Kulturerbe oder Tierquälerei? Taubenzüchter fürchten um ihren Sport

Düsseldorf/Essen · Heute soll entschieden werden, ob das Brieftaubenwesen bundesweit als immaterielles Kulturerbe anerkannt wird. Tierschützer wollen dies unbedingt verhindern.

 Der Düsseldorfer Brieftaubenzüchter Friedrich Neuhaus mit seinem Sohn, der dem Hobby ebenfalls nachgeht.

Der Düsseldorfer Brieftaubenzüchter Friedrich Neuhaus mit seinem Sohn, der dem Hobby ebenfalls nachgeht.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Brieftaubenzüchter Friedrich Neuhaus blickt skeptisch in die Zukunft. „Es wird immer schwerer, das Hobby ausführen zu können“, sagt der Düsseldorfer. Die Akzeptanz für diesen Sport habe in der Bevölkerung stark nachgelassen. Es sei kaum noch möglich, einen Schlag in der Stadt zu betreiben, ohne Schwierigkeiten in der Nachbarschaft zu bekommen. „Viele Anwohner fühlen sich durch die Tauben gestört. Sie wollen sie nicht in ihrer Nähe haben“, sagt Neuhaus.

Das Herz der Brieftaubenzüchter schlägt nach wie vor im Ruhrgebiet. Aber selbst dort hat die Begeisterung in den vergangenen Jahren stark nachgelassen. Um die Tradition dennoch am Leben zu halten, wird von den Taubenzüchtern viel unternommen. So hat es das Brieftaubenwesen wie der Rheinische Karneval, die Martinstradition und die Bolzplatzkultur in NRW nun auf die Liste des immateriellen Kulturerbes geschafft. Doch vor der möglichen heutigen bundesweiten Anerkennung regt sich nun heftiger Widerstand. Brieftauben würden bei Wettkämpfen gequält, verletzt und getötet, empören sich Tierschützer. Mit schutzwürdigem Erbe der Menschheit habe das nichts zu tun, sagen sie und haben bei den Kulturerbe-Experten Dokumentationen eingereicht, die das Elend veranschaulichen sollen. „Da wird maßlos übertrieben“, sagt Horst Menzel, Ehrenpräsident des in Essen ansässigen Verbands Deutscher Brieftaubenzüchter. „Wir sind weltweit der Verband mit den höchsten Tierschutzstandards.“

Der Tierschutzbund sagt, dass unzählige Brieftauben für Wettkämpfe ausgebeutet und dabei verletzt oder gar getötet würden. „Es darf nicht sein, dass solche tierschutzwidrigen Praktiken durch eine Anerkennung als immaterielles Kulturerbe auch noch gefördert werden“, sagt Denise Ade, Fachreferentin für Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund. So müssen Brieftauben bei Preisflügen weite Distanzen – teilweise bis über tausend Kilometer – zurücklegen, die die Tiere an ihre Leistungsgrenzen brächten. „Und das, obwohl das Tierschutzgesetz eigentlich verbietet, einem Tier Leistungen abzuverlangen, die es nicht erbringen kann“, sagte Ade. Auf den Strecken seien die Tauben durch Beutegreifer, Windräder, Strommasten oder auch zu hohe Temperaturen zusätzlichen Gefahren ausgesetzt. Viele überlebten das nicht. Die Tierschutzorganisation „Peta“ kritisiert, dass beim „Brieftaubensport“ die Leistung der Vögel im Mittelpunkt stehe, ihr Wohlbefinden aber in der Regel keine Rolle spiele.

