Chlorgas-Unfall in Hilden "Derzeit spricht alles für menschliches Versagen"

Hilden · Der Austritt von Chlorgasdämpfen am Sonntagnachmittag im Spaß- und Freizeitbad Hildorado ist offenbar glimpflich abgelaufen. Die Verletzten konnten die Klinik inzwischen verlassen. Aber wie konnte es zu dem Unfall kommen? Wir haben Experten nach ihrer Einschätzung gefragt.

Großeinsatz der Feuerwehr - Neun Verletzte

Nach dem Chlorgas-Unfall gegen 16.45 Uhr mussten zwei Erwachsene und sieben Kinder vorsorglich in umliegende Krankenhäuser gebracht und über Nacht beobachtet werden. Alle konnten die Krankenhäuser am Montag wieder verlassen. "Es ist offenbar nur eine kleine Menge Chlorgas ausgetreten. Wir konnten nach unserem Eintreffen kein Chlorgas mehr im Hildorado messen", sagt Hans-Peter Kremer, Leiter der Hildener Feuerwehr. "Die Mitarbeiter haben sehr gut reagiert, die rund 500 Gäste nach draußen gebracht und die Lüftung abgeschaltet."

Nach Auslösen des Alarms war die Feuerwehr mit einem Großaufgebot angerückt. "Wir müssen immer vom Schlimmsten ausgehen", erklärt der Feuerwehr-Chef. 153 Einsatzkräfte mit 54 Fahrzeugen sowie 30 Polizisten kümmerten sich um rund 500 Badegäste. Der Rettungsdienst betreute 60 Personen.

Die Kreispolizei Mettmann ermittelt jetzt wegen des Verdachts auf Körperverletzung. "Nach ersten Erkenntnissen spricht alles für menschliches Versagen", sagt Polizei-Sprecher Ulrich Löhe.

Was ist genau passiert?

Bei Reinigungsarbeiten im Technikkeller sei es zu einer chemischen Reaktion gekommen, erklärt Sabine Müller, Sprecherin der Stadtwerke Hilden. Die Stadtwerke betreiben auch das Hildorado. Der sehr erfahrene Mitarbeiter habe sofort Gegenmaßnahmen eingeleitet und die Chemikalie neutralisiert. Dennoch seien Chlordämpfe über die Entlüftung in die darüber liegende Badelandschaft gelangt. Der Mitarbeiter bekam am meisten vom dem Chlorgas ab.

Wie geht es dem Mitarbeiter? "Den Umständen entsprechend gut", so Müller: "Er durfte nach einer Nacht in der Klinik nach Hause gehen und ist arbeitsfähig. Er ist aber seelisch sehr betroffen. Ein Notfallseelsorger hat ihn betreut." Das Hildorado ist seit Montag wieder geöffnet. Müller kann sich an keinen Unfall dieser Art in den vergangenen 24 Jahren erinnern.

Das sagen Experten

In der Deutsche Gesellschaft für das Badewesen mit Sitz in Essen sind 1300 Badbetreiber und Fachleute aus ganz Deutschland organisiert. "Unfälle mit Chlor in Schwimmbädern sind relativ selten", sagt Diplom-Ingenieur Markus Funcke. Wenn dennoch etwas passiere, handele sich meist um menschliches Versagen. Chlorgasräume in Schwimmbädern müssten speziell begutachtet werden. Die Mitarbeiter, die dort arbeiten, würden zusätzlich geschult.

Diplom-Ingenieur Stefan Mersmann ist Geschäftsführer des Planungs- und Gutachterbüros bt Plan, spezialisiert auf Schwimmbadbau: "Es gibt verschiedene Verfahren zur Desinfektion des Wassers. Sie sind in Deutschland extrem sicher." Unfälle mit Chlorgas in Schwimmbädern seien "extrem selten": "Fehlbedienungen kann man nie ausschließen."

Die ärztliche Einordnung

"Je länger eine Person Chlorgas einatmet und je höher die Konzentration des Gases ist, desto gefährlicher wird es", sagt Marco Strohm, einer der leitenden Notärzte der Stadt Köln. Bei hoher Dosierung könne es zu Erstickungsanfällen kommen, auch könne Wasser in die Lunge geraten — was zu Lungenödemen führen kann.

Eine derart hochgefährliche Konzentration von Chlorgas gibt es nach Angaben von Strohm jedoch nie in Schwimmbädern, sondern allenfalls in Chemiebetrieben. Chlorgas ist in der bestimmungsgemäßen Konzentration im Schwimmbadwasser unschädlich, es wirkt antibakteriell und tötet Keime ab.

Was die neun Verletzten betrifft, die nach dem Chlorgas-Unfall in Hilden über Nacht zur Beobachtung in Kliniken gebracht wurden, so hält Strohm es für ausgeschlossen, dass sie Folgeschäden davon tragen. "Wichtig ist es, die Patienten eine Nacht zu beobachten, ihre Sauerstoffwerte zu überprüfen, damit keine Hinweise auf eine Entzündung oder Wasser in der Lunge übersehen werden", sagt Strohm. Eine Folge könne eine chronische Bronchitis sein. "Aber nicht bei der Gas-Menge, die in Bädern austreten kann."

Das Gute am Chlorgas sei, "dass man es sofort riecht und sich automatisch aus der Gefahrenzone herausbewegt." Die Einsätze seien zwar immer aufwendig, wenn in einem Freizeitbad Chlorgas austrete, weil meist sehr viele Menschen betroffen sind. "Bei vielen entsteht dann oft eine gewisse Panik — aber die Auswirkungen sind doch oft eher harmlos", sagt Strohm.

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