Equal Care Day am 29. Februar „Sei alles, aber bloß kein Mädchen”

Düsseldorf · 80 Prozent der sogenannten Sorgearbeit wird von Frauen übernommen – dazu zählt nicht nur Kochen und Pflegen, sondern auch das Mitdenken, privat und beruflich. Das ist ein Grund, warum Männer fünf Jahre kürzer leben. Wie das zusammenpasst, erklären die Initiatoren des Equal Care Days im Interview.

 Sascha Verlan und Almut Schnerring organisieren in Bonn eine Konferenz zum Equal Care Day.

Sascha Verlan und Almut Schnerring organisieren in Bonn eine Konferenz zum Equal Care Day.

Foto: Viktor Marinov

Sie haben sich bewusst dafür entschieden, den Equal Care Day auf den 29. Februar zu legen, einen Tag, den es nur alle vier Jahre gibt. Was hat der 29. Februar mit Kochen, Pflege und Kindererziehung zu tun?

Almut Schnerring Es geht uns um die Symbolik: Den 29. Februar gibt es nur im Schaltjahr, sonst wird er einfach übergangen, bleibt unsichtbar wie die Sorgearbeit eben auch. Der unsichtbare Tag also für die unsichtbare Arbeit. 2016 haben wir die Idee zum ersten Mal öffentlich gemacht, und die Reaktionen aus Politik und Medien haben uns gezeigt, dass wir damit einen Nerv getroffen hatten.

Sascha Verlan Und als dann 2018 in der aktuellen Debatte im Bundestag an den Equal Care Day erinnert wurde, da wurde uns klar: Wir dürfen viel größer denken.

Was meinen Sie konkret, wenn sie von „Care-Arbeit” sprechen?

Schnerring Care-Arbeit, das sind all die Aufgaben, bei denen es darum geht, sich um Menschen zu kümmern. Sowohl in der Erwerbsarbeit als auch im Privaten. Care-Arbeit passiert aber nicht nur da, wo geputzt, gefüttert und gewickelt wird. Care-Arbeit umfasst auch das ganze Drumherum. Wer hilft und unterstützt? Ich kann nicht kochen, wenn vorher niemand eingekauft und gespült hat.

Wie sieht das bei Ihnen privat aus?

Verlan Wir haben eine Grundaufteilung. Ich gehe einkaufen und ich koche, meine Frau kümmert sich um die Wäsche und Geschenke…

Schnerring …das hat sich bei manchen Bereichen von selbst so eingespielt. Ob es 50/50 aufgeteilt ist, weiß ich nicht, das wechselt immer…

Verlan …weil wir ja auch beruflich unterschiedlich belastet sind. Mal macht die eine mehr, mal der andere.

Schnerring Das klappt ganz gut, ist aber anstrengend, und es wäre mit einer traditionellen Rollenaufteilung sicher einfacher, weil die Welt um uns herum das so vorgesehen hat. Wenn man es anders machen will, kostet das mehr Zeit, mehr Absprachen. Aber es bringt eben auch mehr Zufriedenheit. Ich wäre sehr unglücklich, wenn ich nur fürs Geld Verdienen oder nur für Haushalt und Kinder zuständig wäre.

Verlan Und es ist schön zu wissen: Ich könnte das alles auch alleine. Ich muss nicht, wie viele andere, meine eigene Mutter anrufen, wenn meine Frau auf Geschäftsreise ist oder ins Krankenhaus müsste.

Schnerring Man ist weder finanziell noch in der Familienarbeit abhängig voneinander. Das wäre doch … ich weiß gar nicht, wieso man auf einer solchen Ungleichheit ein gemeinsames Leben aufbauen möchte. Außer es geht eben nicht anders, wie bei vielen Alleinerziehenden zum Beispiel.

Bei den meisten Paaren übernehmen Frauen den Großteil der Care-Arbeit, darauf wollen sie mit ihrer Konferenz aufmerksam machen. Wie sieht diese Aufteilung statistisch aus?