Menzel setzt sich seit 30 Jahren mit den Vorwürfen der Tierschützer auseinander. In dieser Zeit sei man den Vorgaben sehr weit entgegengekommen, das Wohl der Tauben stehe immer im Mittelpunkt. So müssten Flugleiter bei Wettflügen, bei denen die Tauben hunderte Kilometer zum heimischen Schlag zurückfliegen, geschult und zertifiziert sein. Auch für die sogenannten Auflassplätze, also den Punkten, an denen die Vögel starten, gelten strenge Richtlinien. Sie dürfen zum Beispiel nicht in der Nähe von Flughäfen sein. Zudem beobachte eine eigene Flugsicherungskommission vorab die Wetterlage, damit es während der Flüge nicht zu unliebsamen Überraschungen komme. „In diesem Sommer galt etwa wegen der hohen Temperaturen für das gesamte Verbandsgebiet ein 14-tägiges Flugverbot“, sagt Menzel. Wer dagegen verstoße, dem drohe der Ausschluss.

Dass es jedes Jahr bei Wettkämpfen zu Verlusten von Hunderttausenden Tauben komme, wie Tierschützer behaupten, sei laut Menzel viel zu hoch gegriffen. Im Schnitt gingen pro Saison rund zehn Prozent der Tauben verloren. „Der überwiegende Teil aber nicht bei Distanzflügen, sondern bei den täglichen Freiflügen rund ums Haus“, sagt der 73-Jährige. Die Tiere würden von Raubvögeln geschlagen, das könne über den Winter den Bestand eines Züchters durchaus dezimieren. Rund 30.000 Mitglieder hat der Verband bundesweit; in rund 20.000 Taubenschlägen werden etwa zwei Millionen Tauben gehalten. Davon wird rund die Häfte bei Wettflügen eingesetzt. Diese Flüge könnten im Übrigen nur erfolgreich sein, wenn den Tieren optimale Bedingungen geboten würden und sie einen Heimatschlag hätten, in dem sie sich wohlfühlen. Die Tiere würden ja bei jedem Auflass in die Freiheit entlassen und selbst entscheiden, ob sie nach Hause zurückkehren.

Sorgen bereitet dem Verband noch ein anderes Problem- der Verband schrumpft kontinuierlich. Pro Jahr gehen etwa 1000 Taubenzüchter verloren, Nachwuchs lässt sich kaum gewinnen. Für Menzel auch eine Folge des Kulturwandels. „Man ist nicht mehr bereit, sich mit lebenden Wesen zu beschäftigen“, sagt er. Das Hobby verlange zudem hohes Engagement, und das an 365 Tagen im Jahr. Das sei heute nur noch schwer zu vermitteln. Dazu kommen etwa 150 Euro Fixkosten im Monat, unter anderem für Futter, Startgeld und Tierarztbesuche. Rund 60 Tauben brauche ein Züchter, dazu kommt der Schlag und die Elektronik, die die Tiere überwacht - das schlägt mit rund 1000 Euro zu Buche. Menzel hofft, dass die Anerkennung des Brieftaubenwesens als Kulturerbe auf Bundesebene und im nächsten Schritt weltweit einen Popularitätschub bringt - und vielleicht auch die Nachwuchssorgen etwas minimiert.

Friedrich Neuhaus glaubt nicht, dass sich deswegen etwas ändern wird. „Das ist zwar schön, ändert aber an der Situation nichts“, sagt der Düsseldorfer Taubenzüchter. „Selbst, wenn man will, scheitert es daran, dass man es nicht kann, weil die Nachbarn es nicht wollen. Man braucht Platz dafür“, sagt er. Neuhaus sieht die Politik gefordert. „Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es ermöglichen, leicht und einfach Brieftauben halten zu können.“ So könnten zum Beispiel Lauben in Kleingärten für den Sport freigegeben werden. „Das würde uns sehr helfen“, sagt er. Neuhaus hat die Leidenschaft für das Hobby übrigens von seinem Vater übernommen. Und er selbst hat seinem Sohn mit dem „Virus“ infiziert. „Es ist schön, dass ich das Hobby mit meinem Sohn teilen kann“, sagt er. Aber die Jungen seien längst nicht mehr die Zielgruppe bei der Suche nach neuen Mitgliedern. Das seien mittlerweile die Senioren.

(csh/jis)
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