Luisa überlebt schwere Covid-19-Erkrankung „Als ich die Sonne wieder sah, habe ich vor Freude geweint“

Düsseldorf · In Sevilla erkrankt die Düsseldorferin an Covid-19 – mit 21. Das Virus wütet in ihrem Körper: Fünf Wochen liegt sie im Koma, 38 Tage auf der Intensivstation. Ihre Mutter bangt in Deutschland um ihr Leben. Luisas Geschichte zeigt, wie grausam Corona sein kann.

 Luisa aus Düsseldorf möchte auf die Gefahren des Coronavirus und die Langzeitschäden von Covid-19 aufmerksam machen.

Luisa aus Düsseldorf möchte auf die Gefahren des Coronavirus und die Langzeitschäden von Covid-19 aufmerksam machen.

Foto: bauch, jana (jaba)

Noch braucht Luisa auf dem Weg zurück ins normale Leben einen Rollator und für längere Strecken einen Rollstuhl. Zu schwach sind die Muskeln nach wochenlangem künstlichen Koma. Ihr linker Fuß gehorcht ihr nicht richtig, in einem Bein hat sie Taubheitsgefühle. Luisa kann auch nicht lange stehen „Von jetzt auf gleich knicken mir manchmal die Beine weg“, sagt die heute 22-Jährige. Deshalb der Rollator. „Aber ich laufe. Und ich lebe.“

„I’m a survivor – Corona-World-Tour 2020“ steht auf ihrem schwarzen T-Shirt. Auf dem Rücken finden sich – wie bei einem Tour-T-Shirt einer Rockband – die „Spielorte“ von Corona. Dort stehen fast alle Länder der Welt. In S wie Spanien und Sevilla hat sich die Düsseldorferin im März mit dem Coronavirus infiziert. Nach ihrer Modedesign-Ausbildung ist sie mit dem Erasmus-Programm im Ausland und macht bei einer Designerin ein Praktikum. Sie fährt mit dem Rad und der U-Bahn durch die Stadt. In der U-Bahn, so vermutet sie heute, infiziert sie sich mit dem Virus.

Als sie in den Nachrichten hört, dass es auch in Spanien die ersten Corona-Fälle gibt, spürt sie Symptome. Sie hat Halsschmerzen und hohes Fieber. Am nächsten Tag ruft sie den Notdienst, die Sanitäter diagnostizieren eine Mandelentzündung und geben ihr Antibiotika. Nach einer Woche geht es ihr so schlecht, dass die Mitbewohner der Wohngemeinschaft den Rettungsdienst rufen. Sie hat Atemaussetzer und kann sich kaum im Bett von links nach rechts drehen. Sofort kommt sie auf die Intensivstation der Universitätsklinik Virgen Macarena. Ihre Sauerstoffversorgung ist besorgniserregend, sie wird in ein künstliches Koma versetzt. Fünf Wochen wird das dauern.

 Mit Dreadlocks in Sevilla: Luisa machte ein achtmonatiges Praktikum in Andalusien.

Mit Dreadlocks in Sevilla: Luisa machte ein achtmonatiges Praktikum in Andalusien.

Foto: privat

Es ist die Zeit, in der das Coronavirus und Covid-19-Erkrankungen in Europa um sich greifen. Die spanische Regierung verhängt eine der strengsten Ausgangssperren. Gemessen an der Bevölkerungszahl wird Spanien das Land mit der höchsten Todesrate. In Deutschland gibt es bei den ersten Meldungen über Todesopfer häufig noch den Zusatz „Es gab eine Vorerkrankung“. Dieser Begriff verringert bei vielen die Angst vor der unsichtbaren Gefahr, legt sich wie Balsam auf die angespannten Nerven. Dass viele, die sich gesund fühlen und sich daher nicht als gefährdet ansehen, aus medizinischer Sicht ebenfalls eine Vorerkrankung haben, blenden sie aus.

Auch Luisa hat eine Vorerkrankung, Asthma bronchiale. Damit leben in Deutschland etwa jedes zehnte Kind und jeder 20. Erwachsene. Krank hat sich Luisa dadurch allerdings nicht gefühlt. Sie war gut mit Medikamenten eingestellt, hat in der Schule jede Sportstunde mitgemacht, getanzt, ist mit dem Rad auch steilere Anstiege hoch. Nur wenn sie wirklich an ihre Grenzen gehen musste, hat ihr Körper sie daran erinnert, dass sie Asthmatikerin ist. Warum die Covid-19-Krankheit in ihrem Körper so wüten wird, weiß niemand. Liegt es am Asthma? Oder daran, dass die Corona-Infektion so lange nicht erkannt wurde und sie erst spät die richtige medizinische Hilfe bekam?

Während Luisa in Sevilla mit dem Tod ringt, kämpft ihre Mutter Bea in Düsseldorf dagegen, nicht durchzudrehen vor Angst und Sorge. Luisas Freunde informieren sie über den Transport in die Klinik. Die Nachricht ist ein extremer Schock: Am Tag zuvor hat sie in den Nachrichten noch Bilder aus Italien gesehen, wie Covid-19-Tote in Massengräbern beigesetzt werden.

Die Mutter setzt sich mit dem Auswärtigen Amt und dem Konsulat in Verbindung, versucht alles, um nach Sevilla zu ihrem todkranken Kind zu kommen. Aber das Coronavirus ist in vielfacher Hinsicht grausam und verhindert auch das. „Ich hatte sofort einen Koffer gepackt, mit Luisas Geburtsurkunde und allen Dokumenten. Ich habe mich nach einem Flieger erkundigt. Aber nichts ging. Das war fast nicht zu ertragen“, sagt die Mutter. Vor allen Dingen, als sie die Bilder der Urlauber sieht, die von Veranstaltern und der Bundesregierung zurückgeholt werden. „So viele Flugzeuge, und ich kam nicht zu meinem Kind.“

Über das Konsulat bekommt sie vom Krankenhaus einen Dolmetscher gestellt, der sie über die Behandlung und den Zustand ihrer Tochter informiert. Kurz darauf übernimmt die Mitarbeiterin einer Erasmus-Organisation die Kommunikation zwischen Ärzten und Deutschland. Monica schickt zweimal am Tag eine Sprachnachricht. Die häufigsten Wörter sind „kritisch“ und „abwarten“. Für Luisas Mutter sind diese Nachrichten Segen und Folter zugleich. „Ich habe mir immer genau überlegt, wann ich sie abhöre. Ich hatte so schreckliche Angst. Es konnte etwas Gutes oder die schlimmste Nachricht meines Lebens sein.“

Schon einmal zerstörte ein Telefonanruf ein großes Glück: Als ihre Tochter zweieinhalb Jahre alt war, bekam Bea die Nachricht, dass ihr Mann, Luisas Vater, plötzlich an einem Gehirnschlag gestorben war. „Ich dachte, warum nimmt man sie mir jetzt, wo ich sie doch allein groß bekommen habe?“ Mutter und Tochter seien durch viele Täler gegangen, finanziell sei es oft eng gewesen. „Aber wir waren immer zuversichtlich, irgendwas entwickelt sich immer.“ Trotz Engpässen gab es nie Beschränkungen. „Ich habe nie gesagt, du kannst nicht Klavier spielen, weil wir nicht so viel Geld haben. Oder du kannst nicht studieren.“ Es fand sich immer ein Weg. Luisas Klavierstunden zum Beispiel hat die Mutter, die an der Düsseldorfer Oper arbeitet, in einem Tauschring organisiert. Als Gegenleistung arbeitete sie im Garten des Lehrers. Musik ist Luisa sehr wichtig, sie singt seit ihrem achten Lebensjahr im Chor der Gemeinde St. Margareta im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim. Sie ist kreativ, bodenständig, werkelt gerne mit ihren Händen. Ihr Traumberuf ist Kostümbildnerin – bei einem Auslandsaufenthalt in Florenz machte sie ein Praktikum an der dortigen Oper.

Auf der Intensivstation in Sevilla darf niemand zu Luisa. Auch ihr Freund Rigo nicht. Über ihn, Monica und andere Freunde hält die Mutter Kontakt, in der Gruppe werden Nachrichten getauscht. „Das hat uns ganz eng zusammengebracht, wir waren eine Schicksalsgemeinschaft.“ Rigo Ochoa ist Musiker und schreibt ein Lied, „Luz para Lu“ – Ein Licht für Lu. Darin heißt es:

Ich weiß, dass du mich hören kannst.

Heute werde ich deine Luft sein

Komm und atme mich ein

Hör bloß nicht auf, mit mir zu sprechen

Komm zurück und umarme mich

Luisas Mutter bittet ihn, alles da­ran zu setzen, dass dieses Lied ihre Tochter erreicht. „Deine Stimme wird etwas bei ihr bewirken“, davon ist sie überzeugt. In der Klinik arbeitet eine Pflegerin, die Luisa vom Tanzen kennt. Sie bringt Rigos Lied in die Klinik, kümmert sich darum, dass es auf der Intensivstation gespielt wird und zumindest seine Stimme ihr nah sein kann.

 Luisa mit ihrer Mutter Bea im Park der Reha-Klinik in Korschenbroich.

Luisa mit ihrer Mutter Bea im Park der Reha-Klinik in Korschenbroich.

Foto: bauch, jana (jaba)

Aber Luisas Zustand verbessert sich nicht. Als ihr Blut kaum noch Sauerstoffsättigung aufweist, wollen die Ärzte nach einer Woche die Patientin an eine ECMO-Maschine anschließen. Die extrakorporale Membranoxygenierung kommt zum Einsatz, wenn Lunge oder Herz schwerst geschädigt sind. Das Blut wird aus dem Körper geleitet und mit Sauerstoff versetzt. So wird der Gasaustausch, den die Lunge nicht mehr bewältigt, ersetzt. „Die Ärzte haben mir gesagt, ohne diese Maschine würde sie es nicht schaffen. Die ECMO wäre ihre einzige Chance“, sagt die Mutter.

In all dem Unglück hat Luisa viel Glück. Dass die Klinik über dieses Verfahren verfügt, ist eines. Ein anderes, dass sie in Sevilla erkrankt. „Wäre sie in Madrid ins Krankenhaus gekommen, hätte sie vermutlich nicht überlebt – dort ist das Klinik-System in der Hochzeit der Corona-Krise fast kollabiert“, sagt Bea. In ganz Andalusien habe es so viele Corona-Fälle gegeben wie allein in Madrid.

Wochen liegt Luisa im Koma, davon zwei Wochen an der Maschine, die ihre Lunge ersetzt. Rigos Lied dringt durch den künstlichen Schlaf. Auch anderes. „Die Schmerzen des Luftröhrenschnitts habe ich gespürt“, sagt Luisa. Sie durchlebt schlimmste Alpträume und Halluzinationen. Träumt, ihre Familie sei erkrankt und gestorben. „Diese Träume habe ich ganz realistisch erlebt, ich kann mich an jedes Detail erinnern“, sagt Luisa. Sie habe alles wie ein Baum in seiner Rinde gespeichert. Als sie erwacht, muss sie erst sortieren, was wahr ist und was nicht. Umgeben von Ärzten, die mit ihrer Schutzkleidung wie verpackte Marsmenschen aussehen, und piepsenden Maschinen erfährt sie, was passiert ist. „Wenn ich nur hätte bei ihr sein können, wäre auch das Aufwachen für sie anders gewesen“, sagt ihre Mutter.

Es sind Tage und Wochen des Bangens. In dieser Zeit zieht Luisas Mutter ihre Kraft und ihren Trost aus dem Zuspruch, den sie erfährt. „Unglück passiert, das kann man nicht abwenden“, sagt sie. „Aber wie ich damit umgehe, kann ich beeinflussen.“ Ihr helfen aufmunternde Worte per Whatsapp, ein Stück selbstgebackener Kuchen, den ihr jemand vors Fenster stellt, ein Meer von Blumen. Weltweit stellen Freunde eine brennende Kerze für Luisa auf. Ihr Chor von St. Margareta singt ein Lied und schickt davon ein Video. Freunde und Familie nehmen Sprachnachrichten auf, die die Mutter weiter nach Sevilla leitet, damit ihre Tochter im Koma vertraute Stimmen hört. Auch ein Fotoalbum wird erstellt und nach Andalusien geschickt, ohne dass Familie und Freunde wissen, ob die Patientin es je wird anschauen können. „Dass es so viel Liebe für Luisa gibt, hat mich aufrechterhalten“, sagt die Mutter.

Noch heute sind beide erfüllt von tiefer Dankbarkeit für die Fürsorge und die Behandlung in Spanien. „Ich habe große Hochachtung vor der Leistung der Ärzte. Da war so viel Anteilnahme und Einsatz im Spiel“, sagt die Mutter. Da sie nicht da sein durfte, hat das Klinik-Personal ihre Tochter im wahrsten Sinne des Wortes in Pflege genommen. Sie sei adoptiert worden wie Moses im Binsenkörbchen. „Jeder im Krankenhaus kannte mein Schicksal“, sagt Luisa. „Ich hieß ,la niña de todos‘, das Kind von allen.“

Immer noch bekommt sie Nachrichten von Schwestern, die sie über Facebook und Instagram suchen. „Fast jede Woche schreibt mir jemand vom Personal der Intensivstation. Sie erzählen mir, wie sie für mich da waren, Musik über das Handy laufen ließen und sogar auf meinen Glücksbringer, ein Amulett meines Vaters, achtgegeben haben. Das berührt mich sehr“, sagt sie. Eine Schwester besorgt ihr sogar noch eine neue Kordel dafür, weil sie die alte durchschneiden musste, um Luisa versorgen zu können. Sie schreibt:

„Hallo Lu, Wie geht es dir? Du wirst dich nicht an mich erinnern, aber es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an dich denke. Ich bin die Krankenschwester, die bei dir war, als du auf die Intensivstation des Virgen Macarena kamst. Die Schwester, die dir sagte, dass sie dir deine Kette, die du als Glücksbringer trugst, nicht abnehmen wird. Die gleiche Schwester, die die Kette leider doch durchschneiden musste, um dir die benötigte Technik anzulegen. Die Schwester, die dir sagen musste, dass du deine Mutter in diesem Moment nicht anrufen kannst, aber auch dieselbe Schwester, die dir versprach, dass du wieder aufwachen wirst, um mit deiner Mutter zu sprechen.

Es ist normal, dass du dich nicht an mich erinnerst, aber ich wollte, dass du weißt, dass du seit genau diesem Tag immer in meinem Kopf warst.

Die Situation verkomplizierte sich, und die Tage vergingen. Alle litten wir sehr mit dir, aber ich hatte dir ein Versprechen gegeben, bei dem ich nun nicht mehr wusste, ob ich es würde halten können… Es waren sehr viele Behandlungen mit höchster Technologie erforderlich, aber uns blieb trotzdem die Chance, uns um dich kümmern. Wir spielten dir Musik vor, die uns für dich geschickt wurde, wir gaben dir all unsere Fürsorge. .. Bis endlich die große Kriegerin, die nie aufgehört hatte zu kämpfen, anfing, auf all das zu reagieren. Es war eine riesige Freude für alle, du warst ein Teil von uns.

In der letzten Nacht, die du mit uns in der Intensivstation verbrachtest, habe ich mich nicht getraut, dir all das zu erzählen, und dann lief mir die Zeit weg. Ich machte mich auf, dich zu suchen, denn ich hatte eine neue Kordel für dein Glücksamulett bei mir, aber du warst schon auf dem Weg zu deiner Familie, die so sehr auf der Ferne gelitten hatte.

Ich wollte dir danken dafür, nie kapituliert zu haben und mir dabei geholfen zu haben, mein dir gegebenes Versprechen zu erfüllen. Umarme deine Mama ganz doll von mir, und pass auf dich auf! Wir werden dich hier nie vergessen.“

Die große Fürsorge im Krankenhaus ist wichtig für Luisa, die junge Deutsche ist aber auch wichtig für das Klinikpersonal. Denn sie hat die Intensivstation lebend verlassen, bei ihr ist alle medizinische Anstrengung nicht vergebens. Ein Video zeigt diesen Abschied, es ist bei Youtube zu finden unter „Licht für Lu“: Luisa filmt aus dem Rollstuhl heraus, Dutzende Ärzte und Pfleger stehen Spalier und applaudieren. Dazu läuft ihr Lied „Luz para Lu“. Sie hat getan, worum ihr Freund Rigo sie gebeten hat. Sie ist zurückgekommen. Nach 38 Tagen auf der Intensivstation. „An dem Tag habe ich zum ersten Mal wieder das Sonnenlicht gesehen und vor Freude geweint, dass ich das noch erleben darf.“

Nach Hause, nach Deutschland, darf die junge Frau erst, als sich ihr Zustand stabilisiert hat und sie drei negative Corona-Tests vorweist. Mit einem intensivmedizinischen Flug, der ihrer Mutter mehrere Male zunächst verweigert worden ist, kommt sie Anfang Mai nach Düsseldorf und in die Uniklinik. Bea, die erst jetzt den im März gepackten Koffer wieder ausräumt, darf ihr Kind aber immer noch nicht sehen. Die Corona-Schutzmaßnahmen der Krankenhäuser verbieten es, Besuch ist streng limitiert. „Sie war nur noch 11,5 Kilometer von mir entfernt und immer noch unerreichbar.“ Am 5. Januar, am Ende von Luisas Weihnachtsbesuch, hatten sie sich zuletzt gesehen.

