Fußball "Bis mal einer mit 14 an Burn-out erkrankt"

Leverkusen · Der Ex-Nationalspieler von Bayer 04, Jens Nowotny, spricht über seinen Beruf als Spielerberater, über den Druck, der auf Talenten lastet, über Jürgen Klinsmanns Rolle bei der WM 2006 und warum er Michael Ballack im Sommer geraten hätte, weiterzuspielen.

 "Natürlich ist es moralisch bedenklich, als Berater etwa schon einen Zwölfjährigen unter Vertrag zu nehmen, aber wenn man es selbst nicht macht, macht es ein anderer", sagt Jens Nowotny.

"Natürlich ist es moralisch bedenklich, als Berater etwa schon einen Zwölfjährigen unter Vertrag zu nehmen, aber wenn man es selbst nicht macht, macht es ein anderer", sagt Jens Nowotny.

Foto: imago

Herr Nowotny, passt Ihnen ein Interviewtermin am Morgen so gut, weil da die jugendlichen Klienten eines Spielerberaters gerade in der Schule sind?

Nowotny Er passt mir vor allem deswegen gut, weil am Vormittag meine eigenen Kinder außer Haus sind. Jetzt ist es halb zehn, ich bin also schon drei Stunden wach, weil ich den Nachwuchs versorgt habe.

Spielerberater ist aber sicherlich kein "Nine-to-five"-Job.

Nowotny Das auf keinen Fall. Man ist auf der einen Seite zeitlich sehr flexibel, es handelt sich andererseits aber eben auch um ein Saisongeschäft. In jedem Fall macht mir der Job Spaß. Und wenn das nicht der Fall wäre, würde es auch nicht funktionieren.

Nun stehen Spielerberater nicht gerade in einem guten Ruf.

Nowotny Das interessiert mich relativ wenig. Es ist in unserer Gesellschaft halt so, dass gerne mit dem Finger auf andere gezeigt wird.

Gerät man als ehrlicher Makler manchmal ins Hintertreffen gegenüber Kollegen mit dubiosen Geschäftspraktiken?

Nowotny Definitiv. Es ist ein Beruf, in dem man die Ellenbogen richtig ausfahren muss und keine Freunde kennen darf. Wer sich vordrängelt, ist auch in unserer Branche schneller dran. Ob das moralisch oder gar rechtlich in Ordnung ist, sei mal dahingestellt.

Aber ihre Kontakte aus der Profizeit sind doch wohl schon von Vorteil.

Nowotny Ich habe das Glück, dass einige meiner Ex-Kollegen heute als Trainer oder Manager arbeiten. Mit ihnen kann ich ganz anders reden. Ich muss ihnen allerdings auch manchmal klar machen, dass es nicht darum geht, mir einen Gefallen zu tun, sondern um eine vernünftige Geschäftsbeziehung.

Was reizt Sie daran, Spieler zu beraten?

Nowotny Mich interessiert die Entwicklung junger Sportler. Was sie so durchmachen. Wie weit bringt es einer, und warum bringt er es weit. Ich habe gute Einblicke in den Jugendbereich von Bayer Leverkusen und vom 1. FC Köln und weiß, wie viel da von den Kindern verlangt wird. Das ist schon extrem, und ich betrachte es mit einer gewissen Sorge.

Können Sie das ein wenig konkretisieren?

Nowotny Ein Freund meines Sohnes spielt bei Bayer in der U 11. Da wird regelmäßig ein Bericht über den Jungen verfasst, in dem stehen dann Noten, und wenn die Noten nicht passen, heißt es: "Tut uns leid, du bist zu schlecht." Und dann werden halt neue Spieler geholt.

Bayers Nachwuchschef Jürgen Gelsdorf beklagt, dass schon 14-Jährige mit einem Berater ankommen.

Nowotny Da muss man vorsichtig sein, wenn Jürgen Gelsdorf oder andere Jugendleiter sich in dieser Form äußern. Denn letztlich sind sie es ja, die die Mühle antreten. Das meine ich, wenn ich sage, wir zeigen alle immer gerne mit dem Finger auf andere. Natürlich ist es moralisch bedenklich, als Berater etwa schon einen Zwölfjährigen unter Vertrag zu nehmen, aber wenn man es selbst nicht macht, macht es ein anderer. Da muss man sich fragen: Wie weit gehe ich mit?

