Brandbrief wegen Flüchtlingen "Vreden kann sich nicht weigern, Flüchtlinge aufzunehmen"
Düsseldorf · Der Bürgermeister der Kleinstadt Vreden im Münsterland hat einen Brandbrief an die Bezirksregierung geschrieben. Wenn man seiner Stadt weiter Flüchtlinge zuweist, wird man die Aufnahme verweigern, heißt es darin. Das kann Vreden aber gar nicht tun, kontert jetzt die Bezirksregierung.
Dieser Brief hatte es in sich. "Ich fordere Sie darum auf, Zuweisungen an die Stadt Vreden ab dem 1. Dezember nur noch nach meiner vorigen Zustimmung auszusprechen und ab diesem Zeitpunkt unabgestimmte Zuweisungen zu unterlassen!"
Dies schreibt Christoph Holtwisch (CDU), Bürgermeister der Kleinstadt Vreden im Münsterland, in seinem Brief an die Bezirksregierung in Arnsberg, der unserer Redaktion vorliegt. Der Brief ist konkrekt eine "Überlastungsanzeige", und genau darum geht es: Vreden ist, so die Sicht des Bürgermeisters, der Zahl der ankommenden Flüchtlinge nicht mehr gewachsen. Holtwisch macht seine Position klar: Er behalte es sich vor, die Aufnahme zu verweigern. Sollte die Bezirksregierung darauf keine Rücksicht nehmen, denke er an rechtliche Schritte.
Doch sollte Vreden sich tatsächlich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, ist es jedoch wahrscheinlich, dass es die Stadt selbst ist, gegen die rechtliche Schritte eingeleitet werden. "Die Stadt würde gegen das Gesetz verstoßen", sagt Benjamin Hahn, Sprecher der Bezirksregierung Arnsberg. Er bestätigt, dass Holtwischs Brief in Arnsberg angekommen ist. "Wir haben auch bereits reagiert, es gab ein Gespräch", sagt er.
Vreden steht wie alle anderen Kommunen auch unter dem Einfluss des Flüchtlingsaufnahmegesetz. Das regelt mithilfe einer Quote, wie viele Flüchtlinge eine Kommunen aufnehmen muss. Diese Quote errechnet sich zu 90 Prozent aus der Einwohnerzahl und zu zehn Prozent aus der Größe der Gemeinde, sagt Hahn. In Vreden waren nach Angaben von Bürgermeister Holtwisch bis 23. November 422 Flüchtlinge untergebracht. "Ich denke, dass die Gesamtzahl bis Ende des Jahres auf 500 Flüchtlinge ansteigen wird", sagt Holtwisch. Die Stadt hat rund 22.400 Einwohner (Stand Ende 2014).
"Wir verteilen die Flüchtlinge nach der Quote", sagt Hahn. Wenn Vreden also weitere Flüchtlinge zugeteilt werden, bedeute dies, dass die Quote noch nicht erfüllt sei und die Stadt die Menschen dann dem Gesetz zufolge aufnehmen muss. Weigern kann die Stadt sich nicht.
Das in dem Schreiben gestellte Ultimatum bezeichnet Hahn als "unsozial gegenüber den anderen Kommunen". Viele Gemeinden hätten derzeit mit den hohen Flüchtlingszahlen Schwierigkeiten und auch für die Bezirksregierung selbst sei es eine Herausforderung, dass täglich neue Menschen ankommen, die untergebracht werden müssen. "Wir versuchen, auf die Kommunen zuzugehen", sagt Hahn.
Den Vorwurf, er habe sich gegenüber anderen Kommunen unfair verhalten, indem er den Brief verfasst hat, weist Holtwisch entschieden von sich. "Der Brief ist kein Verabschieden von der Solidarität mit den anderen Kommunen", sagt Vredens Bürgermeister. Im Gegenteil, für ihn sei er eher ein "Schulterschluss". Er wisse, dass derzeit viele Gemeinden wegen des Flüchtlingszustroms vor Herausforderungen stehen. In Vreden allerdings wolle man es "gescheit" machen, wie Holtwisch mehrfach erklärt.
In seiner Kommune sei der Umgang mit Flüchtlingen bislang stets positiv besetzt gewesen, sagt Holtwisch. Er spricht von "Willkommenskultur" und viel ehrenamtlichem Engagement. "Doch wegen der schieren Zahl der Flüchtlinge, die kommen, stoßen wir an unsere Grenzen", sagt Holtwisch. Er habe eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Mitarbeitern. "Viele Ehrenamtliche sind am Limit, oder sogar schon über der Belastungsgrenze", sagt er. Deshalb habe er sich entschieden, der Bezirksregierung von dieser Überlastung zu berichten.

Turnhallen, Kirchen und Schiffe: Wo Flüchtlinge wohnen können
Doch nicht nur die Überlastung der Mitarbeiter, sondern auch die fehlenden Unterkünfte sind laut Holtwisch Vredens Problem. "Wir wollen die Menschen vernünftig unterbringen", sagt er. Derzeit gebe es nicht genug Kapazitäten auf dem Immobilienmarkt. Holtwisch kennt das Flüchtlingsaufnahmegesetz und weiß, dass er dazu verpflichtet ist, Flüchtlinge aufzunehmen. "Doch es gibt auch die Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen", sagt Holtwisch. Diese fordere, dass die Gemeinden die Aufgaben wahrnehmen, die für die Bürger vor Ort wichtig sind. In den Augen des Vredener Bürgermeisters steht diese kommunale Aufgabe derzeit im Konflikt mit der Pflicht, Flüchtlinge aufzunehmen. "Ich behalte mir vor, rechtlich klären zu lassen, welches der beiden Gesetze mehr Gewicht hat und wie sich dieser Konflikt aufklären lässt", sagt Holtwisch.
Der Bürgermeister, der auch den Brandbrief der Bürgermeister an Kanzlerin Merkel und NRW-Ministerpräsidentin Kraft unterzeichnet hat, kritisiert den Bund und das Land, die in der Flüchtlingskrise seiner Meinung nach zu wenig tun. "Die Dramatik der Situation wird nicht wahrgenommen. Wir haben hier Menschen vor der Tür stehen", sagt Holtwisch. Die Kommunen hätten vor einer Situation, wie der jetzigen gewarnt. "Vreden ist nicht die einzige Stadt, die überlastet ist", sagt Holtwisch. Er denkt, dass es in Zukunft noch viele weitere Briefe wie seinen gibt.
Holtwisch habe am Morgen bereits mit der Bezirksregierung telefoniert. Es sei ein "gutes Gespräch" mit viel "gegenseitigem Verständnis" gewesen, sagt er. Auch eine Einigung gibt es schon: Vom 1. bis 7. Dezember werden Vreden keine weiteren Flüchtlinge zugewiesen. Das gibt der Kommune Zeit, neue Unterbringungsmöglichkeiten zu finden. Am 7. Dezember soll es ein neues Gespräch geben. "Ich denke allerdings, dass eine Woche zu kurz sein wird, um eine Lösung zu finden", sagt Holtwisch.
War Vredens Brief nun also ein Erfolg? "Ob man einen Brandbrief schreibt, oder nett bittet, macht am Ende keinen Unterschied", sagt der Sprecher der Bezirksregierung Arnsberg, Hahn. Ein Brandbrief habe "null Effekt". Die Bezirksregierung sei immer bereit für Gespräche, wenn eine Kommune ein Problem habe. Aber dann reiche auch ein einfacher Anruf.
Liebe Leserinnen und Leser,
Ihre Meinung zu RP Online ist uns wichtig. Anders als sonst bei uns üblich gibt es allerdings an dieser Stelle keine Möglichkeit, Kommentare zu hinterlassen. Zu unserer Berichterstattung über die Flüchtlingskrise haben wir zuletzt derart viele beleidigende und zum Teil aggressive Einsendungen bekommen, dass eine konstruktive Diskussion kaum noch möglich ist. Wir haben die Kommentar-Funktion bei diesen Themen daher vorübergehend abgeschaltet. Selbstverständlich können Sie uns trotzdem Ihre Meinung sagen — per Facebook oder per E-Mail.