Verlan Privat ist es so, das wurde im 2. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung errechnet, dass Frauen täglich mehr als 50 Prozent mehr Zeit mit Care-Arbeit verbringen als Männer. Rein auf den Arbeitsmarkt bezogen liegt der Frauenanteil in den sogenannten SAHGE-Berufen (Anm. d. Red. Soziale Arbeit, haushaltsnahe Tätigkeiten, Gesundheit und Erziehung) bei 84 Prozent.

Woran liegt das?

Schnerring Das ist zum einen die Macht der Gewohnheit, weil die meisten es bei ihren Eltern schon so erlebt haben, weil es durch gesetzliche Rahmenbedingungen wie die Familienversicherung oder das Ehegatten-Splitting gefördert wird, weil wir uns der Rollenbilder nicht bewusst sind. Mitfühlen und Sich-Kümmern sind weiblich konnotiert. Und Kinder lernen schon ganz früh, wie Mädchen und wie Jungs angeblich sein sollen.

Wie wirkt sich das auf die Kinder aus?

Schnerring Alle Kinder spielen gerne mit einer Puppe und füttern und versorgen sie. Und bei Mädchen wird das auch gerne gefördert, bei Jungen eher nicht, im Gegenteil, sie müssen sich Kommentare anhören und lernen dadurch, dass dieser Baby-Haushalt-Kümmer-Bereich nichts für sie ist. Und der Spielwaren- und Kindermedienbereich zementiert diesen ersten Eindruck. Wie aber sollen kleine Jungen lernen, sich in die Welt der Fürsorge einzufühlen, wenn wir sie nicht mit Puppen spielen lassen und Spielküchen immer für Mädchen beworben werden?

Verlan Frauen bekommen Care-Arbeit von Anfang an als Grundkompetenz beigebracht: Das ist das, was du als Mädchen oder Frau besser kannst als die Männer – du kümmerst dich besser um die Kinder, also fühl Dich verantwortlich! Aber wenn Jungs auch mal mit Mädchen-Spielzeug spielen wollen, können sie das doch machen.

Schnerring Wir geben viele Workshops zum Thema geschlechterreflektierte Pädagogik, und wir wissen von Erzieher*innen, dass Eltern Dinge sagen wie: Machen Sie meinem Jungen bloß keine Haarspangen mehr rein, sonst ist der demnächst vom anderen Ufer. Das wird tatsächlich so formuliert, die Sorge, dass Jungs zu weiblich werden. „Sei alles, aber bloß kein Mädchen!“, verbirgt sich hinter ganz vielen Aussagen. Für einen Jungen ist es damit eine Herabsetzung, Rosa zu mögen oder sich als Prinzessin zu verkleiden.

Verlan Kinder lernen aber auch durch Bücher und Filme, was typisch männlich und typisch weiblich ist. Dabei ist diese strikte geschlechtliche Zuschreibung von Eigenschaften medizinisch gar nicht haltbar.

Ist das so?

Verlan Diese uralten Studien, dass Männer weniger empathisch seien, sind alle widerlegt worden. Geschlecht ist eine viel zu komplexe Kategorie, als dass wir sagen könnten, es gebe so etwas wie den Mann schlechthin oder die Frau, wir alle sind ganz unterschiedliche Ausprägungen von dem, was wir dann mit Geschlecht in zwei Kategorien trennen.

Schnerring Es gibt keine Studie, die das untersuchen könnte, weil wir von Anfang an Teil dieser Gesellschaft sind. Und zur Zeit legen sehr viele wieder zunehmend Wert darauf, dass sich Mädchen anders verhalten als Jungs. Wir behandeln Kinder ab Tag Eins unterschiedlich

Verlan Jungs werden zum Beispiel im Durchschnitt kürzer getröstet als Mädchen, wenn sie sich weh getan haben. Sie sollen gleich wieder losziehen und noch einmal versuchen, was gerade nicht geklappt hat, Mädchen dagegen bekommen mit auf den Weg, doch jetzt vorsichtiger zu sein.

Ist nicht schon viel in Sachen Gleichstellung der Geschlechter passiert? Unsere Gesellschaft ist doch viel offener geworden.

