Bahnmitarbeiter in NRW Der gefährliche Alltag eines Zug-Schaffners

Düsseldorf · Spucken, treten, pöbeln: Fast täglich werden Bahnmitarbeiter in NRW Opfer von Gewalt. Dabei sind es schon lange nicht mehr nur Betrunkene, die handgreiflich werden. Ein Zugbegleiter berichtet uns anonym von den Übergriffen mancher Fahrgäste.

 Zugbegleiter werden oft Opfer von körperlicher Gewalt durch Fahrgäste.

Zugbegleiter werden oft Opfer von körperlicher Gewalt durch Fahrgäste.

Foto: AP, AP

Torben Lessing (Name geändert) hofft jeden Tag, dass seine Bahn pünktlich fährt. Der 29 Jahre alte Zugbegleiter aus Westfalen braucht dann keine Angst zu haben, bespuckt, geschlagen oder getreten zu werden, wenn er die Passagiere nach ihren Fahrscheinen fragt. "Wenn keine Verspätungen sind, ist alles in Ordnung. Das sind gute Tage", sagt er. "Gibt es hingegen Verspätungen, ist die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung fast nicht vorhanden. Für viele ist es dann schon zu viel, ihr Ticket rauszuholen", sagt der junge Mann, der anonym bleiben möchte, weil er fürchtet, Probleme mit seinem Arbeitgeber zu bekommen. "Die Aggressivität und Gewalt gegen uns nimmt in letzter Zeit dramatisch zu", sagte er.

Lessing spricht das aus, was viele seiner Kollegen in den Zügen in Nordrhein-Westfalen täglich erleben. Eine Mitgliederbefragung der Lokführer-Gewerkschaft GDL ergab im vergangenen Jahr, dass zwei Drittel der Zugbegleiter in NRW schon körperlich angegriffen worden sind; 93 Prozent von ihnen werden sogar täglich von Fahrgästen beschimpft. Vor allem Sicherheitskräfte, Fahrkartenkontrolleure und Zugbegleiter im Nahverkehr werden zunehmend angegriffen. "Zumeist sind es Rempeleien, Schläge auf Brust und Schulter", sagt ein Bahnsprecher. Besorgniserregend sei auch, dass die Brutalität zunehme. "2016 hat es bereits mehrfach Messerattacken gegen unsere Mitarbeiter gegeben", so der Sprecher. Ernste Verletzungen seien aber die Ausnahme.

Bei den Tätern handele es sich längst nicht mehr nur um Betrunkene, wie oft behauptet werde, sagt Lessing. Auch die Tageszeit spiele keine Rolle mehr. Es sei immer gefährlich. "Sehr oft sind es sogar die Anzugträger, die tagsüber ausrasten", sagt der junge Mann. Früher, berichtet er, habe man die Fahrgäste noch einschätzen können. Heute sei das wie Glücksspiel, weil die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden, in allen Gesellschaftsschichten gesunken sei. Schon wegen Nichtigkeiten werde man angeschrien und bespuckt. Vor allen seien es Jugendliche, die keinen Respekt hätten. "Die legen die Füße auf die Sitze und wenn man sie bittet, sie herunterzunehmen, fangen sie gleich an zu pöbeln."

Die Deutsche Beamtenjugend in NRW (dbb), die sich auch für die Belange der Zugbegleiter engagiert, schlägt wegen der wachsenden Aggressivität Alarm. "Viele Mitarbeiter berichten uns, dass kaum ein Tag vergeht, an dem kein Alarm ausgelöst wird", sagte Geschäftsstellenleiter Markus Klügel.

Bei der Bahn kennt man das Problem - und nimmt es sehr ernst. "Wer eine Gefahr für andere Menschen darstellt, erhält ein Hausverbot und einen Beförderungsausschluss", betont ein Bahnsprecher. Betroffenen Mitarbeitern stünden zudem Psychologen und Ärzte zur Verfügung. Zugbegleiter, Lokführer und Sicherheitskräfte absolvieren ein Deeskalations- und Selbstverteidigungstraining. Mehr als 90 Prozent der Zugbegleiter im Nahverkehr hätten dieses durchlaufen. "Unsere Mitarbeiter müssen sich darüber bewusst sein, wie sie eine prekäre Lage mit ihrem eigenen Auftreten lenken können", sagt Marion Rövekamp, Personalvorstand der DB Regio.

Lessing findet, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen. Stattdessen fordert er mehr Personal in den Zügen. "Es würde helfen, wenn die Zugbegleiter nur in Doppelbesetzung eingesetzt werden", denn man könne sich nicht gleichzeitig um Deeskalation und Aufnahmen von Personalien kümmern.

(csh)
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