Strategien gegen Hochwasser Die Stadt als Schwamm

Düsseldorf · Bei der Starkregen-Vorsorge setzen immer mehr Kommunen auf das Konzept der Schwammstadt. Dabei wird das Wasser nicht abgeleitet, sondern gespeichert und in Dürreperioden genutzt. In der Umsetzung vermisst Ideengeber Carlo Becker aber Tempo und Konsequenz.

 Überschwemmungen wie in Hagen im Juli soll das Konzept Schwammstadt helfen zu verhindern.

Überschwemmungen wie in Hagen im Juli soll das Konzept Schwammstadt helfen zu verhindern.

Foto: dpa/Dieter Menne

Nach der Flut ist vor der Flut: Fast alle Städte und Kommunen in NRW befassen sich derzeit mit der Frage, inwieweit sie gegen eine Hochwasserkatastrophe wie im Juli gewappnet sind. Und wie sich die Vorsorge optimieren lässt. Ein nicht mehr ganz neues Konzept verspricht dabei vielleicht nicht die Lösung, aber ein maßgeblicher Weg dorthin zu werden: die sogenannte Schwammstadt. Für die Stadt Köln etwa liegt stadtplanerisch darin die Zukunft. Entwickelt und in die Wissenschaftsgemeinde eingeführt, hat dieses Leitbild der Berliner Landschaftsplaner Carlo W. Becker bereits im Jahr 2013, als Strategie beim Wettbewerb Metropole Ruhr. Damals schon habe eine gewisse Dringlichkeit bestanden, was die Umsetzung vieler Maßnahmen angehe, sagt Becker. „Wir müssen aber viel radikaler werden und eine größere Dynamik in das Thema hineinbringen.“

 Schwammstadt, was heißt das überhaupt? Vereinfacht geht es darum, das Regenwasser nicht abzuführen, sondern wie in einem Schwamm zu speichern und verzögert abzugeben, wenn es gebraucht wird, nämlich in Dürre- und Hitzeperioden. Bislang werden große Wassermengen etwa bei Starkregen der Kanalisation zugeführt, die solche Kapazitäten gar nicht aufnehmen kann, oder es wird über versiegelte Flächen abgeleitet. Der Grundgedanke, Wasser abzuführen, sei über Jahrzehnte erlernt, sagt Becker, nur habe man die Kanäle nicht auf 100-jährige Regenereignisse ausgelegt, weil dies wirtschaftlich nicht machbar sei. „Dieser Umgang mit Wasser fällt uns jetzt auf die Füße.“

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 Hier setzt die Schwammstadt an, die den Regen sammelt und nutzt. Nicht nur richtet das Wasser keinen Schaden an, sondern wenn es an Hitzetagen verdunstet, kühlt es noch die Umgebung. Was in der Theorie einleuchtet, erfordert in der Umsetzung jedoch Paradigmenwechsel in vielen Bereichen. Zum Beispiel im Verkehrssektor. Statt mit Stellplätzen könnten Straßen mit Versickerungsmulden ausgestattet werden, sagt Becker. In Paris beispielsweise müssten in manchen Bezirken Parkplätze eigens dort angelegten Verdunstungsbeeten weichen. Zudem sollten viel mehr Dachflächen begrünt werden, was ebenfalls Wasser zurückhalte und zur Kühlung der Umgebung beitrage. Das Potenzial verwandelbarer bestehender Dachflächen etwa in Berlin beziffert Becker auf rund 25 Prozent. Bei Neubauten sollte dies obligatorisch sein.

 Das Gute daran: Diese Maßnahmen lassen sich sogar nachträglich umsetzen. Wenn Viertel neu gebaut werden, lässt sich zum Beispiel das Schwammstadt-Konzept leichter direkt mitdenken und einarbeiten wie im Schumacher-Quartier, das auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel entsteht. Es soll laut Becker ein komplett abflussfreies Siedlungsgebiet für mehr als 10.000 Menschen werden. Abflussfrei heißt, das Regenwasser wird in einer Kaskade an Maßnahmen dezentral bewirtschaftet. Auf den Dächern wird das Wasser zurückgehalten, dann fließt es in Verdunstungs- und Versickerungsflächen und wird zur Bewässerung von Bäumen und Fassaden genutzt. Überschüssiges Wasser bei Starkregen wird in Rückhaltebecken geleitet oder über Notwasserwege in Bereiche geführt, wo es am wenigsten schadet. „Das Wasser wird bei einem Unwetter nicht in einem reißenden Fluss durch das Viertel rauschen“, sagt Becker.

