Herr Latzel, ist Pfingsten noch mehr als ein langes Wochenende?
Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland „Jeder Austritt tut weh“
Interview | Düsseldorf · Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland sieht in Kirchensteuern einen legitimen Mitgliedsbeitrag, betont aber auch: Wer austritt, kann trotzdem Teil der christlichen Gemeinschaft bleiben. Pfingsten sei ein Anlass, mutig in die Zukunft zu schauen.
Latzel Pfingsten ist ein wichtiges Fest, das wir gerade jetzt dringend brauchen: Gottes Geist weckt Hoffnung, entzündet Feuer in uns und lehrt uns, die Sprachen anderer zu sprechen. Das hilft, um als Gesellschaft beieinander zu bleiben.
Pfingsten feiert die Kirche ihre Geburtsstunde. Doch die Zahl der Kirchenmitglieder schrumpft stetig. Wie christlich ist das Rheinland noch?
Latzel Nun, damals beim ersten Pfingsten waren es ein paar Tausend Christen. Heute sind wir allein in der rheinischen Kirche über 2,2 Millionen. Aber unsere Kirche ändert sich: von der kulturgestützten Volks- zur profilierten Großkirche. Jeder Austritt tut weh, weil wir den Kontakt zu einem Menschen verlieren. Der Glaube ist den Ausgetretenen aber nicht zwingend gleichgültig. In der Inflation ist es für manche das einzige, wo sie noch sparen können.
Halten Sie denn das Konzept Kirchensteuer noch für zeitgemäß?
Latzel Ja, weil es die Lasten fair verteilt: Wer mehr verdient, leistet mehr. Kinder und Menschen ohne Arbeit zahlen nichts. Die Kirchensteuer hilft, die Angebote in der Diakonie, in Kitas, Jugendarbeit, Seelsorge, Chören und vieles mehr vorzuhalten. Sie ist transparent, wenig aufwendig und nichts anderes als ein Mitgliedsbeitrag. Danke an alle, die mit ihrem Beitrag helfen, dass wir für andere da sein können! Und es ist gut, dass die Kirche nicht von einzelnen Großspendern abhängig ist.
Müsste es nicht dennoch eine Härtefallregelung für Geringverdienende geben?
Latzel Die soziale Staffelung ist ja eingebaut, der Beitrag richtet sich nach der Höhe des Einkommens. Zudem gibt es eine Kappungsmöglichkeit. Und selbst wenn Menschen ausgetreten sind, bleiben wir weiter für sie da. Die Taufe als Zusage Gottes bleibt gültig.
Die 20- bis 40-Jährigen sind erfahrungsgemäß am meisten austrittsgefährdet. Welche Angebote macht die Evangelische Kirche jungen Erwachsenen im Rheinland?
Latzel Für junge Erwachsene passiert viel in Jungen Gemeinden, für Studierende etwa in Evangelischen Studierenden-Gemeinden. Die Phase nach einem Umzug ist besonders wichtig. Vielerorts gibt es Gottesdienste in anderer Form und zu anderen Zeiten, es gibt spezielle digitale Angebote wie „Zocken für Jesus“ oder „Kirche für Nerds“. Ein wichtiger Bereich ist die Seelsorge, gerade nach der Pandemie. Außerdem machen manche Gemeinden Hausbesuche.
Sie klingen bei jungen Leuten an der Haustür?
Latzel Das ist eine Möglichkeit, um nach dem Eintritt ins Berufsleben in Kontakt zu treten. Zu merken, da ist jemand aus der Gemeinde, der sich für mich interessiert, ist erstmal schön. Und die Austrittsneigung sinkt rapide, wenn sie ihren Pfarrer, ihrer Pfarrerin persönlich kennen. Das sind einfach nette Menschen.
Dafür braucht es aber auch ausreichend Personal. Gibt es einen Pfarrermangel?
Latzel Wenn es weniger Mitglieder gibt, müssen wir sparen. Die Anzahl von Gemeindegliedern pro Pfarrstelle hat sich nicht verändert. Derzeit kommen rund 2200 Gemeindeglieder auf eine Gemeindepfarrstelle. Rein rechnerisch können wir alle Stelle besetzen, haben aber Herausforderungen auf dem Land. Wie andere müssen auch wir um Nachwuchs werben. Pfarrer zu sein, ist für mich dabei einer der schönsten Berufe überhaupt. Einen großen Teil leisten aber unsere 92.000 Ehrenamtliche. Wir sind eine Mitmach-Kirche. Gottes Geist bewegt, anderen zu helfen.
Wie aber wollen Sie Gemeinde erreichen, geht das heute vor allem digital?
Latzel Natürlich nutzen wir soziale Medien, hier gibt es viel Innovation. Grundlegend bleibt aber die persönliche Ansprache. Manche bieten Pilgerwege an, jetzt an Pfingsten finden Tauffeste und Open-Air-Gottesdienste statt, es gibt Segensfeiern zum Schulanfang. Einige Gemeinden gehen raus auf den Marktplatz. Weil wir glauben, dass Christus uns im anderen begegnet.
Im katholischen Bistum Essen gibt es jetzt ein Queeres Netzwerk, welche Angebote gibt es in der Evangelischen Kirche im Rheinland für diese Community?
Latzel Ein starkes Beispiel ist die Queere Kirche Köln, die digital sehr aktiv ist. In allen Gemeinden wollen wir einen Safe Space bieten, um die eigene sexuelle Orientierung frei und selbstverständlich zu leben. Das gehört für uns schlicht zur Vielfalt von Gottes Schöpfung. Ein Coming-out passiert in unseren Gemeinden leichter als etwa im Sportverein.
Um für Jüngere attraktiv zu sein, müsste die Kirche da nicht grundsätzliche Standpunkte ändern zu Themen wie Abtreibung oder Sterbehilfe?
Latzel Wir ändern unsere Haltungen nicht, um bei irgendwem besser anzukommen. Gerade vom Glauben her setzen wir uns für alle Menschen ein, auch am Lebensanfang und -ende. Beim Thema Abtreibung geht es um den Schutz des werdenden Lebens, aber immer gemeinsam mit den Frauen. Beim assistierten Suizid respektieren wir die ethische Entscheidung des Einzelnen – auch wenn wir sie nicht teilen und die Möglichkeit in unseren Einrichtungen nicht anbieten werden. Wir lassen aber niemand alleine – und kämpfen gegen Familienarmut wie Pflegenotstand.
Was halten sie von der Forderung nach einem rechtlichen Anspruch auf einen Pflegeplatz?
Latzel Menschen haben ein Anrecht auf Pflege, es ist gut, das zu stärken. Aber man muss es auch einlösen können, das ist das Problem. Es fehlen Menschen, die die Arbeit übernehmen, weil sie zu gering entlohnt wird. Das Problem wird weiter zunehmen.
Wäre nicht angesichts des anhaltenden Krieges und der gesellschaftlichen Herausforderungen ein allgemeiner Wehr- oder Sozialdienst sinnvoll, der junge Männer wie Frauen einbindet?
Latzel Ich finde gut, wenn es einen Gemeinschaftsdienst gibt, bin aber kritisch bei der Wehrpflicht. Und es sollte keinen Zwang geben. Es ist wichtig, dass wir nicht nur bei jungen Menschen den Gemeinsinn fördern. Wie solch eine sinnstiftende Erfahrung attraktiv gestaltet werden kann, ist weiter zu klären.
Was ist Ihre persönliche Botschaft zu Pfingsten?
Latzel Gottes Geist hilft uns, dass wir uns als Kirche mutig und getrost auf die Socken machen.