Schulen in NRW Der unmögliche Schwimmunterricht

Düsseldorf · Stundenausfälle, weit entfernte Bäder, die richtige Aufsicht – viele Schulen in Nordrhein-Westfalen sind überfordert mit dem Schwimmunterricht. Lehrer fordern daher mehr "Vorleistung" von den Eltern.

Schulen in NRW: Der unmögliche Schwimmunterricht
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Stundenausfälle, weit entfernte Bäder, die richtige Aufsicht — viele Schulen in Nordrhein-Westfalen sind überfordert mit dem Schwimmunterricht. Lehrer fordern daher mehr "Vorleistung" von den Eltern.

Im Hallenbad Benrath im Düsseldorfer Süden herrscht Hochbetrieb. Fünf Schulklassen tummeln sich im Wasser — 150 Kinder, die von zehn Sportlehrern aus fünf verschiedenen Schulen beaufsichtigt werden. Die Schüler quietschen vor Vergnügen, rufen wild durcheinander. Im nicht für die Schulen reservierten Bereich ziehen andere Badegäste ihre Bahnen. Mittendrin ist Lehrer M. Glatzer. Zusammen mit einer Kollegin betreut er die 30 Kinder seiner Schulklasse. 15 von ihnen sind im Wasser, die anderen müssen draußen beaufsichtigt werden. "Wir müssen sie ständig in Bewegung halten, damit sie sich nicht erkälten", sagt Glatzer. Daran, unter diesen chaotischen Umständen Nichtschwimmer zu unterrichten, sei nicht zu denken. "Wir können sie nicht so betreuen, wie wir gerne würden", sagt Glatzer.

Es ist eine schwierige Situation für die Sportlehrer. Die Eltern verlassen sich darauf, dass ihre Kinder in der Schule schwimmen lernen, doch das sei nicht zu leisten, bestätigt Michael Grohe von der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) Nordrhein. "Lehrer haben ein Problem mit großen Gruppen. Sie legen mit dem Bus teils weite Strecken zurück, da Bäder in der Nähe geschlossen sind.

Die Kinder kommen aufgekratzt im Bad an, dann hat man eine Rasselbande von Sieben- und Achtjährigen, die man erst einmal unfallfrei durch die Umkleide schleusen muss", sagt Grohe. Die Anforderungen an die Lehrer seien hoch, die Probleme groß. "Die Schere zwischen der Zahl der Kinder, die in der Schule bereits schwimmen können, und denen, die es nicht können, wird erfahrungsgemäß immer größer", sagt Claudia Letzbor, Leiterin des Sportbüros der Stadt Hilden.

Viele klagen über Ausfälle

Eine Schulbefragung der DLRG Nordrhein vor fünf Jahren hat ergeben, dass die Hälfte der Kinder die Grundschule ohne qualifiziertes Schwimmabzeichen verlassen, sagt Grohe. Und es sei davon auszugehen, dass sich die Situation aufgrund von Schwimmbadschließungen und erhöhten Eintrittspreisen zugespitzt hat. Das wird zum Problem für die weiterführenden Schulen. "Wir geben den Eltern unserer Fünftklässler mit, dass ihre Kinder innerhalb eines Jahres — also bevor der Schwimmunterricht in der Schule beginnt — schwimmen lernen müssen", sagt Glatzer. Das bedeutet: Die Kinder sollten sich eigenständig zehn Minuten über Wasser halten können.

Zwar teilen die meisten Städte am Niederrhein und im Rheinland auf Anfrage mit, dass sich der Zugang ihrer Schulen zu Schwimmbädern in den vergangenen Jahren nicht reduziert habe, doch klagen viele über Ausfälle. Denn Schwimmunterricht dürfen nur Sportlehrer erteilen. Nur sie sind dafür geschult. "Schwierigkeiten gibt es, wenn ein Lehrer ausfällt", sagt Sylvia Burkert von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Denn eine Schulklasse sollte in der Regel von zwei Lehrkräften — einer weiblichen, einer männlichen — betreut werden. "Eine Vertretung bekommt man meist nicht. Und die Belegungszeiten für die Bäder sind so eng getaktet, dass es keine Ersatztermine gibt", sagt Burkert. Glatzer wünscht sich eine Erhöhung der Schwimmzeiten, "denn Schwimmen ist die einzige Sportart, die lebenswichtig ist", sagt er.

Doch unterm Strich würde dies das Problem nicht lösen, wenn Nichtschwimmer auch dann nicht ausreichend betreut werden können. Das NRW-Schulministerium sieht vor, dass bei "erschwerten organisatorischen und pädagogischen Rahmenbedingungen" — etwa wenn Nichtschwimmer und Schwimmer gemeinsam oder mehrere Lerngruppen gleichzeitig unterrichtet werden — "die Lerngruppengröße so zu reduzieren ist, dass alle Sicherheitsanforderungen eingehalten werden können". Doch dafür gibt es nicht genügend Personal, heißt es aus den Kommunen.

Schwimmvereine buhlen um freie Zeiten und Bahnen

Beim Tauchen und beim Schwimmen im tiefen Wasser ist laut Schulministerium sogar eine Einzelbeaufsichtigung nötig — nur wie, fragen sich viele Sportlehrer. Generell mehr Sportlehrer für den Schwimmunterricht abzustellen mache keinen Sinn, heißt es aus dem Schulministerium: "Das kann man nicht pauschal regulieren. Es kommt im Einzelfall darauf an, ob in der Klasse nur wenige oder viele Nichtschwimmer sind", sagt eine Sprecherin. Bei der Überbelegung ergebe sich eine Zwickmühle, da das Ministerium zwar für "innere Angelegenheiten" wie Personal zuständig ist, nicht aber für "äußere Angelegenheiten" wie die Bereitstellung von Schwimmbädern. Das sei Sache der Kommunen.

Notwendig sei es daher, dass Kinder außerhalb der Schule schwimmen lernten. Doch gerade in den großen Städten wie Düsseldorf gibt es lange Wartelisten, die Schwimmvereine buhlen vielerorts um freie Zeiten und Bahnen. "Durch den Ganztagsunterricht müssen viele Kinder so viel lernen, dass ihre Eltern sie am Nachmittag nicht auch noch in den Schwimmunterricht schicken wollen", sagt Grohe. Ein fataler Fehler: Im vergangenen Jahr ertranken deutschlandweit 392 Menschen, davon waren 39 jünger als 20 Jahre. Glatzer und seine Kollegen versuchen daher, ihre Schüler so fit wie möglich fürs Wasser zu machen — auch wenn ihre Möglichkeiten begrenzt sind.

(RP)
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