Coronavirus im Kreis Heinsberg „Die Menschen hier sind besorgt“

Gangelt · Ein Ehepaar aus Gangelt im Kreis Heinsberg ist am Coronavirus erkrankt. In der Gemeinde sind in manchen Märkten bereits Hygiene- und Desinfektionsartikel ausverkauft, die Verunsicherung ist groß. Ein Ortsbesuch.

Coronavirus: Erste Fall im Kreis Heinsberg - Fotos
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Kreis Heinsberg am Tag nach dem Corona-Fall

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Foto: dpa/Jonas Güttler

Die Apotheke in Gangelt hat am Mittwochmorgen noch nicht lange geöffnet, da verlangen die ersten Kunden nach Atemschutzmasken. „Schon 20 waren heute da, die danach gefragt haben. Sonst waren es immer nur zwei am ganzen Tag“, sagt die Apothekerin. Die Menschen in der Gemeinde seien besorgt. „Man merkt bei einigen schon die Angst, seitdem sie wissen, dass ein Ehepaar aus ihrer Ort­schaft an dem Coronavirus erkrankt ist“, sagt sie. Sie müsste die Kunden aber immer enttäuscht nach Hause schicken. „Wir haben keine Schutzmasken mehr. Die sind schon seit Wochen vergriffen.“ Sie wüsste auch nicht, wann sie wieder welche bekommen würde. „Das sieht eher schlecht aus.“

Aus Gangelt, einer 12.500-Einwohner-Gemeinde im westlichen Zipfel des Kreises Heinsberg, stammt der erste bestätigte Coronavirus-Patient in NRW. Der 47-Jährige wird in der Uniklinik Düsseldorf behandelt. Auch bei seiner Frau wurde am Mittwoch das Virus nachgewiesen. Zuvor war der Mann wegen einer Vorerkrankung bereits in der Kölner Uniklink behandelt worden. Am Rosenmontag suchte das Paar ein Krankenhaus in Erkelenz auf, am Dienstagabend wurden sie in die Düsseldorfer Uniklinik verlegt. Pflegekräfte und Ärzte beider Kliniken in Erkelenz und Köln sowie einer Arztklinik, die in Kontakt mit dem Patienten gekommen waren, sind sicherheitshalber in häuslicher Quarantäne.

Coronavirus: Erster Fall in NRW - Transport in Düsseldorfer Unilklinik
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Coronavirus erstmals in NRW - Transport in Düsseldorfer Unilklinik

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Foto: dpa/Guido Kirchner

Kostenpflichtiger Inhalt In der Heimatstadt des Ehepaars fürchten nun viele Menschen, sich ebenfalls mit dem Virus anzustecken. Die meisten kennen die betroffene Familie. Sie wohnt im Ortsteil Langbroich. Der 47-Jährige ist ein in der Region bekannter Makler, seine Frau Erzieherin in einer Kindertageseinrichtung. Ihren beiden Kindern im Teenageralter geht es den Umständen entsprechend gut. „Sie weisen keine Symptome auf“, heißt es aus dem Umfeld der Familie. Die beiden Kinder befinden sich nach Angaben von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) in häuslicher Quarantäne unter Aufsicht der Großmutter.

In Gangelt ist die Verunsicherung groß. Die Menschen fragen sich, wo sich das Ehepaar angesteckt haben könnte. „Sie haben am gesellschaftlichen Leben teilgenommen“, sagt eine Frau in einer örtlichen Bäckerei, in der es am Mittwoch kein anderes Gesprächsthema gibt. Wer auch immer in die Backstube kommt, weiß etwas über die Familie zu berichten oder behauptet zumindest, etwas zu wissen. Schnell zeichnet sich das Bild einer allseits beliebten und freundlichen Familie, die tief in der Ortschaft verwurzelt ist. „Deswegen nimmt uns das alle besonders mit. Man kennt sich hier in der Gemeinde“, sagt eine ältere Frau.

In der vergangenen Woche hat das Ehepaar noch in den angrenzenden Niederlanden in einem Hotel übernachtet. Auch dort wurden präventive Maßnahmen getroffen. Am Abend gab der Kreis Heinsberg jedoch Entwarnung: Der Kurzurlaub habe ausreichend lange vor Beginn der Symptomatiken stattgefunden, „sodass eine Ansteckung ausgeschlossen werden kann“. In der Mitteilung des Kreises heißt es außerdem, der Erkrankte habe am Wochenende die Kappensitzung in Langbroich besucht – ansonsten aber nicht am Karnevalsgeschehen oder Straßenkarneval teilgenommen. Dennoch werden Personen, die diese Sitzung ebenfalls besucht haben, gebeten, sich bei grippeähnlichen Beschwerden telefonisch mit ihrem Hausarzt oder dem Kreis-Gesundheitsamt in Kontakt zu setzen. Auch die Familie des Paars rätselt, wo sich die beiden angesteckt haben könnten, sagt ein Angehöriger: „Wir wissen nicht, wo sie sich infiziert haben. Wir sind schon alle Möglichkeiten durchgegangen, aber können uns das nicht erklären.“

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Die Kindertageseinrichtung, in der die Frau gearbeitet hat, ist vorüber­gehend geschlossen. „Als wir wussten, dass sie erkrankt sein könnte, haben wir sofort alle Eltern und Erzieher informiert. Das muss etwa am frühen Dienstagabend gewesen sein“, sagt der Angehörige. Alle Kinder der Einrichtung sollen auf das Virus untersucht werden, kündigte Minister Laumann in Düsseldorf an, Ergebnisse werden für Donnerstag erwartet.

Am Vormittag nach Bekanntwerden des Falls ist in Langbroich kaum jemand auf der Straße. Die wenigen, die man antrifft, sind zuvor in einer der zwei Apotheken im Ort gewesen. „Oder bei Aldi oder Rewe“, sagt die Verkäuferin in der Bäckerei. „Es sind auffallend viele in die Supermärkte und Discounter gegangen.“ Ob das mit dem Coronavirus zu tun habe, wisse sie aber nicht.

Michaela Loomans betreibt in Gangelt ein kleines Friseurgeschäft. Sie bestätigt: „Bei bestimmten Waren hat es Hamsterkäufe gegeben. Desinfektionsmittel und Hygieneartikel waren zum Teil schon am Morgen nicht mehr zu bekommen.“ Lange habe sie überlegt, ihr Geschäft am Mittwoch überhaupt zu öffnen. „Ich bin alleinerziehend und selbstständig. Irgendwo muss das Geld ja herkommen“, sagt sie. Anfangs habe sie noch gehofft, dass die Kunden trotzdem zum Haareschneiden kämen. „Aber im Verlauf des Tages haben viele ihre Termine für heute und die nächsten Tage abgesagt“, sagt die 53-Jährige.

Schulen und Kitas bleiben im gesamten Kreis Heinsberg als Vorsichtsmaßnahme bis einschließlich Montag geschlossen. Die Verwaltung öffnet ebenfalls nicht. Die Stadt Geilenkirchen schloss zusätzlich auch ihr Schwimmbad und die Stadtbücherei. „Ich denke, diese Situation erfordert von uns allen etwas Disziplin. Aber wir sollten auch nicht in Panik verfallen“, sagt Landrat Stephan Pusch (CDU), der mit einem runden 100-köpfigen Krisenstab zusammenarbeitet. Die Menschen sollten Massenansammlungen oder Besuche in Gemeinschaftseinrichtungen vermeiden.

Trotz der Verunsicherung sieht man niemanden in Gangelt, der Mundschutz trägt. „Vielleicht liegt es daran, dass es hier schon lange keinen mehr zu kaufen gibt“, sagt die Apothekerin.

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