Als Köchin auf der Antarktis-Station Wenn in der Antarktis das Vanilleeis ausgeht

Essen · Kochen, wo andere frieren: Die Essenerin Julia Reick war mehr als ein Jahr für die Mahlzeiten in der Antarktis-Station Neumayer III verantwortlich. Sie lernte dort nicht nur, wie erstaunlich lange sich Eier halten, sondern auch, dass selbst in der Antarktis Tomaten wachsen können.

 Julia Reick - Köchin im Blaumann

Julia Reick - Köchin im Blaumann

Foto: Ester Horvath / Alfred-Wegener-Institut

Auch im ewigen Eis gibt es eine Kantine. 14 Monate lang kochte Julia Reick für die Mitarbeiter der Neumayer-Station III, einer Forschungseinrichtung des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in der Antarktis. Im antarktischen Sommer zwischen November und Februar bereitete sie für bis zu 60 Personen fünf Mahlzeiten täglich zu.

Als Anfang März 2018 der Winter begann, der Temperaturen von 40 Grad minus und kälter brachte, blieben mit Reick nur noch neun weitere Mitarbeiter in der 2000 Kilometer vom Südpol entfernten Station. Sie wussten: Das nächste Flugzeug würde wegen des schlechten Wetters erst in neun Monaten landen können. Aber das war schließlich einer der Gründe, weshalb die 42-jährige Essenerin den ungewöhnlichen Job angenommen hatte: Einfach mal weg sein von allem.

Der deutsche Kantinenklassiker ist Currywurst mit Pommes. Gibt es auch einen in der Antarktis?

Julia Reick Currywurst mit Pommes lief bei uns auch gut, war aber nicht das beliebteste Gericht.

Sondern?

Reick Im Sommer gab es jeden Montag Pasta. Nudeln mit Tomatensoße waren sehr beliebt.

Stehen in der Antarktis Kühlschränke?

Reick Ja, aber sie haben eine andere Funktion. Die Kühlhäuser sind Wärmehäuser, weil es auf der Etage, wo die Lebensmittel gelagert werden, im Winter minus 20 Grad wird. Manchmal mussten wir sogar die Kühlhäuser beheizen. Sonst wären die Lebensmittel kaputtgegangen.

 Neumayer-Station III in der Antarktis - von dort sind es noch 2000 Kilometer bis zum Südpol

Neumayer-Station III in der Antarktis - von dort sind es noch 2000 Kilometer bis zum Südpol

Foto: Alfred-Wegener-Institut / Stefan Christmann CC-BY 4.0

Was ist denn Mangelware in der Antarktis?

Reick Normalerweise Salat, aber da hatten wir ja das Gewächshaus.

Ein Gewächshaus, das für Weltraummissionen getestet wurde. Ihr Team kam in den Genuss der ersten Ernte. Wie schmeckt eine Tomate aus der Antarktis?

Reick Großartig. Die ersten Tomaten waren Mitte März reif. Vorher hatten wir Tomaten aus Kapstadt, die waren nicht so gut, hatten teilweise schon Frost erfahren - wenn man dann die erste Tomate aus dem Gewächshaus isst, ist das fantastisch. Der Ingenieur Dr. Paul Zabel hat sie genau zur richtigen Zeit geerntet. Das wird alles genau berechnet. Die Tomaten wachsen ohne Erde, aber mit einer Nährstofflösung. Wir hatten den ganzen antarktischen Winter über Salat.

Woran fehlte es Ihnen dann?

Reick Tiefgefrorenes Obst eignet sich nur für Nachspeisen. Äpfel kann man aber sehr lange lagern. Irgendwann essen die Leute bloß keine Äpfel mehr – auch wegen der vielen braunen Stellen.

Frische Milch wird es wohl kaum gegeben haben.

Reick Nur haltbare Milch. Die kann man sogar noch ein halbes Jahr nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums trinken.

 Ein Blick in den Kühlraum

Ein Blick in den Kühlraum

Foto: Alfred-Wegener-Institut / Stefan Christmann CC-BY 4.0

Eier?

Reick Die gibt es mittlerweile im Tetrapak. Wir hatten aber auch frische Eier.

Die laufen doch schnell ab.

Reick Sie werden es nicht glauben, aber die halten sich zehn Monate. Irgendwann sollte man die allerdings nur noch durchgebraten essen oder zum Backen verwenden. Wenn ein Ei schlecht ist, riechen Sie das. Es stinkt unglaublich. Nach dem Haltbarkeitsdatum zu gehen, funktioniert nicht. Dann hätten wir nach vier Wochen nichts mehr zu essen gehabt.

Wo fühlten Sie sich wirklich eingeschränkt?

Reick Ich konnte nicht einfach losgehen und nachkaufen, wenn etwas fehlte. Auch wenn die jährliche Großlieferung mit dem Schiff eintrifft, kommen Dinge schon mal nicht an. Im Jahr zuvor kamen keine Pommes an - dann gibt es eben keine Pommes. Aber daran gewöhnt man sich schnell. Zwei Kollegen aus Süddeutschland meinten im Winter, sie hätten so gerne ein anderes Bier.

Wie viele Sorten standen denn im Lager?

Reick Eine. Die Leute hatten irgendwann auch Lust auf eine andere Schokoladenmarke. Wir kaufen immer Ritter Sport, da gibt es große Variationen. Aber irgendwann denkt man: Diese blöde Ritter Sport!

In der Antarktis gibt es eben keinen Supermarkt.

Reick Für mich ist es jetzt fast eine Überforderung, in den Supermarkt zu gehen. Andere Expeditionsteilnehmer sehen das ähnlich. Mir kommt das zu viel vor. Man braucht keine zehn Sorten Alufolie.

Irgendwas muss Ihnen aber doch ausgegangen sein.

Reick Vanilleeis ging relativ schnell aus.

Können Sie das nicht selbst machen?

Reick Eine Eismaschine gibt es nicht. Man kann rausgehen und Eis schlagen, aber es ist kalt und das dauert.

Wie erging es den Vegetariern und Veganern?

Reick Niemand hat das strikt befolgt. Die Leute sagten: Ich bin in der Antarktis, ich esse, was es gibt. Der Veganer sagte, er würde in der Antarktis im Zweifel sogar Fleisch essen. Ich habe selten so viel Dankbarkeit erlebt wie dort. Sie müssen sich das vorstellen wie in einer Berghütte, die nur zur Fuß zu erreichen ist. Wenn Sie dort Knödel essen, denken Sie auch: Das ist das Leckerste, was ich je gegessen habe.

Gab es Essen, das alle nach einigen Monaten nicht mehr sehen konnten?

Reick Nach dem antarktischen Sommer hatten wir alle das Bedürfnis, nicht mehr so ein Riesenangebot zu haben.

Bitte?

Reick Im Sommer gibt es fünfmal am Tag essen. Viele Wissenschaftler arbeiten in der Station, sitzen viel vorm Rechner, überlegen vor sich hin. Wenn sie wissen, es gibt was zu essen, neigen sie dazu, dorthin zu gehen, einfach weil es auch schön ist. Man trifft jemanden, kann fünf Minuten quatschen. Es fiel ihnen schwer zu sagen: Dann gehe ich einfach nicht hin. Zu Beginn der Überwinterung haben wir gleich gesagt, dass wir nicht zusammen frühstücken, mittags dann eine gemeinsame warme Mahlzeit, abends am liebsten nur Brot und Salat.

Nehmen die Leute ab?

Reick Während der Überwinterung hat die Hälfte abgenommen, die Hälfte zugenommen. In die Antarktis zu fahren, um abzunehmen, ist also vermutlich nicht zu empfehlen.

Was haben Sie Weihnachten gekocht?

Reick Das habe ich dort zweimal gefeiert. Beim ersten Weihnachten gab es Entenbrust, Rotkohl und Knödel, vorweg eine Kürbissuppe mit Shrimps, als Nachtisch Brownies und Vanilleeis. Beim zweiten einen orangengebeizten Hirschrücken, dazu Rosenkohl und Serviettenknödel.

Warum haben Sie den Gänsebraten nicht einfach lebendig mitgebracht?

Reick Sie dürfen nicht mal Topfpflanzen mitbringen, um die Natur in der Antarktis möglichst wenig zu beeinflussen.

Interessieren sich die Leute in der Antarktis mehr fürs Essen, weil es nach Feierabend so viel nicht zu tun gibt?

Reick Das Gefühl hatte ich nicht. Die Menschen haben gerne gegessen und mir auch Dankbarkeit vermittelt. Hier in Deutschland wird viel nachgefragt: Wo kommt das her? Kann man das nicht anders machen? In der Antarktis hat das niemand gemacht.

Sind Sie auch mal vor die Tür gegangen?

Reick Sicherlich weniger als die Leute, die dazu gezwungen waren. Das heißt, ich war auch tagelang mal nicht draußen. Wenn man in der Antarktis raus will, muss man sich erst mal eintragen. Alleine darf man nur raus, wenn man im engen Radius der Station unterwegs ist. Wer alleine rausgeht, ist komplett verloren. Das ist lebensbedrohlich - bis zum letzten Tag. Es gab diese Momente, in denen ich dachte: Jetzt rausgehen und sich in den Biergarten setzen. Spazierengehen finde ich im Moment so großartig.

Haben Sie einen Stapel Bücher mitgenommen?

Reick Es gibt eine Bibliothek mit einigen Büchern - ein Container, der im Eis steht. Sehr gemütlich mit Ledercouch und schickem Schreibtisch. Die Internet-Verbindung war auch gut genug, um ein Buch aufs Kindle zu laden. Aber ich hatte dann doch nicht so viel Zeit, wie ich dachte. Eigentlich wollte ich auch wieder Klavier spielen und ganz viel zeichnen. Aber die Zeit geht dann doch viel schneller rum, als man denkt.

Funktioniert Netflix?

Reick So gut war das Internet dann doch nicht. Aber wir konnten uns den „Tatort“ aus der Mediathek runterladen.

Haben Sie viel nachgedacht?

Reick Klar. Das war auch meine Hoffnung, mal rauszukommen. Der Druck von außen fehlt. Kein Ärger mit Telefongesellschaften, keine Steuern machen, kein Einkaufen, kein Zug, der Verspätung hat. Es wird einem auch viel Last genommen. Selbst Nachrichten haben nicht mehr so eine große Bedeutung. Aber es ist auch gut, wieder in die Realität zurückzukommen. Die Lösung liegt für mich jedenfalls nicht im ewigen Eis.

Sie sind also nicht völlig verändert zurückgekehrt?

Reick Das nicht, aber ich habe ein Bewusstsein dafür entwickelt, was mir wertvoll ist.

Und zwar?

Reick Dass ich den Konsum als Überforderung erlebe, war vorher schon so. Jetzt ist es noch extremer. Vorher war es ein Gefühl der Übersättigung, jetzt ist es das Gefühl, da nicht mehr reinkommen zu wollen.

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