Wie oft müssen Sie Eltern in ihrer Erwartungshaltung bremsen?

Nowoty In zehn Fällen bestimmt achtmal. Das ist teilweise schon grenzwertig. Da sind sich Vereine und wir Spielerberater ausnahmsweise mal einig, dass heutzutage die Eltern in der Regel das größte Problem sind. Natürlich will jeder das Beste für sein Kind, aber der Druck der vielfach ausgeübt wird, ist zu hoch. Das ist alles total überdreht. Ich glaube, das geht so weit, bis mal ein 14-Jähriger an Burn-out erkrankt.

Merken Sie einem Profifußballer an, ob er als Jugendspieler gut beraten wurde?

Nowotny Man kann auf jeden Fall sehen, ob er im Elternhaus eine gute Erziehung genossen hat. Grundsätzlich geht es ja bei der Beratung darum, dass jemand auch neben dem Fußball und nach der aktiven Zeit sein Leben in den Griff bekommt. Wenn du mit einem 18-Jährigen über seine Zukunft sprichst, und er sagt dir: "Im Moment mache ich mein Abi", dann ist schon mal sehr viel gewonnen.

Gibt es etwas von dem, was Sie heute als Berater anderen vermitteln, das Sie selbst als Jugendspieler gebraucht hätten?

Nowotny Ich hätte mir gewünscht, dass mein Onkel mich zu mehr Selbstständigkeit angehalten hätte. Es ist ganz wichtig, Leuten zu vertrauen, aber trotzdem die Kontrolle über den eigenen Werdegang zu behalten.

Wie bewerten Sie die Nachwuchsarbeit beim DFB?

Nowotny In Deutschland haben wir mittlerweile ein sehr breite Klasse im Jugendbereich. Und beim Verband profitiert man natürlich ungemein von der guten Nachwuchsarbeit in den Vereinen.

Joachim Löw hat in den vergangenen Jahren sehr viele dieser Talente in die Nationalmannschaft integriert.

Nowotny Ja, und damit ist er fortschrittlicher als mancher Bundesligist.

Hat Sie die Kritik an seiner Person nach der EM überrascht?

Nowotny So ist halt das Geschäft. Vielleicht ist er manchen Leuten einfach zu glatt, zu nett. Im Fußball geht es immer in Extremen zu. Entweder du bist der Held oder du wirst verteufelt. Das habe ich selbst in meiner Karriere erlebt.

Sie haben Joachim Löw bei der WM 2006 als Co-Trainer von Jürgen Klinsmann erlebt. War er da schon der heimliche Chef-Stratege im Hintergrund?

Nowotny Für die Art, wie wir 2006 Fußball gespielt haben, war Jürgen Klinsmann enorm wichtig. Auch weil es eine WM im eigenen Land war. Um da erfolgreich zu sein, hätte es nicht gereicht, nur ein guter Trainer zu sein. Du musstest brennen für den Job. Und das hat Jürgen gemacht. Er hat mehr gebrannt als Löw. Definitiv.

Michael Ballack, der Capitano von 2006, hat im Sommer keinen neuen Verein gefunden und schließlich relativ unspektakulär seine Karriere beendet. Hätten Sie ihm auch zu diesem Schritt geraten?

Nowotny Es rumorte ja das Gerücht, dass sein Berater bei Verhandlungen mit interessierten Vereinen zu viel Gehalt verlangt hätte. Dem war aber nicht so. Ein Wechsel in die USA ist wohl eher an den Transferregelungen der Major League Soccer gescheitert. Ich hätte ihm geraten: "Spiel noch. Spiel, so lange, wie es Dir Spaß macht." Schade ist halt im Rückblick, dass sich die Sache so kaugummiartig hingezogen hat. Dadurch hat es diesen negativen Touch.

Stefan Klüttermann führte das Gespräch.

(RP/rl)
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