Mammutprozess in Detmold „Führerscheinkönig“ steht ab Dezember vor Gericht

Detmold · Seiner Meinung nach ist er nur ein Dienstleister für Verkehrssünder in Deutschland. Als selbsternannter Führerscheinkönig von Detmold verhalf er Tausenden zu einem neuen „Lappen“ im Ausland. Die Staatsanwaltschaft sieht das etwas anders. Jetzt beginnt ein Prozess.

Ab Dezember steht der selbsternannte „Führerscheinkönig“ von Detmold vor dem Landgericht der Stadt. Die Staatsanwaltschaft Detmold hat den 51-jährigen Rolf Herbrechtsmeier und seine Frau nach jahrelangen Ermittlungen angeklagt. Der Vorwurf: Gewerbsmäßiger Betrug und Steuerhinterziehung in Hunderten von Fällen. Dem Gericht steht ein Mammutprozess mit 40 angesetzten Verhandlungstagen bevor. Bis Ende Mai 2020 sind Termine geplant. Die Anklage umfasst 188 Seiten und zählt über 1000 Zeugen aus ganz Deutschland und dem Ausland auf.

Im Kern geht es allerdings um strittige Rechtsfragen: Nach eigener Ansicht ist Herbrechtsmeier ein Dienstleister für Autofahrer, die in Deutschland aus den unterschiedlichsten Gründen ihren Führerschein verloren haben. Dabei bietet er diverse Geschäftsmodelle an. So bereitet der 51-Jährige seine Klienten, über die Jahre mehrere Tausende, zum Beispiel auf die sogenannte Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU), auch Idiotentest genannt, vor.

Oder er vermittelte, wenn seine Kunden neue Führerscheine im Ausland wie in Tschechien oder England bekommen wollten. Auf seiner Internetseite hat er diesen Punkt, Stand Ende Oktober, allerdings gestrichen („NICHT mehr im Angebot - Führerschein-Neuerwerb“). Die Staatsanwaltschaft hat jetzt gleich zwei Anklagen vorgelegt. Einmal geht es bei Rolf Herbrechtsmeier um gewerbsmäßigen Betrug in 648 Fällen und Steuerhinterziehung in sieben Fällen. Seiner Frau werfen die Ermittler 158 Mal gewerbsmäßigen Betrug und drei Mal Steuerhinterziehung vor.

Laut Anklage geht es um einen Schaden durch ihn von 845.000 Euro, bzw. 900.000 Euro. Die Vorwürfe beziehen sich auf den Tatzeitraum von Februar 2012 bis Mai 2017. Beim Betrug geht es um Kunden des Paares, die für die Dienstleistungen gezahlt haben, aber keine neue „Fleppe“ erhalten haben wollen. Und warum zwei Anklagen? Der „Führerscheinkönig“ machte nach der ersten Anklagezustellung unbeirrt weiter. Die Staatsanwaltschaft legte nach.

Herbrechtsmeier fühlt sich von der Staatsanwaltschaft regelrecht verfolgt - seiner Meinung nach natürlich zu Unrecht. „Es werden nur fünf Verhandlungstage werden. Die Anklage wird in sich zusammenfallen“, sagte Herbrechtsmeier der Deutschen Presse-Agentur vor dem Prozess. Er sei ja eigentlich Millionär, aber seit drei Jahren seien all seine Konten beschlagnahmt. Mit seiner Frau wohnt er im lippischen Horn-Bad Meinberg. Sein Büro für seine diversen Geschäftsmodelle hat er in Detmold.

Für das eher kleine Landgericht hat das Verfahren eine besondere Dimension. Allerdings haben die Richter in Lippe bereits vergleichbare Größenordnungen gestemmt. Vor rund zehn Jahren wurde am Landgericht Detmold die Millionen-Pleite des Möbelherstellers Schieder verhandelt. Zuletzt war das Gericht 2017 bei einem SS-Wachmann-Prozess in den internationalen Schlagzeilen und auch der Lügde-Prozess um sexuellen Missbrauch auf einem Campingplatz sprengte mit dem Urteil im September 2019 den üblichen Rahmen.

Für das Gericht gibt es mehrere Herausforderungen. Es muss klären, ob die Geschäfte von Deutschland aus oder im Ausland erledigt wurden. Wo wurden die Steuern gezahlt? Herbrechtsmeier hatte zum Beispiel auch in Tschechien eine Steuernummer. Das Gericht muss laut Sprecherin zahlreiche Zeugen im Ausland ermitteln und Beweise von dort heranschaffen oder überprüfen.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bereits vor Jahren den Führerschein-Tourismus deutscher Verkehrssünder eingeschränkt. Die Richter in Luxemburg stellten 2012 klar, dass andere EU-Staaten nur dann neue Fahrerlaubnisse ausstellen dürfen, wenn die Bewerber lediglich einen ordentlichen Wohnsitz haben, nachweislich länger in dem Land leben und ihre Sperrfristen in Deutschland nach dem Führerscheinverlust abgelaufen sind.

Ist dies der Fall, dürfen laut EuGH-Urteil die ausstellenden Mitgliedsstaaten nach Prüfung der Mindestvoraussetzungen neue Führerscheine ausgeben. Und das auch, wenn in Deutschland eigentlich ein Eignungstest (MPU) vorgeschrieben ist. Nach Ansicht der obersten EU-Richter müssen die deutschen Behörden diese Führerscheine dann dennoch anerkennen.

(hsr/dpa)
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