Schnerring Die Ehe für alle wurde eingeführt, in der Folge eines Urteils vom Bundesverfassungsgericht gibt es jetzt einen dritten positiven Geschlechtseintrag … einerseits gibt es so viel mehr Freiheit, andererseits wächst die Verunsicherung. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, dass enge Rollenbilder wieder Orientierung versprechen. Denn sie machen das Leben natürlich einfacher, die Aufteilung ist dann klar: Er verdient das Geld und sie bleibt „nur“ zuhause.

Von dieser Verteilung scheinen gerade die Männer zu profitieren. Warum sollten sie daran etwas ändern wollen?

Schnerring Sie würden fünf Jahre länger leben, das ist doch schon mal was, oder? Care-Arbeit bedeutet nämlich auch, sich um sich selbst zu kümmern. Männer gehen öfter als Frauen von der einen Beziehung in die nächste, weil sie gar nicht alleine für sich sorgen können. Und wenn sie tatsächlich alleine sein müssen, dann wird es oft wirklich prekär. Die Suizidrate bei Männern im Rentenalter ist vier bis fünfmal so hoch wie die der Frauen.

Was wäre die Lösung?

Schnerring Solange es nur im Gesetz steht, dass alle die gleiche Freiheit haben, aber in der Kita die Werkbank dann explizit für die Jungs angeschafft wird, ändert sich langfristig in der Berufswelt nichts. Kinder lernen, dass Care-Arbeit nur etwas für die eine Hälfte der Gesellschaft ist, deshalb braucht es viel tiefgreifendere Lösungen in Bildung, Wirtschaft und Politik.

Verlan Das Wahlrecht für Frauen ist ja auch nicht plötzlich da gewesen, das musste erkämpft werden. Auch Männer müssen dafür kämpfen, im Care-Bereich ernst genommen zu werden und zeigen: Ich kann das genauso gut wie du. Letztlich profitieren sie davon. Deshalb müssen sie in der eigenen Familie, im Unternehmen und auch im Bekanntenkreis mithelfen, durchzusetzen, dass Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen können, dass Männer genauso herangezogen bzw. freigestellt werden, wenn Angehörige gepflegt werden müssen.

Wir müssen also lernen, Care-Arbeit besser wertzuschätzen?

Schnerring Das gesamte Wirtschaftssystem baut auf Care-Arbeit auf und würde gar nicht funktionieren, wenn wir nicht immer voraussetzen würden, dass Frauen sie als Ressource gratis mitgeben. Und es ist natürlich auch eine Machtfrage. Care-Arbeit wird nicht beachtet, aber trotzdem wird daraus Gewinn geschlagen. Wirtschaftswachstum ignoriert Care-Arbeit, dabei könnte ein Unternehmen keinen Umsatz machen, wenn nicht vorher Menschen Care-Arbeit geleistet hätten. Trotzdem werden sie dafür finanziell abgestraft. Das ist absurd, dass Care-Arbeit beim Gewinn, in der Bilanz eines Unternehmens nicht vorkommt.

Und wie wollen Sie mit dem Equal Care Day einen Beitrag dazu leisten?

Schnerring Wir wollen mehr als diesen einen Aktionstag liefern. Wir haben konkrete Vorstellungen, was sich ändern müsste und werden deswegen mit den Teilnehmer*innen der Konferenz einen gemeinsamen Forderungskatalog erarbeiten, ein Manifest, das wir dann im Rahmen eines parlamentarischen Frühstücks der Bundespolitik präsentieren werden.

Wie würde die Gesellschaft aussehen, wenn Care-Arbeit gleichberechtigt aufgeteilt wäre?

Schnerring Es wäre eine Gesellschaft, in der man schon ab der Geburt lernt, dass es ein Wert an sich ist, sich um andere zu kümmern und Geschlecht bei der Diskussion darum irrelevant ist. Eine Gesellschaft, in der alle verinnerlicht haben, dass es ohne Care-Arbeit kein Leben geben kann und keine Gesellschaft.

Verlan Es wäre eine Gesellschaft, in der alle Teile und Glieder wissen, was Care-Arbeit umfasst, und dass ihr Grundstein bei der Geburt gelegt wird, beim Beginn von Familie, da wo sich Bindung entwickelt und gelernt wird.

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