Pflegerin in Behinderteneinrichtung „Wir sind Mutterersatz, Köche, Seelsorger - und manchmal auch ein Boxsack“

Düsseldorf · Vom beschlossenen Pflegebonus in NRW profitiert Sarah W. aus Düsseldorf nicht – und das, obwohl sie in der Pflege arbeitet. Sie kümmert sich um Menschen mit Behinderungen. Hier berichtet sie darüber, wie belastend die Situation aktuell ist und was sie von Politik und Gesellschaft fordert.

 Eine Betreuerin stützt eine Frau im Rollstuhl (Symbolbild).

Eine Betreuerin stützt eine Frau im Rollstuhl (Symbolbild).

Foto: Shutterstock/fizkes

Ich bin 23 Jahre alt und arbeite seit zwei Jahren als gelernte Heilerziehungspflegerin in der Wohngruppe einer Behinderteneinrichtung. Mit einer weiteren Kollegin kümmere ich mich im Dienst um die Betreuung von zehn Menschen. Ich pflege die Bewohner, mache ihnen Essen, gehe mit ihnen auf die Toilette, wechsele ihre Einlagen. Normalerweise gehen wir auch mit ihnen spazieren oder bringen sie zum Bus, damit sie zur Arbeit oder in den sogenannten tagesstrukturierten Bereich fahren können. Mittlerweile dürfen ein paar Bewohner wegen der Corona-Krise unter strengen Auflagen wieder zu Arbeit. Die meisten sind jedoch den ganzen Tag über in der Einrichtung. Wenn eine Kollegin mal ausfällt, muss ich mich dann alleine um zehn Bewohner kümmern – und eben auch die Pflege am Morgen alleine übernehmen. Der Dank dafür? Von der Prämie, die für Pflegekräfte nun beschlossen wurde, bekommen wir rein gar nichts! Und warum? Weil wir ja nur in einer Einrichtung der Behindertenhilfe arbeiten und nicht in einem Altenheim.

Wer entschädigt uns dafür, dass wir uns nach dem Dienst in Selbstisolation begeben haben, um unsere Schützlinge nicht anzustecken? Dafür, dass wir täglich mit der Angst zur Arbeit fahren, vielleicht doch Corona zu haben und es in die Einrichtung einzuschleppen? Wurden wir ein einziges Mal getestet? Nein!

In der Gesellschaft findet unsere Arbeit und die Situation der Behinderten keine Aufmerksamkeit. Es wird nur über die Pfleger in Altenheimen oder in Krankenhäusern berichtet. Wie die Situation in anderen sozialen Bereichen aussieht, darüber wird nicht gesprochen. Alle reden immer von Inklusion, dabei interessiert sich die Politik gerade überhaupt nicht dafür. Wie sollen wir unseren Bewohnern erklären, warum sie ihre Familie nicht sehen oder umarmen dürfen? Bei uns leben Menschen im Alter zwischen 30 und 80 Jahren. Sie haben unterschiedliche Grade der Behinderung und sind zum Teil kognitiv einfach gar nicht in der Lage, mit dem Begriff Coronavirus etwas anzufangen oder die Situation zu begreifen. Das macht mich einfach nur traurig.

Auch wenn ich den Beruf gerne ausübe, gibt es so viele belastende Momente. Man baut eine Beziehung zu den Menschen auf. Und wenn sie dann sterben oder andere schlimme Dinge passieren, nimmt man das auch mit nach Hause. Bei der Arbeit ist keine Zeit, um darüber zu sprechen oder das Erlebte zu verarbeiten. Man funktioniert einfach. Unser Beruf sollte mehr in den Vordergrund gestellt werden und die Politik sollte ihn mehr anerkennen. Das betrifft ja nicht nur uns, sondern auch andere soziale Berufsfelder.

Ich fühle mich weder von der Politik noch von der Gesellschaft ernstgenommen. Mir begegnen im Alltag tatsächlich Menschen, die ernsthaft fragen: Was machst du eigentlich den ganzen Tag? Kaffee trinken? Nein, natürlich nicht! Wir sind nicht nur Betreuer, wir sind auch Mutterersatz, wir sind Köche, wir sind Seelsorger und manchmal sind wir halt auch ein Boxsack.

(Protokolliert von Sabine Dwertmann)
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