Brände und Macheten-Attacke in Essen „Anscheinend war es ihm egal, was er mit seiner Tat anrichtet“
Essen · Ein 41-jähriger Syrer steht unter dringendem Tatverdacht, am Samstag in Essen Feuer in zwei Mehrfamilienhäusern gelegt zu haben und dann mit einem Auto in zwei Geschäfte gefahren zu sein. Es gab mindestens 31 Verletzte, zwei Kinder kamen lebensgefährlich verletzt in Spezialkliniken.
Seit 24 Jahren wohnt Petra Stolarski an der Pielstickerstraße, einer ruhigen Anwohnerstraße im ansonsten unruhigen Essener Stadtteil Altenessen, einem sozialen Brennpunkt. Am späten Samstagnachmittag bemerkt die 69-Jährige, dass es auf dem Nachbargrundstück ungewöhnlich stark qualmt. Sie nimmt noch an, dass einer ihrer Nachbarn wieder Fisch räuchert im Garten, was öfters vorkäme. Dann hört sie plötzlich lautes Geschrei und geht raus auf die Straße, um nachzusehen, was los ist.
Im Nachbarhaus, einem mehrstöckigen Mietshaus, brennt es. Qualm kommt aus mehreren Fenstern. „Ich habe direkt Kinder gesehen, wie sie ganz oben im Gebäude auf einem Fenstersims sitzen“, berichtet die Rentnerin. Sofort seien Leitern geholt worden von Nachbarn und Mitbewohnern des betroffenen Mehrfamilienhauses. „Sie haben die Leitern an die Hauswand gelegt, sind hochgestiegen und haben die Kinder herunterholt“, sagt sie. Doch nicht alle Leitern reichen zu den obersten Stockwerken.
Das Feuer im Mehrfamilienhaus an der Essener Pielstickerstraße ist gegen 17.10 Uhr der erste von vier zusammenhängenden Tatorten am Samstag auf Essener Stadtgebiet. Laut Polizeiangaben stellt sich das folgende Geschehen so dar: Anschließend brennt es in Essen-Stoppenberg in einem Mehrfamilienhaus an der Zollvereinstraße – etwa drei Kilometer entfernt vom ersten Brandgeschehen. Wenige Minuten darauf fährt ein Lieferwagen an der Katernberger Straße in ein Lebensmittelgeschäft, der Wagen setzt zurück und fährt noch einmal hinein. Dann fährt der Lieferwagen weiter und steuert ein Gemüsegeschäft an, das sich ebenfalls an der Katernbergestraße befindet. Der Fahrer steigt aus und bedroht das Personal mit einem Messer und einer Machete. Wenig später kann der Mann unweit des letzten Tatorts in einem Hinterhof von mehreren Männern gestellt werden. Sie halten ihn mit Stangen und Schaufeln in Schach, bis die Polizei eintrifft und ihn festnimmt.
Bei den Taten sind 31 Menschen verletzt worden, darunter zwei Kinder infolge von Raucheinatmens lebensgefährlich. Bei dem Tatverdächtigen handelt es sich um einen 41 Jahre alten Mann aus Syrien. Er werde der schweren Brandstiftung und des versuchten Mordes verdächtigt, heißt es bei der Polizei. Ein Richter hat am Sonntagnachmittag Haftbefehl gegen den Tatverdächtigen erlassen. Die Feuer soll er mit Brandbeschleuniger gelegt haben.
Nach Informationen unserer Redaktion aus Sicherheitskreisen soll es sich um eine Beziehungstat gehandelt haben. Seine Frau soll einen neuen Mann gehabt haben und zuvor auch unter häuslicher Gewalt gelitten haben. „Darauf deutet alles hin. So gibt es Hinweise auf die einzelnen Objekte, die mit dem Täter in Zusammenhang stehen“, heißt es aus Sicherheitskreisen. Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) erklärt: „Die Taten haben sich offensichtlich gezielt gegen eine Familie gerichtet. Dabei wurde auch in Kauf genommen, dass sogar kleine Kinder zu Schaden kommen“, so Essens Stadtoberhaupt.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) erklärt: „Die Rettungs- und Sicherheitskräfte in Essen wurden am Samstag durch die vielen Einsatzorte stundenlang in Atem gehalten. Was wir aktuell sagen können: Das war alles das Werk eines Mannes, welcher möglicherweise die Trennung von seiner Ex-Frau nicht verkraftet hat“, so Reul, und weiter. „Die aktuellen Ermittlungen lassen den Verdacht zu, dass die Objekte mit der Trennung der Frau im näheren Zusammenhang stehen. Viele Menschen sind durch diese Taten schwer verletzt worden. Anscheinend war es ihm egal, was er mit seiner Tat anrichtet“, so der Landesinnenminister. „Ich bin vor allem dankbar. Mutige, couragierte Anwohner und Zeugen haben bei den Rettungsmaßnahmen geholfen und den Mann im Hinterhof in Schach halten können. Unter Gefahr ihres eigenen Lebens. Dieses Verhalten hat möglicherweise Schlimmeres verhindert“, so Reul. „Ich hoffe, dass die Kriminalpolizei den Fall schnell durchermittelt und der Mann vor Gericht seine gerechte Strafe bekommt.“
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck sprach von einer „erschreckenden Brutalität“. Diese mache alle betroffen, erklärte der Bischof am Sonntag. Overbeck betonte, seine Gedanken seien bei den vielen Verletzten, insbesondere bete er für die schwer verletzten Kinder. „Dankbar bin ich den vielen Einsatzkräften für ihr schnelles und professionelles Handeln“, so der Ruhrbischof.
Bis zu 160 Einsatzkräfte sind beteiligt gewesen. Zwei große Brände, die parallel bekämpft werden müssen, seien auch für eine große Stadt wie Essen eine Herausforderung, sagt ein Feuerwehrsprecher. Der Einsatz habe etwa eineinhalb Stunden gedauert. Dabei sei es zu dramatischen Szenen gekommen – insbesondere an der Pielstickerstraße. „Die Treppenhäuser waren schon kurz nach Brandbeginn nicht mehr passierbar, sodass die Bewohner eingeschlossen waren. Nachbarn stellten Bauleitern an die Wand, die aber nicht hoch genug waren“, so der Sprecher der Feuerwehr. „Das hat aber dazu geführt, dass, als wir ankamen, schon Leute an den Fenstern hingen, Kinder rausgehalten haben“, betont er. Die Lage sei dramatisch gewesen. „Wir konnten dann aber alle Bewohner in Sicherheit bringen.“
Christina Kampmann, Innenexpertin der SPD-Landtagsfraktion, spricht von einer schrecklichen Situation. „Wir hoffen und beten für die in Lebensgefahr schwebenden Kinder und sind in Gedanken bei den Opfern dieser furchtbaren Taten.“