Ausschreitungen im Hambacher Forst "Die Zeit der Gespräche ist vorbei"

Aachen/Düren · Die Ausschreitungen im Hambacher Forst haben am Mittwoch eine neue Stufe erreicht. Vier Menschen wurden verletzt, als ein RWE-Wagen von Steinen getroffen wurde und sich überschlug. Der Polizeipräsident von Aachen sagt nun: "Die Zeit der Gespräche ist vorbei."

Proteste gegen Waldrodung im Hambacher Forst
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Proteste gegen Waldrodung im Hambacher Forst 2016

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Foto: dpa, mg

Im Hambacher Forst rumort es. Schwere Maschinen rumpeln über die Wege, Kettensägen kreischen, Bäume fallen zu Boden. Sandra kann die Maschinen, mit denen der Wald um sie herum zerstört wird, von ihrem Baumhaus aus hören. Sie kennt den Lärm gut. Seit Oktober schon lebt die 23-Jährige im Hambacher Forst, direkt neben dem Braunkohle-Tagebau des Energiekonzerns RWE. Dort spitzt sich die Situation zu.

Am Mittwochmorgen warfen Unbekannte Steine auf ein Fahrzeug des Tagebau-Betreibers RWE. Der Fahrer verlor die Kontrolle, das Auto kam von der Straße ab und überschlug sich mehrfach. Die vier Insassen wurden verletzt. Damit erreichte die Gewalt im Hambacher Forst ihren vorläufigen Höhepunkt.

Dementsprechend angespannt ist die Stimmung. Einsatzkräfte durchkämmten am Mittwoch das Waldgebiet und nahmen von jedem, der ihnen über den Weg lief, die Personalien auf. Wer sich weigerte oder keinen Ausweis bei sich hatte, wurde vorläufig festgenommen. Nur die Baumhäuser ließen sie an diesem Tag in Ruhe.

Pyrotechnik fliegt aus Baumhaus auf Polizisten

Sandra, die ihren richtigen Namen für sich behält, gibt sich kämpferisch: "Es wäre kein Problem, eine Woche im Baumhaus zu bleiben, ohne den Boden zu berühren", sagt die Braunkohle-Gegnerin übers Telefon. Mit Kerzen und Decken hält sich die junge Frau bei Temperaturen unter null Grad warm. Von der Attacke auf das Auto habe sie nichts mitbekommen. "Zu der Zeit habe ich noch geschlafen", sagt sie.

Schon am Dienstagabend war ein Polizist von einem Stein an der Schläfe getroffen sowie in den Nacken geschlagen worden. Zuvor hatten Unbekannte mehrere Brände gelegt. Ein Baggerführerhaus brannte vollständig aus, drei Trafostationen standen in Flammen. Laut Polizei entstand ein Sachschaden von mehreren Zehntausend Euro. Nach dem Angriff aus das RWE-Fahrzeug rückte sie mit einem Großaufgebot an. Einsatzkräfte sperrten den Wald ab, ließen niemanden hinaus und niemanden hinein.

Nachmittags kam es zu einem weiteren Übergriff. Aus einem Baumhaus in Sichtweite der Straße, von der das Auto abgekommen war, flogen Feuerwerkskörper. Verletzt wurde niemand. "Zum Glück", sagt der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach, den Blick in den Wald gerichtet. Bislang habe er auf Deeskalation und Vermittlung gesetzt. Jetzt aber sagt er: "Die Zeit der Gespräche ist vorbei. Es darf kein einziger Stein mehr fliegen. Wir sind auf alles eingestellt."

RWE-Sprecher: "Die Gewalt muss aufhören"

Für den Energiekonzern ist seit Anfang November wieder Rodungssaison am Braunkohletagebau. Bis März sollen 70 Hektar Wald weichen. Doch die Arbeitssituation der Waldarbeiter gleicht einem Ausnahmezustand. Die Polizei schützt sie mit einem massiven Aufgebot an Beamten. Denn für die Aktivisten unter den Braunkohle-Gegnern ist am Montag eine symbolische Grenze überschritten worden: Es fielen die ersten Bäume südlich der alten Autobahn 4 zwischen Aachen und Köln. Damit missachtet RWE nach Ansicht der Aktivisten die "rote Linie", die vor einem Monat von 1000 Personen entlang der alten Autobahntrasse mit einer Menschenkette gezogen wurde und signalisierte: "bis hierhin und nicht weiter".

Für RWE haben die Ausschreitungen mit berechtigtem Protest nichts mehr zu tun. "Die Gewalt muss aufhören", sagt ein Sprecher. Abrücken wolle man von den Rodungsplänen in dem Waldgebiet nicht. "Dann müssten wir den Tagebau anhalten", sagt der Sprecher. "Wir können nicht einfach drumherum baggern." Das sieht die Landtagsabgeordnete Gudrun Zentis (Grüne), die den Tagebau regelmäßig besucht, anders: "RWE könnte auch erst andere Waldstücke roden, die sowieso bald dran sind", sagt sie und seufzt. "Warum gerade hier, wo die Aktivisten sind? Das ist eine Provokation."

Antje Grothus von der Bürgerinitiative "Buirer für Buir", deren Ortschaft an den Tagebau grenzt, steht zwischen den Parteien. "Übergriffe auf Menschen sind nicht richtig", sagt sie. "Doch ich wünsche mir, dass die Polizei und RWE einsehen, dass nicht jeder Braunkohle-Gegner gewalttätig ist."

(RP)
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