Nicht wegwerfen, sondern verkaufen Das tägliche Brot ist hier von gestern

Solingen · Es blieb einfach immer zu viel in den Regalen liegen. Brot, Brötchen, Kuchenstücke – fast alles ist bei Geschäftsschluss noch da. "Wir sind ja quasi gezwungen, die Regale bis zum Abend voll zu haben", sagt Ralf Vogelskamp, Mitinhaber von Stöcker Backwaren in Solingen. Wenn der letzte Kunde eingekauft hatte, wurden die übrigen Produkte an "Die Tafel" gegeben – eigentlich eine gute Sache. "Doch auch für sie war es zu viel", sagt Vogelskamp. "Die Tafel konnte nicht alles übernehmen."

Es blieb einfach immer zu viel in den Regalen liegen. Brot, Brötchen, Kuchenstücke — fast alles ist bei Geschäftsschluss noch da. "Wir sind ja quasi gezwungen, die Regale bis zum Abend voll zu haben", sagt Ralf Vogelskamp, Mitinhaber von Stöcker Backwaren in Solingen. Wenn der letzte Kunde eingekauft hatte, wurden die übrigen Produkte an "Die Tafel" gegeben — eigentlich eine gute Sache. "Doch auch für sie war es zu viel", sagt Vogelskamp. "Die Tafel konnte nicht alles übernehmen."

Deshalb kam Vogelskamp mit seinen Kollegen auf die Idee, einen eigenen Laden für Vortags-Backwaren zu eröffnen. Im Stadtteil Solingen-Höhscheid gibt es seither das Geschäft "Gutes vom Vortag". Verkauft werden sämtliche Produkte aus den fünf "Stöcker"-Filialen — zum halben Preis. Einzige Ausnahmen: sogenannte Weißware, also Brötchen oder Baguettes ("daraus machen wir Paniermehl") sowie Sahne-Teilchen. Drei Croissants kosten 50 Cent, zwei Stücke Blechkuchen 1,45 Euro und zehn Vollkornbrötchen 1,80 Euro.

"Die Produkte haben auch am nächsten Tag noch eine gute Qualität", betont Vogelskamp überzeugt. Manche Backware sei ohnehin am Folgetag besser zu genießen: "Ein Roggenbrot lässt sich dann erst richtig schneiden." Die Nachfrage der Kunden sei groß. Einige würden bereits vor Ladenöffnung um 8 Uhr vor dem Lokal stehen, um das gewünschte Produkt zu bekommen, so Vogelskamp: "Manche kommen auch mit Körben und frieren sich einiges zu Hause ein." Was übrigbleibt, gehe weiterhin an "Die Tafel" oder einen Bauern.

Ballaststoffe: So essen Sie genug davon
Infos

Ballaststoffe: So essen Sie genug davon

Infos
Foto: obx

In anderen deutschen Städten gibt es bereits ähnliche Angebote. Im Münsterland hat die Bäckereikette Geiping schon vier Vortagsläden geöffnet, eine weitere Filiale in Münster sei bereits in Planung, sagt Geschäftsführer Michael Geiping: "Auch für viele Studenten ist das sicherlich ein Anreiz." Für einige ist der niedrige Preis ein Argument, andere schätzen es, ressourcensparend und verantwortungsvoll einzukaufen. So werden etwa für die Produktion eines Kilos Brot allein 1300 Liter Wasser verbraucht.

Geiping betreibt rund 50 Filialen, unter anderem in Münster, Recklinghausen und Hamm — hinzu kommen die Vortagsläden. Der erste wurde im vergangenen Jahr in Herne eröffnet, es folgten Datteln, Dülmen und Lüdinghausen. In dem Städtchen im Münsterland ist der Vortagsladen sogar nur wenige Meter von der nächsten "Frische-Filiale" entfernt. "Das war sicher ein Wagnis, aber wir machen uns damit trotzdem selbst keine Konkurrenz", sagt Geiping. Viele Kunden würden selektiv einkaufen: "Sie kaufen in der Frische-Filiale ihre Brötchen und gehen weiter, um im Vortagsladen das Stückchen Kuchen für den Nachmittag günstiger zu bekommen."

Zehn Regeln für die gesunde Ernährung
Infos

Zehn Regeln für die gesunde Ernährung

Infos
Foto: TK

Die Kunden kämen aus allen Schichten, vom "Anzugträger bis zur Hausfrau ist alles dabei. Sie sind alle gewillt zu rechnen". Viele Discounter drängen seit einigen Jahren mit ihren frischen Produkten aus sogenannten Backstationen auf den Markt. "Die greifen uns natürlich an", sagt Geiping. "Aber wir sind überzeugt, dass wir da mithalten können — auch mit den Vortagsprodukten. Wir können sicherlich mit Qualität und Beratung punkten." Denn bei Geiping würden sich die Vortagsläden im Aussehen und Beratung nicht von den übrigen Filialen unterscheiden.

Das ist im Solinger Vortagsladen etwas anders. Zwar gibt es eine Ladentheke, die vor allem mit Blechkuchen und Teilchen gefüllt ist, und einen Tisch, an dem man etwa ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffee im Sitzen direkt konsumieren kann. Das Brot jedoch türmt sich in Wagen aus Metall. In großen Körben liegen Brötchen, die immer zu drei Stück in Plastiktüten verpackt sind. "Wenn so viel los ist wie heute, dann komme ich gar nicht dazu, alles einzuräumen", sagt Verkäuferin Sigrid Schemmann.

Der Vortagsladen in Solingen hat viele Stammkunden. Eine Kindergärtnerin, ein Mitarbeiter der Stadt, eine Rentnerin — sie alle stehen geduldig an, um etwas fürs Wochenende zu kaufen. "Ich kaufe fast gar nicht mehr in anderen Bäckereien", sagt ein 80-jähriger Mann. An diesem Morgen möchte er ein Schwarzbrot und Süßes für den Nachmittag kaufen. Doch jemand anderes war schneller als er. Das Schwarzbrot ist aus. "Dann nehme ich vier Kürbisbrötchen, eine Platte Kirschstreusel und zwei Teilchen." Fast immer, sagt der Höhscheider und schmunzelt, gehe er mit mehr und anderen Backwaren raus als geplant. Es sei ein bisschen wie bei Ikea. Doch das geht in Ordnung: Statt der regulären 7,70 Euro zahlt er nur 3,60 Euro.

Für das günstigere, aber trotzdem frische Gebäck fahren einige Kunden auch aus entlegenen Stadtteilen oder Nachbarkommunen zum Vortagsladen: "Ich komme meist zweimal pro Woche hierher und kaufe das Brot auf Vorrat. Das hat bei mir Vernunftsgründe", sagt ein 62-Jähriger. Für ihre Stammkunden legt Sigrid Schemmann auch Brot beiseite. "Ich kann nur nie garantieren, dass das Gewünschte dabei ist. Aber vielleicht klappt es ja am nächsten Tag."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort