Raser- und Tuningszene in NRW Posen, Rasen, Blech-Tindern

Düsseldorf/Dortmund/Köln · Die Raser- und Tuningszene in Nordrhein-Westfalen wächst seit einigen Jahren. Während der Pandemie hat sich die Situation verstärkt, besonders im Lockdown. Ein Blick auf einige Schwerpunkte und darauf, wie die Polizei dort vorgeht.

 Tuningkontrolle in Dortmund

Tuningkontrolle in Dortmund

Foto: RPO/Polizei Dortmund

Einige Anwohner des Dortmunder Wallrings wissen sich an so manchem Wochenende nicht anders zu helfen, als die 110 zu wählen. Über den Notruf berichten sie von jungen Männern in aufgemotzten Autos, die die Motoren aufheulen und die Auspuffe knallen lassen, bei heruntergelassenen Fenstern dröhnende Musik hören oder den Wallring als Rennstrecke nutzen. „Für die Einsatzkräfte sind solche Anrufe eine Bestärkung“, teilt die Dortmunder Polizeibehörde mit. Es ist eine Bestätigung dafür, dass die Maßnahmen wie Sperrkonzepte und hoher Präsenz- und Kontrolldruck notwendig sind. Mit großem Personalaufwand kontrolliert die Polizei in Dortmund an den Wochenenden rund um den Innenstadt-Wall, am Hafen und am Phoenix-See hunderte Fahrzeuge und Fahrer. Die Beamten stellen Anzeigen wegen Rotlichtverstößen oder Erlöschens der Betriebserlaubnis, wenn an den Autos Änderungen vorgenommen wurden, die etwa das Geräusch- oder Abgasverhalten verändert haben.

Die Raser- und Tuningszene in Nordrhein-Westfalen wächst seit einigen Jahren. Während der Pandemie hat sich die Situation verstärkt, besonders im Lockdown. Auf dem Dortmunder Wall zählte die Polizei allein in einer Nacht bis zu 900 Fahrzeuge. Dort gilt seit einiger Zeit nun Tempo 30. Auch im Kreis Recklinghausen, in Essen, auf dem Zechengelände in Herten und rund um das Südringcenter in Bottrop treffen sich die Fahrer von PS-starken Autos. Das Ruhrgebiet gilt schon seit Jahren als Treffpunkt der Tuningszene. Wer dazu gehört, betont, kein Raser zu sein – und doch gibt es Überschneidungen. Einige derjenigen, die ihren Wagen aufmotzen und umbauen, liefern sich auch gern ein Kräftemessen mit anderen und fahren illegale Rennen in den Innenstädten. „Die Fahrer loten mit ihren Fahrzeugen physikalische Grenzen aus, die sie häufig nicht abschätzen und in vielen Fällen nicht beherrschen können“, sagt eine Sprecherin des Landesamts für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW. Dabei gefährden die Fahrer nicht nur sich selbst, sondern auch Unbeteiligte. „Die Polizei NRW schreitet hier konsequent ein“, sagt die Sprecherin. „Öffentliche Straßen sind keine Rennstrecken.“

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2019 wurden nach Angaben des Innenministeriums in NRW 766 verbotene Rennen registriert, 2020 fast die doppelte Anzahl: Insgesamt 1515 Rennen. Hinter den steigenden Fallzahlen steckt auch die verstärkte Kontrolle der Behörden. Es gab 1250 Strafanzeigen, 265 Verkehrsunfälle und fünf Tote durch illegale Rennen – ein Fahrer, drei Beifahrer und ein Kind kamen ums Leben. NRW-Innenminister Herbert Reul kündigte ein hartes Durchgreifen an. So gab es im vergangenen Jahr mehr Schwerpunktkontrollen und 164 Sondereinsätze.

Düsseldorf hat vor allem mit Posern zu tun hat, die auf der Kö und am Mannesmannufer aufschlagen, um mit ihren teuren Autos einem breiteren Publikum aufzufallen. Seit 2017 gibt es bei der Düsseldorfer Polizei die Arbeitsgruppe (AG) „Tuning“, wo Beamte unterschiedlicher Direktionen zusammenarbeiten. „Man muss ganz klar unterscheiden zwischen Posern, Tunern und Rasern“, sagt der stellvertretende Leiter der AG. Der klassische Poser falle eher nicht mit dem eigenen Fahrzeug auf, sondern mit einem hochpreisigen Mietwagen. „Es sind meist junge Männer, die sich auch mal zu dritt einen Mercedes für 500 Euro übers Wochenende mieten, um sich selbst darzustellen.“ Der Tuner dagegen investiere jede Menge Geld in die Aufrüstung seines Autos, um sich damit von anderen abzuheben, aufzufallen. „Tuner sind nicht unbedingt das Problem, wenn die technischen Veränderungen nicht zum Nachteil der Verkehrssicherheit gehen“, sagt der Polizeihauptkommissar. Das größte Problem stellen die Raser dar, die sowohl aus der Tuner- als auch der Poserszene stammen können, wie der Beamte sagt. „Nicht jeder, der sein Auto tunt, ist unbedingt ein Raser“, sagt er.

In Köln hat sich im Jahr 2015 eine größere Raser-Szene gebildet – mit verheerenden Folgen. Innerhalb von vier Monaten kam es zu drei tödlichen Unfällen bei illegalen Rennen. Eine 19-Jährige und ein 26-Jähriger starben, weil sie auf ihren Fahrrädern von Autos erfasst wurden, deren Fahrer die Kontrolle verloren hatten. Der 49 Jahre alte Fahrgast eines Taxis kam ums Leben, weil der Ford eines 19-Jährigen in das Taxi gekracht war – mit einem Gleichaltrigen hatte der Fahrer sich ein Rennen geliefert und war mitten in der Innenstadt über eine rote Ampel hinweggerast. Die Polizei zog Personal für eine Ermittlungsgruppe namens „Rennen“ zusammen, die später eine eigene Dienststelle wurde. Die Fahnder ermittelten verdeckt, analysierten die Szene und gingen dann mit vielen Razzien am Rhein in die Offensive. Mit Erfolg. Durch Maßnahmen wie Tempo-30-Zonen, Bodenwellen, verengten Straßen und ständigen Kontrollen bremste die Kölner Polizei die Raser aus. Vor allem mit der Stilllegung von unsachgemäß getunten Autos.

Im Frühjahr tauchten während des Lockdowns aber auch in Köln wieder zahlreiche junge Leute in getunten, teuren Autos auf. Anwohner im Stadtteil Poll hatten sich über ständiges Hupen und röhrende Motoren an der Alfred-Schütte-Allee direkt am Rhein beschwert. Die Stadt verfügte, dass ab sechs Uhr abends nur noch Anwohner die Straße befahren dürfen.  Auch in Dortmund zeigen die vielen Schwerpunktkontrollen Wirkung. „Durch die polizeilichen Maßnahmen konnte das Szeneaufkommen um mehr als 50 Prozent reduziert werden“, teilt ein Experte der Dortmunder Verkehrsdirektion mit. In Dortmund sind in diesem Jahr neben den sogenannten Datern, die die Straße als Kontaktbörse („Blech-Tindern“) nutzen, erstmals auch Leute aufgefallen, die sich verkleiden und die Tuning- und Raserszene anfeuern. „Dabei kam es teilweise zu einer Art Eventtourismus“, sagt der Dortmunder Beamte. Vielen dieser Personen, die die Polizei als „Entertainer“ bezeichnet, gehe es um die Selbstdarstellung in den sozialen Medien. „Sie betrachten Rasen und Posen als Lifestyle.“

Was Tuner, Raser und Poser eint, ist der Wunsch, wahrgenommen zu werden. Das funktioniert bei regnerischem Sommerwetter nicht besonders gut. „Der Tuner lässt sein Auto in der Garage, wenn es regnet, weil er es sonst wieder zwei Stunden putzen muss“, sagt der Düsseldorfer Beamte. Und der Poser brauche sein Publikum. „Wenn keine Fußgänger unterwegs sind, macht das Ganze keinen Spaß.“

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