Idee für Energiewende Hambacher Tagebau soll als Super-Batterie dienen

Jülich · Physiker aus Frankfurt und Saarbrücken wollen den nach dem Ende des Kohleabbaus in Hambach geplanten Rekultivierungssee in einen Stromspeicher verwandeln. Die verwegene Idee stellen sie diese Woche in der RWE-Zentrale in Essen vor.

 Wenn das Braunkohle-Abbaugebiet Hambach erschöpft ist, soll hier ein riesiger Rekultivierungssee entstehen. Und der soll zur Energieerzeugung genutzt werden.

Wenn das Braunkohle-Abbaugebiet Hambach erschöpft ist, soll hier ein riesiger Rekultivierungssee entstehen. Und der soll zur Energieerzeugung genutzt werden.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Schluss mit der Kernkraft, fort mit der Kohle, die Bundesregierung plant die Energiewende. Am grünen Ende dieser Wende soll deutlich mehr Strom als heute aus umweltfreundlichen Quellen stammen. Doch gibt es dabei ein großes Problem. Die Erneuerbaren können sich wechselndem Bedarf nicht anpassen. Sie liefern nur dann elektrische Energie, wenn der Wind weht, die Sonne scheint oder genug Wasser im Speicherbecken steht.

Damit die Energiewende nicht in einer Sackgasse endet, braucht Deutschland zwingend einen Akku – einen oder mehrere Speicher, die elektrische Energie aufnehmen, wenn zu viel zur Verfügung steht, und diese Energie abgeben, falls mehr verlangt als geliefert wird. „Spätestens ab einem Anteil von 50 Prozent der erneuerbaren Energien brauchen wir ein Speichersystem“, sagt Gerhard Luther von der Forschungsstelle Zukunftsenergie der Saar-Uni. Mit seinem Kollegen Professor Horst Schmidt-Böcking von der Uni Frankfurt hat der promovierte Physiker dafür einen Vorschlag präsentiert.

Die Idee klingt beim ersten Hören verwegen – doch das Konzept ist bereits technisch getestet, und Schmidt-Böcking und Luther besitzen darauf Patente. Ihnen dienen riesige Hohlkugeln aus Beton, die im tiefen Wasser versenkt werden, als Akku. Eine solche Wasserbatterie speichert Energie in Form einer Druckdifferenz. Steht zu viel Strom zur Verfügung, wird aus der versenkten Speicherkugel das Wasser herausgepumpt, innen entsteht ein Unterdruck. Soll die Wasserbatterie Strom abgeben, wird ein Ventil geöffnet, das Wasser schießt zurück in den Hohlraum, passiert dabei die Pumpturbine, und die erzeugt elektrischen Strom.

Um mit dieser Technik große Mengen Energie speichern zu können, ist allerdings eine gewaltige Druckdifferenz nötig. Knapp 1000 Meter Wassertiefe wären ideal. Deshalb hatten Luther und Schmidt-Böcking ursprünglich die etwa 800 Meter tiefe Norwegische Rinne in der Nordsee im Visier. Doch nun wollen sie ihr Öko-Projekt an einen anderen Standort verpflanzen: den Braunkohle-Tagebau in Hambach.

Ein nach dem Ende des Kohleabbaus dort geplanter Rekultivierungssee soll einen elektrischen Kurzzeitspeicher aufnehmen, dessen Kapazität theoretisch für ganz Deutschland genügen würde, haben sie in einer weiteren Patentanmeldung errechnet. Als durchaus nicht unwillkommene Nebenwirkung dieses Vorschlags würde aus dem Krater in der Landschaft, heute Symbol für Sünden der Umweltpolitik vergangener Tage, der strahlende Stern einer ökologischen Kehrtwende.

Im Jahr 2016 wurde das Konzept der Physiker vom Baukonzern Hochtief und dem Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme in Kassel mit einer Unterwasser-Batterie im kleinen Maßstab bei Überlingen im Bodensee getestet. Kleiner Maßstab bedeutet dabei: Die Ingenieure versenkten ein etwa drei Meter großes und knapp 22,5 Tonnen schweres Beton-Ei im 100 Meter tiefen Bodensee. Einen Monat testete das Fraunhofer-Institut danach, ob sich der Energiespeicher unter Wasser verhielt wie berechnet. „Der Bodensee-Test war erfolgreich“, resümierte danach Christian Dick vom Kasseler Fraunhofer-Institut.

Im Fall des Hambacher Lochs denken Gerhard Luther und Horst Schmidt-Böcking nun allerdings in ganz anderen Dimensionen. Bevor der Tagebau nach dem Ende der Kohleförderung geflutet wird, so schlagen die beiden Physiker vor, solle die unterste Sohle mit geeigneten Hohlraumspeichern, zum Beispiel mit zehnmal größeren Energiekugeln, in mehreren Schichten belegt werden. Ein einziges der dort platzierten Beton-Eier würde dann etwa 24.000 Tonnen wiegen und könnte abhängig von der Wassertiefe 15 bis 30 Megawattstunden elektrische Energie speichern. Zum Vergleich: Eine durchschnittliche Familie verbraucht etwa vier Megawattstunden pro Jahr.

Die Wissenschaftler haben berechnet, dass das Hambacher Loch bei seiner gegenwärtigen Größe sieben Prozent des künftigen täglichen elektrischen Energiebedarfs Deutschlands zwischenspeichern könnte. Das entspreche dem Fünffachen der heutigen Gesamtkapazität der Pumpspeicherkraftwerke, reiche aber immer noch nicht aus. Wenn man’s richtig anpacke und das Potenzial des Tagebaus voll ausschöpfe, lasse sich die Speicherkapazität aber auf das Zehnfache vergrößern. Dazu müsste der Tagebau von gegenwärtig rund 400 Meter teilweise auf 1000 Meter Tiefe ausgebaggert und die Grundfläche am späteren Boden des Rekultivierungssees auf das Fünffache vergrößert werden.

 Physiker Gerhard Luther mit einem Modell seines Energiespeichers.

Physiker Gerhard Luther mit einem Modell seines Energiespeichers.

Foto: Iris Maria Maurer

Für den Test des Energie-Eis im Bodensee hatten die Projektpartner 2016 finanzielle Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums. Ob die Hambacher Wasserbatterie eine Aussicht auf Realisierung hat, könnte sich schon in wenigen Tagen entscheiden. Dann wollen Horst Schmidt-Böcking und Gerhard Luther ihre Idee in der RWE-Zentrale in Essen vorstellen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort