Pandemie-Management So will NRW die Kitas für den Corona-Herbst rüsten

Düsseldorf · NRW-Familienministerin Josefine Paul setzt nach den Sommerferien auf Eigenverantwortung der Eltern. Was mit der neuen Coronaschutzverordnung ab August in Kitas gilt, wann Einrichtungen die Betreuung ablehnen können und was Eltern dazu sagen.

 Eine Erzieherin, die eine medizinische Maske trägt, sitzt mit einem Kind in einer Kita hinter Bechern mit Buntstiften.

Eine Erzieherin, die eine medizinische Maske trägt, sitzt mit einem Kind in einer Kita hinter Bechern mit Buntstiften.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Noch sind viele Familien in den Sommerferien, aber neben dem Schulstart rückt auch der Start des Kita-Jahres in Nordrhein-Westfalen näher. Wie schon in den vergangenen beiden Jahren stellen die aktuellen Inzidenzen und vor allem die erwartete Herbst-Corona-Welle Eltern und Einrichtungen erneut vor großen Herausforderungen. „Gerade in Zeiten von Wandel und Krise brauchen Kinder und Familien verlässliche Betreuungsmöglichkeiten“, betonte NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) an diesem Freitag, um die Pläne zum Kitastart am 1. August vorzustellen.

Die Eigenverantwortung liegt demnach vor allem bei den Eltern: Zum Auftakt des neuen Kindergartenjahres stellt die Landesregierung acht Coronatests pro Kita-Kind im Monat zur Verfügung. Zweimal wöchentlich sollen Eltern ihre Kinder testen, und zwar zu Hause, vor allem bei entsprechenden Symptomen. Die Schnelltests – „wahrscheinlich wie gewohnt Lollitests“ – sollen monatlich verteilt werden, zunächst bis zu den Herbstferien. Die Coronaschutzverordnung des Landes wird ab dem 8. August entsprechend verschärft.

„Kranke Kinder gehören nicht in die Kita“, sagte die Ministerin, obgleich nicht jeder Schnupfen bedeuten soll, dass Kinder nicht betreut werden könnten. Die Einschätzung der Eltern soll ausreichen. Aber: Im Zweifel liege die Entscheidung bei der Einrichtung. „Betreuerinnen und Betreuer können die Vorlage eines Coronatests verlangen, wenn Kinder mit offensichtlichen Symptomen in die Kita gebracht werden“, so Grünen-Politikerin Paul. Außerdem können Eltern gebeten werden, ihre Kinder abzuholen, wenn sie im Tagesverlauf corona-typische Symptome entwickeln. Man hoffe auf eine vertrauensvolle Kooperation von Eltern und Einrichtungen. Eltern bittet die Familienministerin, Masken zu tragen, wenn sie ihre Kinder bringen und abholen. „Die Präsenz in Kitas hat Priorität“, so Paul, „wir wollen das offene Angebot möglichst aufrechthalten bei gleichzeitig hohem Gesundheitsschutz.“

Dass die Maßnahmen nicht ausreichen und das Verhältnis zwischen Einrichtung und Eltern belastet, befürchtete allerdings die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft NRW. „Dass das Land NRW die Förderkriterien für Luftfilteranlagen nicht ausweitet, ist enttäuschend“, ergänzt Ayla Çelik, Vorsitzende der GEW NRW.

Kommende Woche startet für rund 752.000 zu betreuende Kinder in NRW das neue Kindergartenjahr. Mit 10.742 Einrichtungen gibt es nach Angaben der Familienministerin 130 mehr als im Vorjahr – das seien etwa 5500 Plätze mehr trotz der Schwierigkeiten, Personal zu finden. Die Ministerin kündigte an, dass eine neue „Koordinierungsstelle Fachkräftesicherung“ am Montag ihre Arbeit aufnehme. Damit soll dem Personalmangel entgegengewirkt werden. Offen blieb, wie viele Kräfte in NRW genau fehlen.

Der Opposition im Landtag gehen die Pläne nicht weit genug: „Minischritte und vage Ankündigungen reichen nicht aus, um den Herausforderungen in den Kitas gerecht zu werden“, erklärte Jochen Ott, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag. Der von der Grünen-Ministerin angekündigten Personaloffensive fehle es an konkreten Maßnahmen: „Um den Beruf attraktiver zu machen, muss man auch den Mut haben, etwas am System zu verändern“, so SPD-Politiker Ott. Im Koalitionsvertrag sei von einer umfassenden Reform des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) von 2007 aber keine Rede mehr. Statt der Kopfpauschale pro Kind brauche es eine einrichtungsbezogene Sockelfinanzierung.

Auch die Corona-Pläne der Landesregierung reichen ihm nicht: „Wenigstens in den ersten beiden Wochen nach dem Kita-Start sollten tägliche Testungen an der Tagesordnung sein“, so SPD-Fraktionsvize Ott. Die FDP wiederum sieht es skeptisch, dass Kita-Leitungen nach eigener Einschätzung die Vorlage eines Tests fordern können. „Das sorgt für Unsicherheit bei Eltern und Erziehern“, sagte Marcel Hafke, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Landtagsfraktion. Man müsse das Abwasserscreening zur Pandemiebekämpfung ausbauen, fordert die FDP. Außerdem sollte die Isolationspflicht im Falle einer Infektion abgeschafft werden.

Elternvertreterin Daniela Heimann vom Landeselternbeirat der Kitas in NRW sagte: „Es ist sicherlich richtig, das man die Möglichkeit kriegt, bei Symptomen zu testen. Und es ist auch wichtig, dass das getan wird, damit das Virus sich nirgendwo schnell ausbreiten kann.“ Dass grundsätzlich zwei Tests pro Woche vorgesehen sind, also auch für gesunde Kinder, versteht man beim Elternbeirat als Angebot an die Familien. Es dürfe kein Druck aufgebaut werden, entsprechend zu Handeln, betonte Daniela Heimann: „Bei anlasslosen Tests gehen wir nicht mehr mit.“

Abgesehen davon befürchteten die Eltern, dass im Familienministerium die falschen Prioritäten gesetzt würden. Das Wichtigste müsse es sein, mehr Mitarbeiter für die Einrichtungen zu gewinnen. „Wir Eltern haben den Eindruck, dass einfach hingenommen wird, dass der Fachkräftemangel da ist. Wir wünschen uns, dass da jetzt mehr Tempo gemacht wird – trotz Pandemie.“ Immerhin: Positiv sei die Fortsetzung des Kita-Helfer-Programms, das den Kindergärten zu mehr Personal verhilft.

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, begrüßte die Herangehensweise der NRW-Landesregierung sowohl bei den Kitas als auch bei den Schulen – das Coronakonzept zum Schulstart hatte Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) am Donnerstag vorgestellt. „Es ist grundsätzlich richtig, auf das Prinzip der Eigenverantwortung zu setzen“, sagte er unserer Redaktion. Das Testen wird in beiden Fällen in die Hände der Familie gelegt: „Das ist ein sinnvolles Vorgehen und stellt einen Verzicht auf die anlasslosen und medizinisch ohnehin fragwürdigen Massentestungen dar“, so der KBV-Chef.

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