Im Koma hat die Tochter 15 Kilo abgenommen. Sie ist nur Haut und Knochen, ihre langen Dreadlocks mussten die Pfleger abschneiden. Am Anfang ist sie auf den Rollstuhl angewiesen. Essen, sich waschen und anziehen – bei den selbstverständlichsten Tätigkeiten benötigt sie Hilfe. „Mittlerweile kann ich das wieder allein, aber an manchen Tagen schaffe ich selbst das nicht.“ Ein rote Narbe am Hals erinnert an den Luftröhrenschnitt, den sie nach der ECMO-Behandlung bekommen hat, um ihre Stimmbänder zu schonen und um sie im Notfall wieder beatmen zu können. Die ECMO-Therapie hat Narben an Hals und Leiste hinterlassen. Wenn sich Luisa Saft eingießen möchte, kämpft sie mit dem Verschluss der Flasche. Die Feinmotorik in den Händen ist gestört. Sie sieht schlechter. Ihre Lunge arbeitet durch die starke Vernarbung nicht mehr so wie vorher, und keiner weiß, ob sich das noch mal ändern wird. Und immer wieder klappen ihr die Beine weg, manchmal von jetzt auf gleich. Einmal ist sie mit ihrer Mutter mit dem Rollator spazieren, als es passiert. Bea trägt Luisa huckepack nach Hause.

Ihr Corona-T-Shirt ist eine Art Selbstschutz, eine Botschaft, die sie den Menschen entgegenhält, die nicht verstehen wollen, was ihr passiert ist. „Als ich im Rollstuhl saß, wurde ich oft komisch angeguckt, ich habe mich unwohl gefühlt.“ Junge Menschen und Corona passen irgendwie nicht zusammen. Das will Luisa ändern. „Ich möchte andere Leute damit wachrütteln und warnen, vor allem junge Menschen, dass Corona lebensgefährlich ist.“ Sie habe eine zweite Chance bekommen, und die will sie nutzen. „Ich möchte vor der Covid-19-Erkrankung und deren Folgeschäden warnen, aber auch anderen Erkrankten Mut geben, immer weiter zu machen, selbst wenn der Weg lang scheint.“

Auch ihre WG-Mitbewohner in Sevilla werden alle auf das Coronavirus positiv getestet. Ihr Freund Rigo entwickelt gar keine Krankheitssymptome. Trotzdem spürt er jetzt, erst Monate später, Taubheitsgefühle in den Fingern, eine Freundin hat Probleme mit der Lunge.

Wenn Luisa Bilder von dicht gedrängten und feiernden Menschen oder Demonstrationen sieht, fehlen ihr die Worte. „Es sind doch einfache Regeln, an die man sich halten muss. Den Urlaub mal ein Jahr ausfallen zu lassen, ist doch besser, als keinen mehr erleben zu können.“ Jeder könne seinen Teil dazu beitragen, dass das Virus sich nicht weiter verbreitet. „Wir dürfen nicht nachlässig werden, es ist nicht vorbei.“ Auch wenn nicht jeder eine so schwer erkrankte Person kenne, gebe es sie.

Viele Wochen Reha liegen schon hinter ihr. Fünf Wochen war sie in einer Lungenfachklinik in Bad Lippspringe. Nach einer kurzen Zeit zu Hause ging es in die Niederrhein Klinik in Korschenbroich, dort liegt der Fokus auf der neurologischen Regeneration. Drei Wochen bleibt sie erst mal dort – eine Verlängerung ist sehr wahrscheinlich. „Ich brauche viel Ruhe, mir wird schnell alles zu trubelig und zu viel“, sagt Luisa. Situationen wie ein Einkauf in einem Supermarkt stressen sie. Gespräche strengen sie an, Musik und viele Stimmen sind nur schwer zu ertragen. „Früher hat meine Oma immer gesagt: ,Luisa, mach mal die Musik leiser!‘ Heute bin ich es, die sie zuerst darum bittet.“

 Zurzeit macht Luisa in der Niederrhein Klinik in Korschenbroich eine Reha, sie wird betreut von Marcus Schaufenberg, Leiter der neurologischen Abteilung.

Zurzeit macht Luisa in der Niederrhein Klinik in Korschenbroich eine Reha, sie wird betreut von Marcus Schaufenberg, Leiter der neurologischen Abteilung.

Foto: bauch, jana (jaba)

Marcus Schaufenberg, Leiter der neurologischen Abteilung in der Niederrhein Klinik, kennt solche Spätfolgen nach Langzeit- oder Intensivaufenthalten. Luisa ist die dritte Covid-19-Patientin, die wegen ihrer Folgeschäden dort neurologisch rehabilitiert wird. Die anderen waren jedoch viel älter. Luisas Probleme mit den Muskeln und Empfindungen – Myopathie und Neuropathie – seien typisch. „Das Nervensystem muss sich wieder neu regulieren“, sagt er.

Eine starke muskuläre Erschöpfung sei eine Folge des Komas, zudem veränderten sich Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnisleistung. „Der ganze Körper ist nach solch einer schweren Erkrankung in Dysbalance“, sagt Schaufenberg. Die Regeneration brauche Zeit. „Das wird vom Kopf so nicht gewollt, aber der Körper fordert das ein“, sagt der Arzt. Deshalb sei es in der Reha auch so wichtig, Erholungsphasen einzulegen. Luisa muss zudem lernen, genau auf sich zu hören, Signale zu erkennen. „Das Vertrauen und die Verlässlichkeit des Körpers müssen erst wieder wachsen“, sagt der Mediziner. Eine Prognose für seine junge Patientin gibt er nicht. „Es gibt immer eine Verbesserung. Ob jemand aber wieder genauso wird wie vorher, ist auch bei anderen Erkrankungen nicht vorherzusagen.“

Der Schock über Luisas Überlebenskampf sitzt in der Familie tief. „Von jetzt auf gleich kommen mir die Tränen“, sagt Bea. Luisa bekommt in der Reha psychologische Angebote, die Mutter zieht das für sich auch in Erwägung. Eines Tages. „Noch bin ich so beschäftigt mit Organisieren und Kümmern, dass ich dafür gar nicht die Ruhe und Zeit habe.“ Sie sorgt sich um die Zukunft ihrer Tochter. „Sie ist noch so jung, andere haben schon Rentenansprüche oder eine Berufsunfähigkeitsversicherung.“ Sie weiß nicht, wie fit Luisa wieder werden wird, sie hat sie wochenlang gepflegt. „Es muss für solche Überlebenden doch Ausnahmeregelungen geben oder einen Fonds.“ Die Hoffnung ist groß, dass Luisa wieder ganz gesund wird und ihr Leben selbst in die Hand nimmt. Ihre selbst entworfene T-Shirt-Kollektion ist ein erster Schritt, doch für eine größere Produktion fehlt das Geld. Neben dem „I’m a survivor“-Logo auf nachhaltigem Stoff gibt es auch andere Botschaften. „Stay negative“ zum Beispiel oder „A mask a day keeps Corona away“.

Langsam fängt Luisa an, zu realisieren, was mit ihr passiert ist. „Aber das, was ich brauche, ist Zeit. Zeit, um meine Lunge zu regenerieren, Zeit, um wieder Dinge wie das Laufen zu erlernen, Zeit, um meine Nerven und seelischen Schäden auszukurieren.“ Für Luisa ist es auch eine schmerzhafte Erkenntnis, dass es sehr lange dauern wird. Anfangs löchert sie ihre Mutter noch damit, wann sie denn endlich ein Flugticket zurück nach Sevilla kaufen könne. Sie will zu ihrem Freund, ihren Freunden. „Ich musste dann einsehen, dass es nicht geht.“

Vor Kurzem hat die junge Frau ihren 22. Geburtstag gefeiert. Es gab viele Momente in den vergangenen Monaten, in denen niemand dachte, dass sie ihn noch erleben wird. Aber sie hat es geschafft, Luisa hat überlebt. Für ihre Genesung liegt noch ein langer Weg vor ihr. Den Glauben daran, ihrem alten Ich wieder ähnlicher zu werden, verliert sie nicht. „Ich bin ein Mensch, der schneller aufsteht, als er hinfällt.“ Sie habe schon sehr viel geschafft. Bei ihrer Genesung sei es zwar ein ständiges Auf und Ab. „Aber am Ende geht es doch immer ein kleines bisschen bergauf.“

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