Geschwindigkeitskontrollen in NRW Blitzen die Städte an den falschen Stellen?

Düsseldorf · Die Kommunen modernisieren und bauen ihre Kontrolltechnik aus. Doch die Unfallzahlen gehen nicht zurück. Die Polizei und der Städte- und Gemeindebund fordern klarere Standort-Vorgaben.

 Die berühmt-berüchtigte Blitzanlage bei Bielefeld. (Archiv)

Die berühmt-berüchtigte Blitzanlage bei Bielefeld. (Archiv)

Foto: dpa/Friso Gentsch

Wer als Autofahrer von der A57 in Köln entlang der Inneren Kanalstraße fährt, tut gut daran aufs Tempo zu achten. Drei stationäre Blitzer stehen dort, verteilt auf gerade mal drei Kilometer. In diesem Jahr könnten weitere Kontrollstellen folgen, die Stadt hat neun mobile Überwachungsanlagen bestellt. Laut städtischer Kalkulation sollen damit mehr als 300.000 Temposünder jährlich erfasst und 7,2 Millionen Euro für die Stadtkasse eingenommen werden. Schon im vergangenen Jahr wurden drei neue stationäre Anlagen eingerichtet. Nur an wenigen Orten in NRW wird mehr geblitzt als in Köln.

Die Grundlage dafür wurde 2013 gelegt. Damals genehmigte die rot-grüne Landesregierung den Großstädten und Kreisen in NRW, Geschwindigkeitskontrollen auf allen Straßen, auf denen erfahrungsgemäß zu schnell gefahren wird. Bis dato hatten die Städte und Kreise diese Erlaubnis nur für Unfallbrennpunkte oder besonders schutzwürdige Stellen wie vor Schulen und Kindergärten. „Die größere Flexibilität für die Kommunen bedeutet gleichzeitig auch mehr Verkehrssicherheit“, sagte der damalige Innenminister Ralf Jäger (SPD).

Mehr als fünf Jahre später spricht die Statistik nur bedingt für diese These. Während die Zahl der zugelassenen Kfz seit 2013 um rund acht Prozent zunahm, stieg die Zahl der Unfälle im selben Zeitraum um fast 13 Prozent. Das geht aus Zahlen des Landesbetrieb IT NRW hervor. So erfasste die Polizei 2018 im Monatsdurchschnitt mehr als 53.700 Unfälle, in rund 5100 Fällen gab es Verletzte. 2013 waren es monatlich noch 47.800 Unfälle, 4800 davon mit verletzten Verkehrsteilnehmern.

Besonders häufig kracht es seit jeher innerhalb geschlossener Ortschaften. 80 Prozent aller Unfälle ereignen sich dort im vergangenen Jahr. Nach fehlendem Sicherheitsabstand ist nicht-angepasste Geschwindigkeit dabei die häufigste Unfallursache. Weder höhere Bußgelder, die es seit 2014 gibt, noch mehr Blitzer-Befugnisse haben daran etwas geändert. Was also tun?

Für den ADAC ist „Geschwindigkeitsüberwachung ein notwendiger und wichtiger Aspekt für die Verkehrssicherheit“, sagt ein Sprecher. Viele Autofahrer ärgern sich jedoch, „dass die Ursache für die Beschränkung und die Kontrolle häufig nicht erkennbar ist“. Der Wunsch des Verkehrsclubs: „Dass die Überwachung verstärkt auf notorische Raser ausgerichtet wird statt möglichst viele geringfügige Überschreitungen im Berufsverkehr zu dokumentieren.“

Der Städte- und Gemeindebund in NRW scheiterte vergangenes Jahr im Landtag mit dem Vorschlag, die Kontrollbefugnisse von 2013 auch auf die mittelgroßen Städte (20.000 bis 99.999 Einwohner) auszuweiten. Diese sind bislang von den Kontrollen der Kreise abhängig. Das Vorhaben wurde jedoch von der Landesregierung abgelehnt.

Nun schlägt der Städtebund vor, den Blitzer-Fokus künftig vor allem auf Unfallhäufungsstellen zu richten. Solche Streckenabschnitte werden für alle Städte und Kreise durch Teams aus Verwaltung und Polizei ermittelt. „Mit klaren Vorgaben für Kontrollstandpunkte ließen sich die Abzocke-Vorwürfe aus der Welt schaffen“, sagt Cora Ehlert, Verkehrsreferentin beim Städte- und Gemeindebund. „Außerdem würden auch die bislang häufig vernachlässigten Straßen im ländlichen Raum häufiger kontrolliert werden.“

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) stimmt diesem Vorschlag „uneingeschränkt“ zu, sagt Heiko Müller, Verkehrsexperte im GdP-Vorstand. Schon bei der Gesetzesänderung 2013 hatte die Gewerkschaft Befürchtungen geäußert, die kommunalen Kontrollen könnten ihre Wirkung verfehlen, wenn mit den Einnahmen auch Haushaltslöcher gestopft werden können. „An dieser Kritik halten wir fest“, sagt Müller. Für die Verkehrssicherheit statt möglichst vieler Kontrollen vor allem persönliche Gespräche mit den Autofahrern wichtig, „um einen Lerneffekt zu erzielen“. Diese sogenannten Anhaltekontrollen darf aber nur die Polizei durchführen, nicht das kommunale Ordnungsamt. „Eine andere Lösung für mehr Kontrolldruck wären technische Weiterentwicklungen“, sagt Müller. Wie etwa die Überwachung ganzer Streckenabschnitte, wie zurzeit in Niedersachsen im Testbetrieb.

In der Zwischenzeit aber versuchen es die Großstädte mit noch mehr Blitzern. 16 der insgesamt 20 befragten Großstädte gaben an, für das aktuelle Jahr oder in den vergangenen beiden Jahren neue Kontrollgeräte bestellt zu haben.

So baut beispielsweise Dortmund seinen Bestand von bislang elf Blitzern in 2019 deutlich aus: zwei neue mobile Messfahrzeuge wurden beschafft, außerdem fünf stationäre Anlagen. In Mönchengladbach wurden 2018 drei Blitzer komplett überholt und modernisiert, in der Folge verdoppelte sich die Zahl der erfassten Geschwindigkeitssünder von rund 35.000 auf fast 75.000. Die Stadt nahm damit 1,3 Millionen Euro ein, rund 60 Prozent mehr als im Vorjahr (800.000 Euro). Bonn hat seit Beginn des neuen Jahres ebenfalls neue Technik im Einsatz: die Verwaltung hat zwei mobile Blitzeranhänger gemietet, zuletzt wurden in Bonn rund 180.000 Autofahrer geblitzt: Buß- und Verwarngelder in Höhe von vier Millionen Euro waren die Folge.

Für 2019 gab der Kölner Stadtrat rund 2,7 Millionen Euro frei, um neue mobile Anlagen zu kaufen. Schon 2017 lag man mit rund 13,6 Millionen Euro an der Spitze bei kommunalen Blitzer-Einnahmen. Allerdings: Die Zahl der Unfälle blieb im Vergleich von 2017 auf 2018 gleich, die Zahl der Todesopfer stieg bis Ende Oktober 2018 sogar auf 24 – im gesamten Jahr 2017 waren es „nur“ 17.

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