 Was sich jedoch dort von vorneherein optimal gestalten lässt, muss in den Bestandsgebieten, also in den allermeisten Fällen, aufwendig nachgerüstet werden. Nur etwa ein Prozent der Stadtgebiete würden pro Jahr neu gebaut, sagt Becker. Es braucht also neben den Ideen auch viel Geld, um Bestandsflächen entsprechend umzubauen. Ansetzen müsse man dort, wo die Gefährdung am höchsten ist, sagt Becker, und diese Risikogebiete resistenter gegen Überschwemmungen machen. Als Beispiel nennt der Landschaftsplaner die Emscher-Genossenschaft, die sich als Ziel gesetzt habe, in 15 Jahren 15 Prozent der versiegelten Flächen in ihrem Einzugsgebiet beim Regenwasser-Management von der Kanalisation abzukoppeln. Becker: „Das sollte grundsätzlich bei jedem Neubau das Ziel sein.“

 Aber selbst die vorbildlichste Schwammstadt kann die ungeheuren Regenmengen, die im Juli in NRW und in Rheinland-Pfalz gefallen sind, nicht bewältigen. Daher gehören zum Konzept unbedingt auch Schwammlandschaften, sagt Becker. Es gelte, gerade im Einzugsbereich der Flüsse die Landschaften ebenfalls aufnahmefähiger für große Wassermassen zu gestalten. Darüber hinaus müsse Flüssen mehr Raum gegeben und beispielsweise Auen als natürliche Rückhalteräume genutzt werden. Viele Feuchtbereiche seien trockengelegt, sagt Becker, diese müssten in ihren Ursprungszustand zurückgeführt werden.

 Mehrere Kommunen arbeiten mittlerweile daran, ähnliche Konzepte umzusetzen. So will die Stadt Essen sogenannte Baumrigolen im Ruhrgebiet ausprobieren. Darunter versteht man unter den Straßenbäumen angelegte Regenwasserspeicherräume, über die die Bäume besser und länger mit Regenwasser versorgt werden sollen, damit mehr über die Blätter verdunsten kann. Gleichzeitig kann Regenwasser auf der Straße in diesen Speichern zurückgehalten werden, damit es nicht direkt in den Kanal fließt. In der von der Flut schwer getroffenen Stadt Stolberg habe sich Anfang August zum ersten Mal eine Arbeitsgruppe getroffen, die in den kommenden Monaten Projekte gegen Hochwasser entwickeln soll, berichtet ein Stadtsprecher. „Dazu zählen sicherlich die Entsiegelung bisher versiegelter Flächen, die Ausweisung von Überschwemmungsflächen für das Wasser im oberen Flussverlauf oder auch die Anlage eines zweiten Flussbettes, das bei Starkregenereignissen Wasser abführen könnte.“

 Ziel sowohl der Schwammstadt als auch der -landschaft ist es vor allem, Gefahren zu minimieren. Angesichts immer heftigerer Starkregen-Ereignisse dürfe man sich jedoch nie zu sicher fühlen, sagt Becker. Selbst der größte Deich zum Beispiel biete keinen hundertprozentigen Schutz vor Hochwasser. Andererseits sei der Umbau der Städte und Flusslandschaften kein Hexenwerk. Er habe allerdings den Eindruck, dass der Wille zwar da sei, aber niemand schmerzhafte Umbrüche in Kauf nehmen wolle. „Diese Strukturen müssen wir überwinden“, sagt Becker. „Es ist jetzt an der Zeit, sich ehrgeizige Ziele zu setzen – auch, wenn der Weg dahin unbequem ist.“

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