Schule in NRW Die Frau, die das "Turbo-Abi" kippen will

Bonn · Anja Nostadt ist das Gesicht der Bürgerinitiative "Gib 8", die gegen das Abitur nach acht Jahren kämpft. Steile Thesen scheut die Frau aus Bonn nicht: G 8 sei nicht reformierbar und nur für jeden Zehnten problemlos zu schaffen.

 Psychotherapeutin, Mutter, G8-Gegnerin: Anja Nostadt aus Bonn.

Psychotherapeutin, Mutter, G8-Gegnerin: Anja Nostadt aus Bonn.

Foto: dpa

Anja Nostadt lächelt viel, während sie das achtjährige Gymnasium in Nordrhein-Westfalen in Grund und Boden redet. Sie hebt selten die Stimme, während sie eins der Herzstücke der Schulpolitik, die Organisation der Gymnasien, für mangelhaft erklärt. Anja Nostadt ist Sprecherin der Initiative "Gib 8", die die Rückkehr vom acht- zum neunjährigen Gymnasium fordert, den erneuten Systemwechsel. Nostadt ist das Gesicht der Kritiker in NRW. Sollten "Gib 8" und die Schwester-Initiative "G 9 jetzt" sich durchsetzen, wäre das für die grüne Ministerin Sylvia Löhrmann, die die acht Jahre behalten will, ein Fiasko.

Nostadts Position ist so einfach wie radikal. "Man muss sich eingestehen, dass G 8 gescheitert ist", sagt sie: "Politiker und Verbände wollen das aber nicht hören, sondern immer weiter verbessern. Dieses Herumdoktern hat den Betroffenen nichts gebracht." Also neun Jahre bis zur Hochschulreife statt acht, "und damit hat es sich": "G 8 ist in seiner jetzigen Form nicht reformierbar."

Anja Nostadt aus Bonn, seit mehr als 20 Jahren Psychotherapeutin, hat zwei eigene Kinder; ihr Mann hat drei. Von den fünfen hat einer G 9 erlebt, drei stecken im G 8, die jüngste ist noch Grundschülerin. Seit 2009 engagiert sich "Gib 8" für die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium - entstanden sei das Ganze aus Gesprächen unter Eltern und Kollegen, erzählt Nostadt. Inzwischen habe man Mitglieder in ganz Nordrhein-Westfalen. Wie viele, wisse sie nicht - eine Kartei zu führen, könne man sich nicht leisten. Wenn "Gib 8" aber irgendwo im Land zu Treffen lade, dann fülle man Schul-Aulen.

Die Bürgerinitiativen sehen sich am liebsten in der Doppelrolle als einsame Rufer in der organisierten Politik und als Sprachrohr der frustrierten Mehrheit da draußen. Im April ließ "Gib 8" das Institut Forsa eine Umfrage machen. Ergebnis: 76 Prozent in NRW wollen das neunjährige Gymnasium zurück. Damit legitimiert Nostadt ihr Engagement - und aus dem Bewusstsein, dass die Eltern heute mächtiger sind denn je: "Wenn die Eltern hinter einer Schulpolitik nicht stehen, funktioniert es auch nicht bei den Kindern."

Und die Lehrer? "Viele Einwände von Eltern werden eiskalt abgeschmettert", sagt Nostadt und wirft den Gymnasien eine "Kultur der Anpassung" vor. "Dahinter steht die Aussage: Wenn denen unser System nicht passt, sollen sie doch wegbleiben." Die Gesamtschulen aber (die in neun Jahren zum Abi führen) seien keine Alternative, weil sie für alle verbindlich Ganztagsschulen sind. Das wollten die Eltern nicht, sagt Nostadt und verweist auf die Forsa-Umfrage: Da sprachen sich auch 73 Prozent gegen eine Ganztagspflicht aus. Freilich lehnten die nicht grundsätzlich den Ganztag ab, sondern plädierten für flexible Angebote. Nostadts Fazit: Rot-Grün macht mit dem Ausbau des verbindlichen Ganztags auf breiter Front Politik gegen den Elternwillen.

Repräsentative Zahlen über die Folgen des "Turbo-Abis" sind Mangelware. So zieht "Gib 8" aus eigenen Umfragen kühne Schlüsse: 2010 habe online nur jeder Zehnte von 5000 Teilnehmern angegeben, sein Kind habe keine Probleme am achtjährigen Gymnasium. Nostadt gewinnt aus dieser Einschätzung der Eltern die allgemeine Sachaussage: "Im Grunde könnte man nur zehn Prozent der Schüler guten Gewissens ans G 8 bringen." Auch dass sich nach einer neuen Studie der Universität Duisburg-Essen die G 8er so gut ausgebildet fühlen wie die G 9er, ficht sie nicht an: "Selbst- und Fremdeinschätzung klaffen manchmal meilenweit auseinander." Befragt worden seien schließlich nur diejenigen, die es bis zum Abi geschafft hätten.

Der massive Frust über G 8 macht die Initiativen zu einem der wichtigsten Akteure in der nordrhein-westfälischen Bildungspolitik, denn sie sind neben der Landesschülervertretung, den Jusos und der Grünen Jugend die einzigen, die sich ohne Wenn und Aber für neun Jahre aussprechen. Auch bei SPD und Grünen haben die 76 Prozent Wirkung gezeigt; bisher rumort es dort aber noch unter der Oberfläche.

Als vor knapp zwei Wochen der runde Tisch in der Staatskanzlei tagte, um über das "Turbo-Abitur" zu beraten, war Nostadt dabei. Teilnehmer berichten, mancher habe ob ihrer häufigen Einwürfe mit den Augen gerollt. Die Bürgerinitiativen propagierten unrealistische Maximallösungen, lautet die Kritik, und hantierten mit Zahlen, die nicht repräsentativ seien. Eine breite Mehrheit am runden Tisch sprach sich denn auch gegen eine Rückkehr zu G 9 und für Reformen am achtjährigen Gymnasium aus. Nostadt ihrerseits ist schlecht auf die Landeselternschaft, den Philologenverband und die Schulleiterverbände zu sprechen, die für G 8 eintreten - die hätten sich von Löhrmann allesamt einlullen lassen.

Seitens "Gib 8" dürfte mit Kompromissen kaum zu rechnen sein. Nostadt sagt, warum: "Schulpolitik gegen die Eltern rächt sich." Eine Warnung an die Ministerin mit Blick auf die Landtagswahl 2017? Ihr gehe es nur um das Wohl der Kinder, betont Nostadt: "Frau Löhrmann hat jetzt genug Zeit gehabt." So klingt wohl eine Herausforderung.

(RP)
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