Prozess in Bonn Babyklappen retten Leben

Bonn · Die Mutter des ausgesetzten "Baby Paul" soll ihr Neugeborenes im Gebüsch abgelegt haben. Babyklappen sollen so etwas verhindern. Doch für das Angebot gibt es keine rechtliche Grundlage. Und auch die Mütter, die es nutzen, machen sich strafbar.

 Eine Babaymatratze und eine Decke liegen in Köln im Moses-Baby-Fenster im "Haus Adelheid" des Sozialdienstes Katholischer Frauen (SKF).

Eine Babaymatratze und eine Decke liegen in Köln im Moses-Baby-Fenster im "Haus Adelheid" des Sozialdienstes Katholischer Frauen (SKF).

Foto: dpa, hka

Etwas abgelegen an einer kaum befahrenen Straße im Kölner Stadtteil Nippes steht das Häuschen aus Wellblech. Wer achtlos daran vorbei geht, glaubt vielleicht, darin würden Mülltonnen stehen. Nur wer genauer hinschaut, sieht das Schild. "Moses Baby Fenster" steht dort in großen roten Buchstaben, und etwas kleiner darunter "Leben lassen. Anonym bleiben". Eine Mutter schiebt ihren Kinderwagen daran vorbei und biegt ab in das angrenzende "Haus Adelheid", eine Mutter-Kind-Einrichtung des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF).
Er betreibt die Babyklappe. "Das Wort Klappe mögen wir eigentlich nicht, das klingt so nach Mülleimer", sagt Karin Horst, Leiterin des "Haus Adelheid". Besser sei Fenster - Babyfenster.

Angeblich war auch die Mutter des ausgesetzten "Baby Paul" auf der Suche nach einem Babyfenster. Der Studentin wird vorgeworfen, ihr Neugeborenes in einem Gebüsch in Bonn abgelegt zu haben. Das Kind wurde von Jugendlichen gefunden. Das Urteil im Prozess wird an diesem Montag erwartet. Ein Babyfenster gibt es in Bonn nicht. Die Studentin hätte bis nach Köln fahren müssen.

Babyfenster sollen der letzte Ausweg sein. Doch für dieses Angebot gibt es keine rechtliche Grundlage oder rechtliche Bestimmungen. Laut NRW-Familienministerium gab es im Jahr 2013 etwa 25 Babyklappen in Nordrhein-Westfalen. Im Zeitraum 2000 bis 2013 wurden dort insgesamt 113 Kinder abgegeben. Deutschlandweit gibt es keine Zahlen, teilte eine Sprecherin des Bundesfamilienministeriums mit. "Das Problem ist, dass kein Mensch weiß, wie viele Babyfenster es wirklich gibt", erklärt Monika Kleine, Geschäftsführerin des SkF. Denn durch die fehlende Rechtsgrundlage seien die Fenster nicht ins System eingebunden. So gesehen, kann jeder ein Babyfenster betreiben.

Das Babyfenster des SkF im "Haus Adelheid" gibt es seit 2001. Bisher wurden dort 21 Kinder abgegeben, eins davon lebt heute wieder bei seinen Eltern. "Wenn hier ein Baby abgelegt wird, das ist für alle Beteiligten ein sehr emotionales Erlebnis", erzählt Hausleiterin Horst. Durch Schallwellen wird der Alarm ausgelöst, sobald jemand das Fenster berührt. Beinahe jeden Tag gibt es einen Fehlalarm durch die Erschütterung vorbeifahrender Laster. Wer ein Baby findet, darf den Vornamen für das nächste Kind aussuchen. Jonas oder Mia wird das 22.
Kind im Babyfenster heißen.

Legen Mütter ihr Kind in eine Klappe, gehen sie ein Risiko ein. "Zwar ist das Angebot nicht verboten, aber sein Kind einfach zurückzulassen, ist auch nicht legal", erklärt Eva Becker vom Deutschen Anwaltverein. Wenn der Staat erfährt, dass ein Kind in einer Klappe ausgesetzt wurde, wird er nach der Mutter suchen. "Die Wahrscheinlichkeit, etwas herauszufinden, ist allerdings sehr gering." Strafrechtlich ist die Situation für Mütter dennoch schwierig: Ob unterlassene Hilfeleistung oder Aussetzung von Schutzlosen - all das kann ihr angelastet werden. Außerdem hat ein Kind das Recht auf Kenntnis der Abstammung. Dieses Recht wird durch die anonyme Abgabe verletzt.

Eine Alternative zum Babyfenster soll die vertrauliche Geburt sein. Im Mai 2014 trat das entsprechende Gesetz in Kraft. Frauen sollen ihr Kind anonym und medizinisch sicher zur Welt bringen. Während der Schwangerschaft werden sie von einer Beraterin begleitet. Nur sie kennt die Identität der Mutter. Anja Podtschaske, Beraterin bei pro familia in Paderborn, hält davon wenig. "Ich denke nicht, dass dieses Angebot als Alternative zur Babyklappe angenommen wird", sagt sie.

Außerdem glaubt sie, dass die vertrauliche Geburt nicht die richtigen Frauen anspricht. "Mütter, die ihr Kind auf dem Parkplatz ablegen würden, kommen nicht in die Beratungsstelle und organisieren die vertrauliche Geburt." Kleine vom SkF sieht das anders: Sie hofft, dass das Angebot langfristig die Babyklappe ersetzen wird.

Im "Haus Adelheid" versucht man, die Mutter in ihrer Not nicht alleine zu lassen. Neben dem Babyfenster in dem kleinen Wellblechhäuschen hängen Beratungsbroschüren in verschiedenen Sprachen. Öffnet eine Mutter das Fenster, kann sie auf einen großen roten Knopf drücken. "Der hat eigentlich keine Funktion. Aber die Mütter wissen ja nichts von dem System mit den Schallwellen", erklärt Karin Horst. Den Knopf ist das letzte, was sie für ihre Kinder tun können bevor sie sie zurücklassen: Drücken und Hilfe holen - damit sich jemand kümmert.

(lnw)
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