder im Elternhaus in der Ortsmitte. Auf den Fensterbänken liegt schon mal Kohlestaub.

Sie hat den Eindruck, dass die meisten Einwohner sich mit dem abgefunden haben, was für Cichy der Verlust von Heimat ist. Sie aber hat sich der Aktion „Menschenrecht vor Bergrecht“ angeschlossen. Die Beteiligten haben ein Grundstück im benachbarten Keyenberg gekauft. RWE müsste, da die neuen Besitzer nicht verkaufen wollen, die Enteignung beantragen. Scheitert RWE damit, bringt das die Abbaupläne des Unternehmens in Gefahr.

Bis auf 100 Meter könnte die Grube laut Cichy an Wanlo heranrücken. „Bald ist da hinten gar nichts mehr“, sagt sie. Wer eine Ahnung bekommen will, was das bedeutet, muss bloß die Landstraße, die aus dem Ort hinausführt, weiter Richtung Süden laufen. Hinter dem Emissionswall beginnt auf der linken Seite bereits der Tagebau, auch wenn das riesige Loch selbst bloß in der Ferne zu sehen ist. Am Ortsausgangsschild ist Wanlo wie üblich durchgestrichen. Darüber steht kein anderer Ort. Bald stimmt das auch.

(hsr/dpa)
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