Extrem lange Wartezeiten Bahnschranke teilt Bonn in zwei Teile

Bonn · Bahnübergänge in Bonn lassen Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer verzweifeln: Bis zu 20 Minuten muss dort vor geschlossenen Schranken gewartet werden, ehe der Weg wieder frei ist. Doch manch einer fand beim Warten auch den Partner fürs Leben.

 Ein Bahnübergang in Bonn.

Ein Bahnübergang in Bonn.

Foto: dpa

Sobald die Bahnschranke an der Lessingstraße in der Bonner Südstadt runtergeht, ist die ehemalige Bundeshauptstadt in zwei Teile getrennt. Wie an einer Staatsgrenze stehen sich die Menschen gegenüber, kennen sich mitunter, können den rot-weißen Schlagbaum aber nicht überwinden. Es ist kein Geheimnis, dass eine unglückliche Verkettung von Technik und Zugverspätungen dafür sorgt, dass dieser Zustand schon einmal bis zu 20 Minuten anhalten kann. Durch die neue Haltestelle UN-Campus ist es jetzt noch schlimmer geworden.

Die Motoren und Fahrräder werden abgestellt. Zeitungen rausgekramt. Freunde angerufen. Jeder hat seine Methoden, um die Wartezeit zu überbrücken. "Eigentlich wäre es ideal, hier einen Kiosk zu eröffnen", erzählt ein Mann Mitte 50. Er zieht ein Einkaufswägelchen hinter sich her, das er gerade in den Supermärkten am Bonner Talweg gefüllt hat. "Ich muss auf die andere Seite zum Einkaufen, denn an der Kaiserstraße gibt es nur noch einen Bäcker." Ärger, so wie bei den beiden Männern im Lieferwagen aus dem Westerwald neben ihm — sie haben es wohl eilig — ist nicht zu spüren. "Man gewöhnt sich daran und plant die Zeit ein."

Grund für die Wartezeiten, die meistens etwa fünf Minuten dauern, aber auch viel länger, wenn nämlich bis zu sechs Züge vorbeifahren, ist der nicht aufeinander abgestimmte Fern-, Güter- und Nahverkehr. Während die Nahverkehrszüge immer recht pünktlich sind, haben ICs und ICEs gerne Verspätungen. Fahren sie deshalb zu nah hintereinander, bleiben die Schranken unten oder öffnen nur für 30 Sekunden. Da immer mehr der langen Güterzüge die Strecke nutzen, werden auch die Schrankenzeiten länger. An einem Dienstagmorgen war der Übergang so satte 47 von 60 Minuten nicht passierbar.

Die junge Mutter Charlotte Jakob wippt den Kinderwagen hin und her, während der Intercity Express "Bergen auf Rügen" der Deutschen Bahn vorbeirauscht. Diese Phase wird etwas länger, zwei Züge müssen durch. Schon jetzt zeigt die Stoppuhr 4:50 Minuten. "Es geht erst weiter, wenn die Schranke zuckt", ruft eine andere Frau dazwischen. Einmal am Tag geht Jakob am Rhein spazieren, zweimal muss sie über die Bahngleise. "Theoretisch könnte ich die Unterführung an der Weberstraße nehmen. Da gibt es aber nur Treppen, die ich mit dem Kinderwagen nicht herunterkomme."

Es gibt Alternativen zu der Querung an der Lessingstraße: Eine Einbahnstraße oder auch Unterführungen für Radfahrer an der neuen Bahnhaltestelle UN-Campus. "Für die Autos ist das alles schlecht. Ich fahre deshalb seit Jahren nur noch über die Reuterbrücke", sagt Renate Pick. Die Pensionärin, die fast direkt an den Gleisen wohnt, kann sich noch gut an die damaligen Pläne der Stadt erinnern, das Dilemma aufzulösen. "Adenauer wollte die Schienen tiefer legen und die Straße darüber führen." In den 1980er Jahren wurde das Vorhaben für die Lessingstraße allerdings endgültig begraben. Zu teuer und aufwendig wäre der Umbau gewesen.

Aber wie kommt es, dass die Schranke an der Lessingstraße unten bleibt, während die benachbarten längst geöffnet sind? "Der Bahnübergang ist an das Einfahrtsignal zum Bonner Hauptbahnhof gebunden", sagt Bahn-Sprecher Torsten Nehring. Heißt: Die Schranke bleibt geschlossen, wenn das Signal für die Züge, die von südlichen Stadtbezirk Bad Godesberg in Richtung Bonn-Zentrum fahren, Rot zeigt. Eine reine Sicherheitsmaßnahme, wie Nehring erklärt.

Wenn ein Zug zu spät bremsen und über das rote Signal rutschen würde, könnte er erst auf dem Übergang Lessingstraße stehen bleiben. Die anderen beiden Übergänge sind davon nicht betroffen — sie liegen zu weit vom Einfahrtsignal entfernt. Fußgänger, Rad- oder Autofahrer, die die Schienen überqueren, wären somit nicht in Gefahr.

Die Haltestelle UN-Campus verschärft diese Situation. Denn die Schranke bleibt auch unten, sobald die Züge dort stoppen. "Derzeit kann man nicht garantieren, dass die Schranke rechtzeitig wieder unten ist, sobald der Zug losfährt", so Nehring. Man prüfe allerdings technische Möglichkeiten, die diese Lage verbessern könnten. Doch rechtlich nötig ist das nicht. Schon im Planfeststellungsverfahren sei damals klar gewesen, dass die neue Haltestelle für längere Wartezeiten sorgen würde. "Die Stadt hat trotzdem keine Auflagen gemacht."

Für die Bürger bleibt nichts anderes übrig, als sich damit zu arrangieren. Anwohner wie Karl Dalkmann kennen den Trick, die Wartezeit durch Ausweichen auf einen anderen Bahnübergang zu verkürzen. Doch generell gilt: Wer wichtige Termine hat, geht 20 Minuten früher aus dem Haus. Wer fit genug ist, versucht noch schnell durchzukommen, bevor der Schlagbaum fällt — was durchaus gefährlich ist. Wer Zeit hat, unterhält sich mit Leidensgenossen. Oder verliebt sich. So wie das Ehepaar, von dem Dalkmann erzählt. "Die beiden haben sich 1982 vor den Schranken stehend auf dem Arbeitsweg kennengelernt." Genau ein Jahr später heirateten sie. "Da hatte die Schranke einmal was Gutes."

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