Karneval in Corona-Pandemie „Die Stunksitzung soll Mut machen“

Interview · Der Sprecher des alternativen Karnevals sagt, man denke über neue corona-gerechte Konzepte nach. Der Kontakt zum Publikum bleibt aber wichtig. Im Kölner E-Werk gab es deshalb ein Testfestival.

 Winni Rau als Bauer bei der Stunksitzung (Archivfoto).

Winni Rau als Bauer bei der Stunksitzung (Archivfoto).

Foto: Andre & Wolfgang Bartscher

Karneval in Nordrhein-Westfalen soll in der kommenden Session ausfallen. Wird es eine Stunksitzung geben?

Winni Rau Noch ist nichts entschieden. Wir wissen ja gar nicht, ob die alternative Stunksitzung überhaupt eine Karnevalssitzung ist.

Haben wir etwas verpasst?

Rau Nein, im Ernst. Wir gehören zwar nicht dem traditionellen Karneval an, aber die Stimmung bei uns war immer jeck. Wir haben deshalb erst einmal die Entscheidung abgewartet. Jetzt ist die Absage da, und jetzt können die traditionellen Karnevalsveranstalter mit Verweis auf die Behörden ihren Vertragspartnern, den Büttenrednern, Musik- und Tanzgruppen oder anderen Darstellern kündigen. Wie wir vorgehen, beraten wir gerade intern. Klar ist, eine Stunksitzung in der bisherigen Form kann es natürlich nicht geben.

Wie könnte eine Alternative aussehen?

Rau Trotz der generellen Absage wird ja Karneval gefeiert – eben im privaten Umfeld. Weihnachten kann man auch nicht verbieten. Wir haben soeben im Kölner E-Werk ein Testfestival durchgeführt, das hieß Stunk und Freunde. Teile des Ensembles haben mit einer Band ein Programm aufgestellt, da sind Leute der alternativen Karnevalssitzungen und befreundete Künstler aufgetreten. Dazu gab es ein genehmigtes Hygienekonzept mit Abstand, Laufwegen und Verpflegungsbauchläden. Statt 1250 Besuchern, die normalerweise im E-Werk Platz haben, waren nur 490 Zuschauer zugelassen. Die Veranstaltung war an drei Tagen komplett ausverkauft. Und die Stimmung war wirklich klasse.

Eine Stunksitzung ohne Party, Mitsingen und Schunkeln ist doch nicht vorstellbar?

Rau Warum nicht? Wir stellen das Kabarett, das uns auszeichnet, in den Mittelpunkt. Reihenbestuhlung statt Hausbänke. Wie im Theater. Ein bisschen ist es auch ein Zurück zu den Anfängen – ohne gigantisches Bühnenbild und akrobatische Einlagen. Gerade der anarchistische Witz und die Satire sind doch unsere Stärken.

Dann gibt es noch weniger Karten. Und die Veranstaltungen sind noch schneller ausverkauft.

Rau Das wünschen wir uns natürlich. Ich könnte mir aber vorstellen, dass viele Menschen durch Corona vorsichtiger sind. Das ist jedenfalls meine Erfahrung mit anderen Auftritten derzeit. Trotzdem gibt es viele, die auch während der Pandemie in einem geschützten Rahmen etwas erleben wollen, Kultur, Theater, Kabarett oder diese Art von Karneval. Das geht dann nur mit den Auflagen, die derzeit gelten. Hinzu kommt: Die Stunksitzung hatte für viele Besucher einen identitätsstiftenden Charakter. Gerade in schweren Corona-Zeiten könnte eine solche Veranstaltung das Gemeinschaftsgefühl stärken und Mut machen.

Um ein Programm auf die Beine zu stellen, müssen Sie sich jetzt schnell entscheiden.

Rau Das ist richtig. Wir müssen aber auch die finanzielle Situation berücksichtigen. In einem normalen Jahr haben wir bei der Stunksitzung Vorlaufkosten von rund 300.000 Euro – für Requisiten, Bühnenbild, Kostüme, Licht- und Tontechnik. Das ist in der gegenwärtig unsicheren Lage nicht darstellbar. Wenn wir also doch etwas machen, müssen wir einen Mix aus alten und neuen Nummern zusammenstellen, natürlich mit Biggi Wanninger als Live-Präsidentin und aktuellen Texten.

Könnte das Ensemble auseinanderbrechen, wenn die bisherigen Einnahmen entfallen?

Rau Das glaube ich nicht. Wir sind eine verschworene Gemeinschaft und als Firma und GmbH so stabil, dass wir zwei Jahre überleben könnten. Aber wir sind als Musiker, Schauspieler und Kabarettisten von den Einnahmen abhängig. Einige müssten sich also kurzfristig andere Jobs suchen. Von den staatlichen Hilfen für Selbstständige haben wir bisher so gut wie nichts gesehen. Ich kenne Künstler aus diesem Bereich, nicht in unserem Ensemble, die jetzt von Hartz-IV leben.

Brauchen Sie staatliche Unterstützung?

Rau Wir würden nicht nein sagen. Das Bundesland Hamburg schreibt den Kleinkunstbühnen vor, wie viele Sitze sie verkaufen dürfen. Den Rest zahlt der Senat. Kein schlechtes Vorgehen. Aber in NRW sehe ich das nicht. Also müssen wir im Falle einer positiven Entscheidung ein Konzept entwickeln, dass ein bisschen was abwirft, aber den Menschen doch großen Spaß macht. Aber trotz geringerer Zuschauerzahl werden die Kosten für Mieten, Technik und Personal nicht weniger. Im Bereich Security werden sie sogar wegen Corona eher höher ausfallen.

Dürfen denn die Leute verkleidet zu einer solchen Veranstaltung kommen oder tragen sie dunkle Anzüge?

Rau Das Letztere wäre ja eine tolle Verkleidung. Aber auch sonst werden die Jecken sich verkleiden. Und wenn es eine Maskenpflicht gibt, müssen sie eben als Chirurgen oder Krankenschwester kommen.

Würde denn der WDR übertragen?

Rau Wenn wir ein Programm aufführen, dann wäre der WDR dabei. Und das würde uns sehr helfen. Das würde auch dazu passen, dass Karneval in dieser Session vor allem zu Hause stattfindet. Nur so lässt sich verhindern, dass es draußen keine unkontrollierten Massenaufläufe gibt. Karneval findet eben jetzt vor dem Fernseher im Familien- oder Freundeskreis statt. Und der eine oder andere setzt sich noch eine Narrenkappe auf.

Ist denn Home-Stunk überhaupt denkbar?

Rau Eher nicht. Wir brauchen den Kontakt zu den Zuschauern. Fernsehen und Screening ist eine, wenn auch wichtige, Ergänzung.

Geschichten gibt es in diesen Zeiten sicher genug. Werden im Falle einer Stunksitzung Nummern über Laschet und Söder dabei sein?

Rau An Themen herrscht wahrlich kein Mangel. Ob Armin Laschet wirklich so interessant ist, weiß ich nicht.

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