Kunstfigur Der schrille Schein der Freifrau von Kö

Düsseldorf · Die Leute in seinem fränkischen Heimatdorf haben schon immer gewusst, dass Andreas Patermann später nicht in einer Bank oder bei einer Versicherung arbeiten würde. "Der wird mal Modeschöpfer", sagten sie über ihn. Das war das Verrückteste, das sie sich vorstellen konnten. Wie hätten sie auch nur ahnen können, dass er einen neuen Menschen erschaffen würde? Oder sollte man eher davon sprechen, dass er sich in einen neuen Menschen verwandelte? Oder einfach diese merkwürdige, aber herzensgute Dame traf? Die Sache liegt etwas komplizierter.

 Andreas Patermann braucht vier Stunden, um sich in die Freifrau von Kö zu verwandeln.

Andreas Patermann braucht vier Stunden, um sich in die Freifrau von Kö zu verwandeln.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Die Leute in seinem fränkischen Heimatdorf haben schon immer gewusst, dass Andreas Patermann später nicht in einer Bank oder bei einer Versicherung arbeiten würde. "Der wird mal Modeschöpfer", sagten sie über ihn. Das war das Verrückteste, das sie sich vorstellen konnten. Wie hätten sie auch nur ahnen können, dass er einen neuen Menschen erschaffen würde? Oder sollte man eher davon sprechen, dass er sich in einen neuen Menschen verwandelte? Oder einfach diese merkwürdige, aber herzensgute Dame traf? Die Sache liegt etwas komplizierter.

Kunstfigur: Der schrille Schein der Freifrau von Kö
Foto: RP, Andreas Endermann

Sprechen wir doch erst mal über die Freifrau von Kö. Beruf: Millionärsgattin. Alter: sie beharrt auf 34, ist aber 64. Aussehen: extravagant. Das Gesicht stark geschminkt, die Frisur monströs groß, die Kleidung mit dem Muster des Luxushandtaschenherstellers Louis Vuitton versehen. Auftreten: schrill. Redet, redet, redet. Ihre hohe Stimme senkt sich niemals auf Zimmerlautstärke. 2009 hatte sie ihren ersten Auftritt beim Düsseldorfer Tuntenlauf und gibt sich seitdem alle Mühe, zum inoffiziellen Wahrzeichen der Stadt zu werden. Zeit dafür hat die gebürtige Dinslakenerin genug, schließlich ist ihr Gatte, Carl Theodor Freiherr von Schmalz-Köttgenburg, seit einiger Zeit mit seiner angeblichen Sekretärin auf Geschäftsreise. So führt sie in ihrem "Glamour-Stadtbummel" Touristen durch die "Landesbaugrube Düsseldorf". Zu Beginn gibt es natürlich ein Glas Champagner. Sie tritt bei Firmenfesten auf, und für heute lädt sie zur Kaffeefahrt in einer Straßenbahn. Die Karten sind längst ausverkauft. Es ist fast unmöglich, in Düsseldorf zu wohnen und der Freifrau noch nie über den Weg gelaufen zu sein.

Dem 33-jährigen Andreas Patermann ist das Klischee der Düsseldorfer Millionärsgattin begegnet, bevor er auch nur einen Fuß aufs Stadtgebiet gesetzt hatte. Er besaß einen Reiseführer aus den 90ern, das Düsseldorf mit einer Pelzfrau auf der Kö illustrierte. Als er vor elf Jahren nach Düsseldorf zog, um an der Fachhochschule Design zu studieren, traf er sich mit seiner Maklerin. Es war eine Frau mit Pelz und Hündchen. Da war es schon wieder, dieses Klischee, das eben auch häufig der Wahrheit entsprach. Patermann lebte sich ein, stellte fest, dass Düsseldorf aus mehr als der Kö bestand, dass er sich zum Beispiel bloß an den Rhein setzen musste, damit es ihm besser ging, arbeitete im Büro des Architekten Paul Schneider-Esleben, schließlich als Ausstellungsdesigner im Theatermuseum, wo er noch heute ist. Die üblichen Studentenjobs hatte er nie.

Derweil wuchs aus all seinen Düsseldorf-Erlebnissen und aus seiner Persönlichkeit die Idee der Freifrau von Kö heran. Schließlich ist auch Patermann kein schüchternes Persönchen, sondern eine Erscheinung. Setz ihn mit 50 anderen in ein Café, und er ist derjenige, der auffällt. Groß und kräftig wie ein Mitglied der neuseeländischen Rugby-Nationalmannschaft. Hohe Stimme, der Freifrau nicht unähnlich. Redet, redet, redet. Und zwar schnell. Mit Händen und Füßen. Gerne fernab vom eigentlichen Thema. "Wie bin ich denn jetzt darauf gekommen?" Er sagt: "Was die Freifrau macht, ist eine Fortsetzung meines Verhaltens. Ich bin nicht am arbeiten, ich bin einfach." Ein Freund hat ihm sogar mal gesagt, als Freifrau sei er dezenter.

Und so verwandelt er sich seit 2009 immer regelmäßiger in die Freifrau. Vier Stunden dauert das, zweieinhalb braucht er fürs Schminken, das Abschminken dauert eine Stunde. Die Kleidung hat er selbst entworfen. Er will eben nicht aussehen, wie ein Typ, der sich als Frau verkleidet. Das ist eines der Missverständnisse, die die Figur umgibt. Patermann ist keine Drag-Queen, er ist kein Transvestit, die Freifrau ist eine Kunstfigur, die zufällig von einem Kerl gespielt wird. Es gibt auch genug Männer, die die Freifrau für eine aufgebrezelte Frau halten. Ein weiteres Missverständnis: die Freifrau kritisiere den Reichtum der Düsseldorfer. Patermann liegt eher an einer Hommage an das Klischee der Düsseldorfer Millionärsgattin.

Es gibt Momente, da bestreitet Patermann, dass die Freifrau eine Figur ist, in die er sich verwandelt. Die Freifrau gibt es wirklich, ich bin nur der Assistent, sagt er dann und spielt den Empörten. Doch der Glitzer, der noch vom Wochenende in seinen Wimpern hängt, verrät ihn. Den wird er nie mehr los.

Sebastian Dalkowski

(RP)
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